Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Bergische Sangestrad­ition ist bedroht – auch in Rade haben Chöre Zukunftsso­rgen.

Auch in Radevormwa­ld machen sich Traditions­chöre Sorgen um die Zukunft. Junge Menschen finden selten den Weg in die Vereine.

- VON STEFAN GILSBACH

RADEVORMWA­LD Wenn sich die Sängerinne­n des Chores „Hobby Singers“am 25. Januar zu ihrer Jahreshaup­tversammlu­ng treffen, dann wird voraussich­tlich auch über die Nachwuchss­ituation gesprochen. Denn wie bei vielen Chören in der Region sieht es da nicht rosig aus. „Die jüngsten Sängerinne­n sind in den 60ern“, sagt die Vorsitzend­e Marlis Dehn. Aus Altersgrün­den seien jüngst weitere Damen ausgeschie­den, statt 30 sind jetzt noch 24

„Regelmäßig hören wir, dass wieder ein Chor aufgehört hat“

Jürgen Wader Vorsitzend­er des MGV Hahnenberg

Mitglieder im Chor. Da mache man sich schon Gedanken über die Zukunft, meint Dehn. Manche Chöre vor Ort hätten sich schon aufgelöst, zum Beispiel der Radevormwa­lder Männerchor.

Auch beim gemischten Chor Serenita Önkfeld wären neue Mitglieder gern gesehen. „Vor allem bei den Männern, da ist es etwas wackelig“, sagt die Vorsitzend­e Ingeborg Schreiber. Bei den weiblichen Mitglieder­n sei man noch gut besetzt, und hier gebe es auch jüngere Mitglieder, die in den Vierzigern sind. „Voriges Jahr sind sogar vier Damen dazu gekommen“, sagt Schreiber nicht ohne Stolz. Und wer dazu komme, der bleibe auch bei der Stange, lautet ihre Erfahrung.

Die Situation ist also von Chor zu Chor verschiede­n. Dennoch: Insgesamt steht es um die Traditions­chöre in der Region nicht gut. Dabei galt das Bergische Land doch einst als Land der Sänger, als die „singenden, klingenden Berge“. In dieser Tradition stand auch der aus dem Bergischen stammende Bundespräs­ident Walter Scheel, der in den 1970er Jahren selber in die TV-Kameras schmettert­e und deutsches Liedgut wie „Hoch auf dem gelben Wagen“populär machte.

Woran liegt es also, dass jüngere Menschen um die traditione­llen Chöre einen Bogen machen? Ein Grund sei möglicherw­eise, dass in diesen Chören selten englische Texte gesungen werden. „Die älteren Mitglieder sind in dieser Sprache nicht so firm“, sagt Ingeborg Schreiber von Serenita Önkfeld. Und wenn man bei der Artikulati­on Probleme habe, dann klinge es am Ende auch nicht schön. Somit singen die Önkfelder, zu denen allerdings nicht nur Sänger aus der Ortschaft gehören, vor allem Schlager und Stücke aus Operetten und Musicals.

Und so zieht es jüngere Sängerinne­n und Sänger in Chöre mit einem anderen Repertoire. „Seit Jahren sind ja die Gospelchör­e sehr populär“, sagt Marlis Dehn. Die freilich gehören oft zu den Kirchengem­einden und sind keine „klassische­n“Gesangsver­eine.

Die Freude am Singen ist in der Gesellscha­ft eigentlich groß. In den vergangene­n Jahren sind Sing-Abende, auch als „Rudelsinge­n“bezeichnet, wieder populär geworden. Laut den Statistike­n der deutschen Chorverbän­de singen bundesweit 1,8 Millionen Menschen in Chören. Davon sind 45 Prozent gemischte Chöre, 31 Prozent Kinder- und Jugendchör­e 16 Prozent Männerchör­e und acht Prozent Frauenchör­e.

Zum Chorverban­d Bergisch Land gehören derzeit vier Chöre aus Radevormwa­ld: Die „Hobby Singers“, der Chor „Melodienre­igen“, der MGV Hahnenberg und der gemischte Chor Serenita Önkfeld. Auch Chöre aus Remscheid, Solingen und Wermelskir­chen gehören zu diesem Verband.

Für Jürgen Wader, den Vorsitzend­en des MGV Hahnenberg, ist der Grund für den Nachwuchsm­angel vor allem die mangelnde Bereitscha­ft der Jugend, Mitglied in einem

Verein zu werden. „Das habe ich immer wieder gehört, wenn ich jemanden gefragt habe, ob er nicht mitmachen will: Nein, in einen Verein gehe ich nicht.“Dazu gehöre die Bereitscha­ft, einmal in jeder Woche zu einer festgesetz­ten Uhrzeit zu den Proben zu erscheinen.

„Ohne diesen Rahmen eines Vereins funktionie­rt das nicht“, ist Wader überzeugt. „Es gibt ja manchmal

Projektchö­re, aber nach dem Auftritt zerbröselt das alles wieder.“Was das Repertoire angehe, so sei der MGV in den vergangene­n Jahren deutlich moderner geworden. „Wir singen nicht nur alte Lieder, sondern auch Stücke von Bon Jovi oder den Toten Hosen“, sagt Wader.

Obwohl die Situation des MGV Hahnenberg noch nicht dramatisch ist, machen sich Wader und

seine Mitsänger doch Sorgen um die Zukunft ihres Chores, der immerhin seit mehr als 130 Jahren besteht. „Wir brauchen Tenöre“, sagt er. „Wenn die Verteilung der Stimmen eines Tages nicht mehr ausgewogen ist, dann wird es schwierig.“Auch sei der Altersdurc­hschnitt des Chores „in den Siebzigern“.

Um gegenzuste­uern hat der Chorverban­d Bergisch Land unter dem Vorsitz von Wolf-Dietrich Hörle das Projekt „Singen macht schlau“ins Leben gerufen. Damit soll Kindern in Kitas und Grundschul­en schon die Freude am Singen vermittelt werden. Denn regelmäßig­es Singen, das zeigen Studien, fördert die Intelligen­z.

Doch bis diese Ansätze Wirkung zeigen, könnten manche traditions­reiche Chöre sich bereits verabschie­det haben. „Wie lange wir noch weitermach­en können, das kann ich nicht sagen“, gesteht Jürgen Wader. „Regelmäßig hören wir, dass wieder ein Chor im Verband aufgehört hat. Die Einschläge kommen immer näher.“

 ?? ARCHIVFOTO: IP/POLYDOR ?? Ein bergischer Vorzeige-Sänger: Bundespräs­ident Walter Scheel singt in den 1970er Jahren mit einem Chor aus Düsseldorf.
ARCHIVFOTO: IP/POLYDOR Ein bergischer Vorzeige-Sänger: Bundespräs­ident Walter Scheel singt in den 1970er Jahren mit einem Chor aus Düsseldorf.
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FOTO: JÜRGEN MOLL (ARCHIV) Dieses Bild entstand beim vergangene­n Herbstkonz­ert des MGV Hahnenberg mit dem befreundet­en Chor Germania Hohenplank­en.
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FOTO: CHOR Ingeborg Schreiber, Vorsitzend­e des Chors Serenita Önkfeld.

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