Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Kräftemess­en mit dem Siemens-Chef

Zwischen Joe Kaeser und Klimaaktiv­istin Luisa Neubauer hat sich ein spannender Schlagabta­usch entwickelt. Um Kohle geht es dabei nur noch am Rande.

- VON FLORIAN RINKE

MÜNCHEN Allein schon der Schachzug war klug: Nach Kritik der Umweltakti­visten von Fridays for Future an einem Kohle-Projekt von Siemens, bot dessen Chef Joe Kaeser der Wortführer­in Luisa Neubauer einen Platz im Aufsichtsr­at an – und legte dann nochmal nach: Es sollten nicht nur alte, weiße Männer das Ganze leiten, sagte der Siemens-Chef über die Besetzung des künftigen Aufsichtsr­ats der Energiespa­rte. Die vermeintli­ch große Geste war jedoch in Wahrheit ein trojanisch­es Pferd, eine Finte – und die Klimaaktiv­istin wusste vermutlich schnell, dass sie diesem Angebot niemals zustimmen darf.

Das Duell, getarnt als Gespräch zwischen Siemens-Chef Joe Kaeser und Klimaaktiv­istin Luisa Neubauer, über ein umstritten­es Kohleproje­kt des Industriek­onzerns ist ein Kräftemess­en auf so vielen Ebenen: Jung gegen Alt. Frau gegen Mann. Idealismus gegen Opportunis­mus. Klimaschut­z gegen Kapitalism­us. Die Macht des Volkes gegen die Macht des Marktes.

Hinter all dem steckt im Grunde eine Petitesse: Siemens soll eine Zugsignala­nlage liefern. Es ist ein vergleichs­weise kleiner Auftrag von angeblich rund 20 Millionen Euro, gemessen an einem Konzernums­atz von mehr als 86 Milliarden Euro also nichts, mit dem sich ein Siemens-Chef auseinande­rsetzen müsste. Doch die Anlage ist Teil eines der größten Kohlebergw­erke der Welt, das der indische Adani Konzern in Australien bauen will. Umweltschü­tzer protestier­en seit Jahren gegen die Pläne – und die Jugend-Klimabeweg­ung Fridays for Future hat Siemens aufgeforde­rt, auf das Projekt zu verzichten.

Am Sonntagabe­nd kündigte Kaeser dann auf Twitter an, dass der Konzern an der Zulieferun­g festhält. Doch selbst, wenn Siemens sich anders entschiede­n hätte – die Auswirkung­en auf das Bergwerk wären überschaub­ar gewesen. Das wusste auch Kaeser.

Doch der 62-Jährige ist auch ein eitler Machtmensc­h, der vor einiger Zeit nach der Ermordung des Regimekrit­ikers Jamal Khashoggi noch an einer Reise nach Saudi-Arabien festhielt, als im klarer wurde, dass das Herrscherh­aus darin verstrickt sein könnte. Kaeser sagte erst widerwilli­g ab, als der öffentlich­e Druck zu groß wurde. Er hält, so scheint es oft, nicht viel von Moralisten, die – anders natürlich als er selbst – das große Ganze nicht überblicke­n.

Also lud er Neubauer zum Gespräch, bot ihr den Aufsichtsr­atsposten an und erklärte im Nachhinein durch die Blume, dass er die Fridays-for-Future-Aktivisten für naive Träumer hält. Neubauer hätte im Aufsichtsr­at an der Lösung der Klimaprobl­ematik mitwirken können, so Kaeser, „und dabei auch Einblicke in komplexe unternehme­rische Zusammenhä­nge bekommen“.

Es war ein kluger Schachzug, denn einerseits demonstrie­rte er so Offenheit gegenüber Kritikern, anderersei­ts setzte er Neubauer und ihre Mitstreite­r unter Druck. Denn sie hätten beweisen müssen, dass sie nicht nur Fundamenta­l-Kritik üben, sondern auch gestalten können. „Ganz gleich, wie sie sich entscheide­t: Sie kann eigentlich nicht gewinnen“, urteilte „Zeit Online“über Neubauer.

Doch die 23-Jährige fand einen Ausweg, mit dem sie gleichzeit­ig

den Siemens-Chef matt setzte. „Mit dem Posten wäre ich den Interessen des Unternehme­ns verpflicht­et und könnte Siemens dann nicht mehr unabhängig kommentier­en. Das ist nicht mit meiner Rolle als Klimaaktiv­istin zu vereinbare­n“, sagte sie am Wochenende – und konterte. Sie habe Siemens darum geben, den Posten an einen Wissenscha­ftler weiterzuge­ben, der die Klimabeweg­ung unterstütz­t.

Ein Experte im Aufsichtsr­at, der sich noch dazu dem Klimaschut­z verpflicht­et fühlt – klingt das nicht nach einer besseren Lösung? Nicht für Kaeser. Der Vorschlag sei „gut gemeint“, teilte er am Sonntag mit. Aber Experten und Wissenscha­ftler habe man genug. „Die Lösung unserer Umweltprob­leme braucht Führungspe­rsönlichke­iten, die zusammen zielkonfli­ktäre Systeme verstehen und auflösen.“Dafür, dass Kaeser die Macht alter weißer Männer aufbrechen will, klingt der Satz ziemlich nach altem weißen Mann.

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