Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Karneval in „närrischer Diaspora“
Die Kolpingsfamilie veranstaltet ihre 88. Gala-Sitzung und ihren 55. Rä-Te-Ma-Teng. Dazu startet die BM eine achtteilige Serie.
Die Kolpingsfamilie veranstaltet ihre 88. Gala-Sitzung und ihren 55. Rä-Te-Ma-Teng. Dazu startet die BM eine achtteilige Serie.
„Ich bin damit volljährig und darf in der Sitzung Alkohol trinken“
HÜCKESWAGEN Die „heilige Zahl“der Karnevalisten ist die Elf. Kein Wunder also, dass es etwa den Elferrat gibt und die „fünfte Jahreszeit“, die am 11.11 um 11.11 Uhr beginnt. Die Elf gilt als Zahl der Maßlosigkeit, der Sünde und sogar als teuflische Zahl. Und weil der Karneval – vom Lateinischen Carne vale (Fleisch, lebe wohl) – direkt vor der sechseinhalbwöchigen Fastenzeit begangen wird, handelt es sich dabei um ein mitunter ausschweifendes Fest, bei dem es ausgelassen und nicht immer christlich zugeht. Dennoch wird der Karneval vor allem gerade in den Gegenden begangen, die eher katholisch dominiert sind – wie etwa Köln oder Wipperfürth. Das eher protestantische Hückeswagen dagegen ist so etwas wie eine „närrische Diaspora“. Während die benachbarte Hansestadt als Karnevalshochburg im Bergischen Land gilt, geht es in der Schloss-Stadt vergleichsweise ruhig(er) zu – wenn da nicht die Kolpingsfamilie wäre.
Die hält die jecke Tradition mindestens seit den 1920er Jahren hoch. In dieser Zeit gab es die erste Gala-Sitzung. Ob das 1926, 1927 oder vielleicht zu einem früheren Zeitpunkt war, ist momentan unklar. Denn es fehlen die entsprechenden Aufzeichnungen. Womöglich aufgrund der Diktatur der Nationalsozialisten und/oder der Tatsache, dass das Kolpinghaus nach Kriegsende amerikanische Soldaten und später Flüchtlinge beherbergte, muss jemand aus der Kolpingsfamilie die Protokollbücher an sich genommen haben. „Die sind seitdem so gut versteckt, dass keiner weiß, wo sie sind“, sagt Heinz Pohl, Sprecher der Kolpingsfamilie und im Karneval als Paul Posthorn unterwegs, im Gespräch mit unserer Redaktion.
Dass die Premiere aber wohl tatsächlich in den 1920ern über die Bühne ging, belegt die fortlaufende Zahl: Am Karnevalssonntag, 23. Februar, 17.11 Uhr, gibt es die 88. Gala-Sitzung. Bis auf wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg fand sie immer statt – „selbst während der NS-Zeit“, sagt Tobias Bosbach, Sitzungspräsident der Gala-Sitzung. Dann allerdings in Hinterzimmern, denn die Nationalsozialisten waren alles andere als dem Karneval zugetan. Vielleicht kommt aber bald doch Licht ins Dunkel, denn die Kolpingsfamilie hat den Historiker Norbert Bangert beauftragt, nach den Ursprüngen des Kolping-Karnevals in Hückeswagen zu
Tobis Bosbach leitet Karnevalssonntag seine 18. Gala-Sitzung
forschen.
Warum in Hückeswagen ausgerechnet die Kolpingsbrüder und -schwester so jeck sind, kann Bosbach nur vermuten. „Das liegt womöglich an der engen Verbindung zur Katholischen Kirche“, sagt er. Und die Begründer des Rosenmontagszug „Rä-Te-Ma-Teng“, der sich 1966 aus einer spontanen Laune heraus bildete, waren allesamt Kolpingmitglieder – wie Peter Goldstraß, der im November 2016 gestorbene Franz Mostert und dessen Schwager, der kürzlich verstorbene Herbert Dornseifer. Letzterer war wie Bosbach lange Zeit Sitzungspräsident. Der übernimmt diese Aufgabe in fünfeinhalb Wochen zum 18. Mal: „Ich bin damit volljährig und darf in der Sitzung Alkohol trinken“, meint Bosbach und schmunzelt.
Immer wieder waren auch Geistliche der Pfarrgemeinde aktiv im Kolping-Karneval. So stand etwa Pfarrer Werner Muthig in den 1980ern in der Bütt. Und vor allem der Auftritt des ehemaligen Kolping-Präses Temur Bagherzadeh war beeindruckend: Der Kaplan, inzwischen Pfarrer der Pfarrgemeinde St. Dionysius
Köln-Longerich/Lindweiler, sang im Domchor. In der Gala-Sitzung 2009 begeisterte er mit Freunden unter dem Namen „Temur & friends“mit erstklassigem A-capella-Gesang, der den Jecken im Saal des Kolpinghauses unter die Haut ging.
Zum 55. Mal startet am Rosenmontag, 24. Februar, der Rä-Te-MaTeng. Der Hückeswagener „Zoch“ist einer der kleinsten im Rheinland, aber auch einer der familienfreundlichsten. Denn er ist als Kinderrosenmontagszug ausgeschrieben. Entsprechend werden die Narren von einem Kinderprinzenpaar regiert, das vier Tage vorher, an Weiberfastnacht, in der Kinder-Tanzparty ermittelt wird. Seinen Ursprung hat der Rä-Te-MaTeng Weiberfastnacht 1966: Spontan hatten sich damals mehrere Kolpingbrüder bei der Kindersitzung im Saal des Kolpinghauses Quetschkommode, Trompete und „dicke Trumm“gepackt und waren mit den kleinen Narren einmal um den Wilhelmplatz und durch die angrenzenden Straßen gezogen. Seitdem ist der Rosenmontagszug auch aus der „närrischen Diaspora“nicht mehr wegzudenken.
Für das jecke Jubiläum des RäTe-Ma-Tengs wünscht sich die Kolpingsfamilie nun viele Teilnehmer, die im „Zoch“mitgehen. Sie bietet auch jedwede Unterstützung an. So erhalten etwa Wagenbauer Hilfe, um die Richtlinien umzusetzen. „Es ist zwar schön, wenn die Gruppen ihre Kamelle selber mitbringen“, betont Bosbach. „Aber wir als Kolpingsfamilie stellen ihnen auch die Kamelle.“Dafür werden das ganze Jahr über Spenden gesammelt – damit es nicht am Wurfmaterial scheitert, und dass Jecken, die beim Rä-TeMa-Teng mittendrin statt nur dabei sein wollen, auf eine Teilnahme verzichten.