Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Lindner wirbt um enttäuschte SPD-Wähler
BERLIN Es ist ihr politischer Auftakt des Jahres mit langer Tradition, eigentlich ein Pflichtprogramm für jeden Funktionsträger der Liberalen. Nicht so jedoch für Parteivize Wolfgang Kubicki. Er blieb dem wichtigen Dreikönigstreffen der FDP in der Stuttgarter Oper am Montag fern. Begründung in der „Bild“: „Stuttgart ist keine Pflichtveranstaltung, sondern Kür.“Er müsse aus Termingründen passen. Kubicki machte aber via Zeitung seinem Unmut über die Umfragewerte der Partei Luft und forderte mehr Kampfesgeist: „Wir dürfen uns mit unseren acht, neun Prozent nicht zufriedengeben.“In der Oper warb Parteichef Christian Lindner dann kämpferisch um mehr Zuspruch – und auch um frustrierte SPD-Wähler. Die Sozialdemokraten hätten sich „völlig abgekoppelt von den Interessen und Bedürfnissen der Mitte“. Er betonte, Herz und Leidenschaft der FDP gehörten jenen, „die es mit Fleiß, Einsatzbereitschaft und Sparsamkeit im Leben zu etwas bringen wollen“. Lindner warnte die Bundesregierung vor einem „bloßen Absitzen“der Legislaturperiode bis zum Ende 2021 und sagte an die Adresse der Union, im Falle von „Erpressungsversuchen“der SPD gebe es im Parlament „Alternativen“. Alles sei besser als der Status quo – auch eine zeitweilige Minderheitsregierung oder Neuwahlen. Lindner versicherte: „Wir sind bereit zur Übernahme von Verantwortung, wenn die politischen Inhalte stimmen.“
Wolfgang Steiger, Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrates, sagte auf Anfrage: „Die FDP tut gut daran, sich als marktwirtschaftliche und freiheitliche Partei gegen staatliche Bevormundung, Bürokratie und immer weitergehende Angriffe auf Leistungsträger, Unternehmer und Eigentümer aufzustellen.“Es sei bitter nötig, dass die FDP einen Gegenpol bilde gegen „immer neue Verbotsideen der Grünen“. Der Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD, Johannes Kahrs, sagte unserer Redaktion zu Lindners Abwerbeversuchen von SPD-Anhängern: „Da kann man schon Mitleid bekommen, wenn Herrn Lindner nichts anderes einfällt, als derart verzweifelt um Wähler zu werben.“Er müsse wissen: „Klassische SPD-Wähler sind nicht in Gefahr, für eine neoliberale Lindner-Partei zu stimmen.“Lindner habe seine Partei auch „rechtsliberal“aufgestellt, sagte der SPD-Haushaltsexperte. „Mit diesem Konzept ist er vor die Wand gekachelt.“Der FDP-Vorsitzende erkenne zunehmend, welche „Eselei“er 2017 begangen habe, als er das damals mögliche Jamaika-Bündnis platzen ließ.