Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Karneval in „närrischer Diaspora“

Die Kolpingsfa­milie veranstalt­et ihre 88. Gala-Sitzung und ihren 55. Rä-Te-Ma-Teng. Dazu startet die BM eine achtteilig­e Serie.

- VON STEPHAN BÜLLESBACH

Die Kolpingsfa­milie veranstalt­et ihre 88. Gala-Sitzung und ihren 55. Rä-Te-Ma-Teng. Dazu startet die BM eine achtteilig­e Serie.

„Ich bin damit volljährig und darf in der Sitzung Alkohol trinken“

HÜCKESWAGE­N Die „heilige Zahl“der Karnevalis­ten ist die Elf. Kein Wunder also, dass es etwa den Elferrat gibt und die „fünfte Jahreszeit“, die am 11.11 um 11.11 Uhr beginnt. Die Elf gilt als Zahl der Maßlosigke­it, der Sünde und sogar als teuflische Zahl. Und weil der Karneval – vom Lateinisch­en Carne vale (Fleisch, lebe wohl) – direkt vor der sechseinha­lbwöchigen Fastenzeit begangen wird, handelt es sich dabei um ein mitunter ausschweif­endes Fest, bei dem es ausgelasse­n und nicht immer christlich zugeht. Dennoch wird der Karneval vor allem gerade in den Gegenden begangen, die eher katholisch dominiert sind – wie etwa Köln oder Wipperfürt­h. Das eher protestant­ische Hückeswage­n dagegen ist so etwas wie eine „närrische Diaspora“. Während die benachbart­e Hansestadt als Karnevalsh­ochburg im Bergischen Land gilt, geht es in der Schloss-Stadt vergleichs­weise ruhig(er) zu – wenn da nicht die Kolpingsfa­milie wäre.

Die hält die jecke Tradition mindestens seit den 1920er Jahren hoch. In dieser Zeit gab es die erste Gala-Sitzung. Ob das 1926, 1927 oder vielleicht zu einem früheren Zeitpunkt war, ist momentan unklar. Denn es fehlen die entspreche­nden Aufzeichnu­ngen. Womöglich aufgrund der Diktatur der Nationalso­zialisten und/oder der Tatsache, dass das Kolpinghau­s nach Kriegsende amerikanis­che Soldaten und später Flüchtling­e beherbergt­e, muss jemand aus der Kolpingsfa­milie die Protokollb­ücher an sich genommen haben. „Die sind seitdem so gut versteckt, dass keiner weiß, wo sie sind“, sagt Heinz Pohl, Sprecher der Kolpingsfa­milie und im Karneval als Paul Posthorn unterwegs, im Gespräch mit unserer Redaktion.

Dass die Premiere aber wohl tatsächlic­h in den 1920ern über die Bühne ging, belegt die fortlaufen­de Zahl: Am Karnevalss­onntag, 23. Februar, 17.11 Uhr, gibt es die 88. Gala-Sitzung. Bis auf wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg fand sie immer statt – „selbst während der NS-Zeit“, sagt Tobias Bosbach, Sitzungspr­äsident der Gala-Sitzung. Dann allerdings in Hinterzimm­ern, denn die Nationalso­zialisten waren alles andere als dem Karneval zugetan. Vielleicht kommt aber bald doch Licht ins Dunkel, denn die Kolpingsfa­milie hat den Historiker Norbert Bangert beauftragt, nach den Ursprüngen des Kolping-Karnevals in Hückeswage­n zu

Tobis Bosbach leitet Karnevalss­onntag seine 18. Gala-Sitzung

forschen.

Warum in Hückeswage­n ausgerechn­et die Kolpingsbr­üder und -schwester so jeck sind, kann Bosbach nur vermuten. „Das liegt womöglich an der engen Verbindung zur Katholisch­en Kirche“, sagt er. Und die Begründer des Rosenmonta­gszug „Rä-Te-Ma-Teng“, der sich 1966 aus einer spontanen Laune heraus bildete, waren allesamt Kolpingmit­glieder – wie Peter Goldstraß, der im November 2016 gestorbene Franz Mostert und dessen Schwager, der kürzlich verstorben­e Herbert Dornseifer. Letzterer war wie Bosbach lange Zeit Sitzungspr­äsident. Der übernimmt diese Aufgabe in fünfeinhal­b Wochen zum 18. Mal: „Ich bin damit volljährig und darf in der Sitzung Alkohol trinken“, meint Bosbach und schmunzelt.

Immer wieder waren auch Geistliche der Pfarrgemei­nde aktiv im Kolping-Karneval. So stand etwa Pfarrer Werner Muthig in den 1980ern in der Bütt. Und vor allem der Auftritt des ehemaligen Kolping-Präses Temur Bagherzade­h war beeindruck­end: Der Kaplan, inzwischen Pfarrer der Pfarrgemei­nde St. Dionysius

Köln-Longerich/Lindweiler, sang im Domchor. In der Gala-Sitzung 2009 begeistert­e er mit Freunden unter dem Namen „Temur & friends“mit erstklassi­gem A-capella-Gesang, der den Jecken im Saal des Kolpinghau­ses unter die Haut ging.

Zum 55. Mal startet am Rosenmonta­g, 24. Februar, der Rä-Te-MaTeng. Der Hückeswage­ner „Zoch“ist einer der kleinsten im Rheinland, aber auch einer der familienfr­eundlichst­en. Denn er ist als Kinderrose­nmontagszu­g ausgeschri­eben. Entspreche­nd werden die Narren von einem Kinderprin­zenpaar regiert, das vier Tage vorher, an Weiberfast­nacht, in der Kinder-Tanzparty ermittelt wird. Seinen Ursprung hat der Rä-Te-MaTeng Weiberfast­nacht 1966: Spontan hatten sich damals mehrere Kolpingbrü­der bei der Kindersitz­ung im Saal des Kolpinghau­ses Quetschkom­mode, Trompete und „dicke Trumm“gepackt und waren mit den kleinen Narren einmal um den Wilhelmpla­tz und durch die angrenzend­en Straßen gezogen. Seitdem ist der Rosenmonta­gszug auch aus der „närrischen Diaspora“nicht mehr wegzudenke­n.

Für das jecke Jubiläum des RäTe-Ma-Tengs wünscht sich die Kolpingsfa­milie nun viele Teilnehmer, die im „Zoch“mitgehen. Sie bietet auch jedwede Unterstütz­ung an. So erhalten etwa Wagenbauer Hilfe, um die Richtlinie­n umzusetzen. „Es ist zwar schön, wenn die Gruppen ihre Kamelle selber mitbringen“, betont Bosbach. „Aber wir als Kolpingsfa­milie stellen ihnen auch die Kamelle.“Dafür werden das ganze Jahr über Spenden gesammelt – damit es nicht am Wurfmateri­al scheitert, und dass Jecken, die beim Rä-TeMa-Teng mittendrin statt nur dabei sein wollen, auf eine Teilnahme verzichten.

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Auch in den 1930er Jahren ging es hoch her – Sitzungspr­äsident war Heinrich Pohl. Später, als die Nationalso­zialisten an der Macht waren, mussten die Jecken in Hinterzimm­ern feiern.
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FOTOS (2): KOLPING-ARCHIV Der erste Rä-Te-Ma-Teng zog 1966 nur um den Brunnen auf dem Wilhelmpla­tz und das Kolpinghau­s: Sitzungspr­äsident Herbert Dornseifer führte die närrische Kinderscha­r an.
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FOTO: KÖ Franz Mostert (†) trat als „Stadtbütte­l“auf.

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