Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
„Der Erde ist es egal, ob der Mensch ausstirbt“
In der Premiere zum Schauspielhaus-Jubiläum gibt Klaußner den Physiker Galilei. Ein Gespräch über Brecht und Fake News.
Am 16. Januar wird das Schauspielhaus 50 Jahre alt. Das feiert die Bühne am Stichtag mit einem Festakt, aber natürlich auch mit Theater: Auf dem Programm steht die Premiere von Bertolt Brechts „Das Leben des Galilei“. Die Hauptrolle spielt Burghart Klaußner.
Ist es für Sie von Bedeutung, just am Tag des Jubiläums in einer Premiere auf der großen Bühne des Schauspielhauses zu stehen? KLAUSSNER Unbedingt. Aber an die Zeit vor 50 Jahren, an Demonstranten und Brillantenkolliers, denke ich auf der Bühne sicher nicht.
Damals wurde das Haus mit Büchners „Dantons Tod“eröffnet, ein Stück über die blutige Phase der Französischen Revolution. 50 Jahre
später steht Brechts „Galileo Galilei“auf dem Programm. Was hat dieser Stoff der Gegenwart zu sagen?
KLAUSSNER Das große Überthema ist die Frage, Fakten oder Meinungen? Die Frage nach der Wahrheit also. Das ist so aktuell, wie man sich nur denken kann! Die Naturwissenschaften können ja in Zeiten der Verdrehung von Tatsachen ein Rettungsanker für die Vernunft sein. Und Brecht zeigt darüber hinaus, wie schwer die Unvernunft zu beseitigen ist und dass sie am Ende vielleicht sogar die Oberhand behält.
Aber es geht auch um die Verantwortung von Forschern, für ihre Wahrheit einzustehen. KLAUSSNER Es gibt die Legende, Brecht habe das Werk unter dem Eindruck des Abwurfs der Atombombe auf Japan geschrieben und damit die Verantwortungslosigkeit der Forscher anprangern wollen. Das Stück ist aber schon 1938 veröffentlicht worden, und Brecht hat es danach nur wenig verändert. Als es dann 1956 gespielt wurde, war das Atombombenthema freilich hochpräsent und arbeitete der Stückrezeption in die Hände. So wie man nach 2001 in vielen Stoffen das Terrorthema entdeckt hat. Theater ermöglicht eben oft sehr schnelle Aktualitätsbezüge.
Das heißt, im „Galilei“des Jahres 2020 wird es um Trump und Fake News gehen?
KLAUSSNER Um Trump persönlich sicher nicht, aber um das Verhältnis zur Wahrheit allemal. Davon handelt das Stück unbedingt! Ich sage in meiner Rolle Sätze wie: ,Wir brauchen Fakten und keine Meinungen.’ Da hat man das Gefühl, mitten im aktuellen politischen Diskurs zu stehen. Darüber hinaus wird die Wissenschaft durchaus befragt, in wessen Diensten sie stehen will, der Menschen oder der Macht.
Wie werden Sie den Charakter der Hauptfigur formen?
KLAUSSNER Es steckt viel Brecht im Galilei. Brecht hatte ja schwere gesundheitliche Probleme, war ein Hänfling, wollte aber ein Held sein, ein Boxer und Intellektueller zugleich. Manches davon hat er der Hauptfigur eingeschrieben. Dazu gibt es diese Vorstellung, sein Galileo sei ein dicker Falstaff, der sich die gebratenen Hühner in den Mund schob. Mich interessiert das nicht. Für mich steht Galileis Hadern im Vordergrund: Muss man für seine Wahrheit alles riskieren? Darf man zurückrudern, um sein Leben zu retten?
Für Heinrich Breloers Doku-Drama haben sie vor kurzem Brecht selbst gespielt. Ist es reizvoll, nun eine seiner wichtigsten Figuren zu verkörpern?
KLAUSSNER Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sich die Gelegenheit so schnell ergeben würde. Ich habe mich darüber gefreut, weil dieses Spätwerk eines der besten von Brecht ist. Wenig hölzern und nach allen Seiten offen. Auch interessierte mich der Aspekt der Astronomie. Wir hatten während der Proben den Leiter des Stellariums Erkrath zu Gast. Es war spannend, einmal mehr die Ungeheuerlichkeit des Universums, in dem wir leben, vor Augen geführt zu bekommen. Das beschäftigt mich seit meinen frühen Jahren.
Hatten Sie als Kind ein Teleskop? KLAUSSNER Das nicht. Aber Augen.
Wie hat die Beschäftigung mit dem Leben Brechts für die Fernsehrolle ihre Sicht auf Brechts Werk verändert?
KLAUSSNER Es kann nicht schaden, die Gedankenwelt eines Autors ein wenig zu kennen, wenn man eine seiner Figuren spielt. Brecht war ja eine ungeheuer prägende Figur für das 20. Jahrhundert – als Lyriker, Stückeschreiber, aber auch als Mensch, der ins Exil gejagt wurde, der Antifaschist war, literarisch ein Antipode zu Thomas Mann. Beide waren sicher die Heroen der deutschen Literatur im 20. Jahrhundert. Brecht hat Sätze geschrieben, die bleiben: ,Es setzt sich nur so viel Wahrheit durch, als wir durchsetzen.’ Oder: ,Der Sieg der Vernunft kann nur der Sieg der Vernünftigen sein.’ Wir sind alle gefordert, soll das heißen.
Trotzdem wird Brecht nicht mehr so viel gespielt. Woran liegt das? KLAUSSNER Er hat seine Figuren oft vorgefertigte Meinungen vertreten lassen, darum wirken sie papieren. Ihnen fehlt oft Widersprüchlichkeit,
Nachvollziehbarkeit. Das hatte zum einen zu tun mit seinen Theorien über das Theater, aber auch mit seinen Hoffnungen auf den Kommunismus als Zukunft der Gesellschaft. Er war bereit, für die gute Sache manchmal nicht so genau hinzugucken. Für den „Galilei“freilich gilt das nicht.
Unterdrückte Wissenschaft gibt es auch heute. Wenn Jugendliche fürs Klima demonstrieren, mahnen sie die Politik, auf die Warnungen der Klimaforscher zu hören. Wird das in der Inszenierung eine Rolle spielen?
KLAUSSNER Es tritt kein Klimaaktivist auf, aber im Hintergrund spielt das eine riesige Rolle. Es geht um die Stellung des Menschen im Universum. Der Kampf gegen den Klimawandel ist ja vor allem Artenschutz. Der Erde ist es egal, ob der Mensch ausstirbt, aber wir sind wohl gefordert, unsere eigene Spezies zu erhalten.
Das wäre vernünftig. Aber wie verschafft man der Stimme der Vernunft wieder Geltung? KLAUSSNER Das ist in der Gesellschaft wie beim Theaterspielen: das Wichtigste ist Zuhören.
DOROTHEE KRINGS FÜHRTE DAS INTERVIEW.