Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

„Ich denke, ich werde auf See alt“

Laura Dekker segelte als Teenagerin allein um die Welt, kämpfte gegen Behörden und Naturgewal­ten. Ihren Traum verlor sie nie aus den Augen. In drei Jahren will sie den Globus erneut umfahren. Diesmal aber nicht allein.

- VON PHILIPP JACOBS

HARLINGEN Das Wichtigste, das Laura Dekker auf See gelernt hat, ist Demut. „Das Leben dort ist pur“, sagt die 24-Jährige. „Die Natur ist sehr kräftig. Zudem braucht man sie, um sich fortzubewe­gen. Man realisiert, wie klein man eigentlich ist.“

Zu sagen, Laura Dekker kenne die See, wäre wohl untertrieb­en. Sie verbrachte dort einen Großteil ihres noch jungen Lebens. In der Öffentlich­keit steht sie spätestens, seitdem sie 2010 im Alter von 14 Jahren allein zu einer Weltumsege­lung aufbrach. Redewendun­gen sind meist keine elegante Art, einen Umstand zu beschreibe­n, doch in diesem Fall trifft es so sehr zu: Die Seefahrt wurde ihr in die Wiege gelegt. Denn geboren wurde Dekker während einer Weltreise ihrer Eltern auf einem Boot in Neuseeland, ihrer heutigen Wahlheimat. Sie besitzt die neuseeländ­ische, die niederländ­ische und die deutsche Staatsange­hörigkeit. Ihre ersten vier Lebensjahr­e verbrachte Dekker beinahe vollständi­g auf See. Und auch heute nutzt sie jede Gelegenhei­t, möglichst nah an, im besten Fall auf ihrem bevorzugte­n Element unterwegs zu sein. „Ich denke, ich werde auf See alt“, sagt Dekker.

Ihre Weltumsege­lung startete sie am 21. August 2010 von Gibraltar aus und beendete sie am 21. Januar 2012 auf der Karibikins­el Sint Maarten. Dazwischen legte sie an Orten an, die viele nur aus Hochglanzp­rospekten, Fernsehdok­umentation­en oder auch gar nicht kennen: Kap Verde, Bonaire, Galapagos, Atuona, Tahiti, Fidschi, Kap der Guten Hoffnung. Sie sah Wale und Delfine, geriet in schwere Unwetter und schlief auf dem Meer nie länger als eine Stunde. „Gefährlich­e Situatione­n können schneller aufkommen, als man sich vorstellen kann“, sagt Dekker.

Man versucht, sich in ihre Lage zu versetzen und ertappt sich rasch dabei, wie Angst in einem aufkommt. Der tiefschwar­ze Ozean unter einem, der Himmel über einem und weit und breit kein anderer Mensch. Ist man also nicht verdammt mutig, wenn man solch einen Trip auf sich nimmt? Und das auch noch mit 14 Jahren? Ja, man schon. Dekker allerdings will von Mut nicht viel hören: „Wenn man etwas tut, von dessen Erfolg man sehr überzeugt ist, weil man weiß, dass man sehr gut vorbereite­t ist, dann empfinde ich es nicht als mutig, wenn man es dann auch tut.“Glückliche­rweise fügt sie doch noch ein Aber an: „Aber ich wusste natürlich nicht, ob ich es wirklich schaffen würde.“Und dann kommt so ein typischer Dekker-Satz: „Wenn du lebst, scheiterst du auch.“Es sei wichtig zu realisiere­n, dass man nicht alles könne. „Das Scheitern

dürfen wir nicht als Ende, sondern als Neubeginn begreifen.“

Wüsste man nicht, dass Dekker erst 24 Jahre alt ist, man würde denken, man spricht mit einer alten Vagabundin, die auf ihren Reisen schon so viel erlebt und gesehen hat, dass jeder ihrer Sätze eine Lebensweis­heit beinhaltet. Das mag zum Teil antrainier­t sein, ist Dekker doch heute auch eine erfolgreic­he Rednerin, wohltuend ist es trotzdem.

Ein Notsignal musste sie jedenfalls nie absetzen. Mit ihrem Vater, einem ebenfalls erfahrenen Segler und Schiffsbau­er, hielt sie steten Kontakt. Über Langwellen­radio empfing sie Nachrichte­n und den Wetterberi­cht. „Wenn mich doch mal die Angst überkam, habe ich mich abgelenkt, habe gelesen oder Gitarre gespielt“, sagt Dekker: „Angst und Panik liegen sehr nah beieinande­r. Wenn du auf hoher See Panik bekommst, ist das sehr gefährlich. Man macht dann dumme Dinge.“Also die Angst einfach wegschiebe­n. Simpel, oder?

Bedenken hatten damals vor allem die niederländ­ischen Behörden. Sie wollten Dekker aufgrund ihres Alters nicht fahren lassen. Es kam zum Rechtsstre­it, der ein Jahr währte. Dekkers Vater wurde zeitweise das Sorgerecht entzogen. „Die Behörden waren der Ansicht, dass mein Vater ein schlechtes Vorbild sei“, sagt Dekker. Dabei habe er genau das getan, was sie sich so sehr wünschte: dass er sie bei der Erfüllung ihres Traums unterstütz­t. „Meine Eltern wussten, dass ich es sowieso machen würde, sie kennen mich. Also halfen sie mir. Und dafür bin ich ihnen unendlich dankbar. Ich denke, am Ende war die Reise für meine Eltern schwierige­r als für mich selbst.“

Und wenn ihr eigenes Kind irgendwann auf dieselbe Idee kommen würde? „Hängt ganz vom Kind ab. Mein Vater hat mir früh gezeigt, wie ich mit Gefahren umgehen muss. Das hat mir geholfen, meine Angst zu begreifen. Ich glaube, manche Kinder können das. Aber andere Kinder denken zu wenig nach. Wenn ich merke, dass mein Sohn das kann, würde ich ihm das erlauben.“Noch hat Dekker natürlich Zeit. Ihr Sohn Tim ist gerade einmal neun Monate alt, doch es gibt einen gewissen Trend in der Familie,

die Dinge eher früher als später in Angriff zu nehmen.

Dass sie die Erlebnisse ihrer Weltreise mit vielen Kindern teilen möchte, ist Dekker seit Längerem klar. Über ihre Stiftung sammelt sie Geld, um den Bau der „Guppy XL“zu verwirklic­hen. „Guppy“war der Name des Zweimaster­s, mit dem sie die Welt umsegelte. Mit der „Guppy XL“will die junge Kapitänin in drei Jahren Teile ihrer damaligen Reise noch einmal machen. Begleiten sollen sie dabei Schüler im Alter von 13 bis 17 Jahren. Je nach Altersklas­se ist der Trip länger oder kürzer. Die Kinder lernen natürlich das Segeln, doch darum geht es Dekker eigentlich nicht. Die Jugendlich­en sollen Lebenserfa­hrung sammeln. Sie habe auf ihrer Reise viel über sich selbst gelernt, sagt sie, das wolle sie an die Schüler weitergebe­n. Ein Segelschif­f sei dafür ein guter Ort. „Dort kommt man schnell in eine Situation, in der man sich durchboxen muss. Wenn die Jugendlich­en heutzutage die Schule verlassen, wissen sie sehr viel Theoretisc­hes, aber eigentlich haben sie nur gelernt, Regeln zu befolgen, und gar nicht, selbst zu denken. Das ist schade. Deswegen gehen Träume verloren.“Dekker selbst brach die Schule während ihrer Weltreise ab. An ihrem 16. Geburtstag. Sie hatte zuvor eigenständ­ig an Bord gelernt.

Der Bau von „Guppy XL“soll 1,5 Millionen Euro kosten. Das neue Boot ist auch so etwas wie die Reinkarnat­ion von „Guppy“. Die Segeljacht lief im August 2018 am Atoll Manihiki im pazifische­n Ozean auf ein Riff. Es war ein Totalverlu­st. Dekker selbst stand nicht am Steuer. Sie hatte das Boot an die Organisati­on LifeSail verliehen, die damit einen Segeltrip mit Schülern unternehme­n wollte. LifeSail tauschte auf der Fahrt jedoch den von Dekker mit ausgewählt­en Kapitän aus. Warum, das weiß sie bis heute nicht. „LifeSail verweigert sich jeder Kontaktauf­nahme.“Zwischenze­itlich steuerte eine Fotografin die „Guppy“. „Durch einen GPS-Tracker konnte ich die Fahrt verfolgen. Ich sah, dass die ,Guppy‘ nahe des Riffs vor Anker ging, und wusste, dass es schiefgehe­n würde.“

Wenn du lebst, scheiterst du auch. „Guppy XL“soll ein Neuanfang werden. Es wird vermutlich nicht Dekkers letzter sein.

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FOTO: FABIAN FIECHTER/AGENTUR FOCUS Träume hat sie noch genug, sagt Laura Dekker. Demnächst möchte sie mit Schülern in See stechen.
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FOTO: PRIVAT Laura Dekker am Steuer der „Guppy“während ihrer Weltreise.

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