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Künstler John Baldessari mit 88 Jahren gestorben
SANTA MONICA (dpa) Den Mut zur Lücke entdeckte John Baldessari beim Besuch im Museum. Die griechischen Vasen im Metropolitan Museum hatten es ihm angetan – genauer genommen der unbemalte Gips, mit dem fehlende Stücke ausgebessert wurden. Auch Baldessari fragte sich: Wie verändert sich ein Bild, wenn Teile entfernt oder überdeckt werden? In Fotografie, Malerei und Text stellte er die Funktionsweise künstlerischer Medien in Frage und kommentierte dabei die Gesellschaft. Nun ist Baldessari im Alter von 88 Jahren gestorben.
Der Kalifornier zählte zu den einflussreichsten Künstlern der Gegenwart. 2009 erhielt er für sein Lebenswerk den Goldenen Löwen der 53. Biennale von Venedig. Drei Jahre später wurde ihm der Kaiserring der Stadt Goslar verliehen, einer der weltweit wichtigsten Preise für moderne Kunst. Der damalige US-Präsident Barack Obama zeichnete Baldessari 2015 mit der National Medal of Arts aus, der höchsten Würdigung der US-Regierung für Künstler.
Mit skurrilen Collagen und unerwarteten Bildkompositionen konnte der weißbärtige Zwei-Meter-Mann bei so manchem Betrachter ein Lächeln hervorrufen. Doch auf den zweiten Blick setzte bei vielen Verwunderung ein, wenn das Radikale an Baldessaris sichtbar wurde. Sein spöttischer Ton galt nicht selten der Kunstwelt und dem modernen Kunstbetrieb. Er wolle entschleunigen und zu neuen Blickweisen auf die Welt anregen, sagte er einmal. Eine Frische und Relevanz bewahrte er sich auch nach den über 1000 weltweiten Gruppen- und 200 Einzelausstellung seiner Karriere.
Die Kunst der Lücke wurde dabei zu Baldessaris Taschenspielertrick. „Manchmal entfernt er das Ding, das am offensichtlichsten mitten in deinem Blickfeld liegt, zwingt dich, fast zum ersten Mal alles andere anzugucken, um einen neuen Sinn für das Gesehene zu schaffen“, fasste Michael Govan, Direktor des Los Angeles County Museum of Art zusammen. Genau das bedeute Konzeptkunst schließlich, zu dessen wichtigsten Vertretern Baldessari zählte: Der Künstler legt dem Publikum nur die Idee vor, erst im Kopf des Betrachters wird sie zur Kunst.