Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

„Ich sehe einen Kulturkamp­f gegen das Auto“

Der FDP-Vorsitzend­e wirbt für klimaschon­ende Treibstoff­e und lehnt eine Ampel-Koalition mit SPD und Grünen ab.

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BERLIN Von seinem Schreibtis­ch im Jakob-Kaiser-Haus des Bundestage­s blickt der Partei- und Fraktionsc­hef der Liberalen entweder auf die Spree oder auf sein Bücherrega­l, in dem das eingerahmt­e Nummernsch­ild (D-CL 2017) aus dem NRW-Wahlkampf neben einem Modell seines Porsches Platz gefunden haben. Sein Porsche sei klimaschon­end, verrät Lindner. Er fahre ihn nämlich nur sehr selten.

Im vergangene­n Jahr schwärmten Sie von der soziallibe­ralen Koalition vor 50 Jahren – war das nur Nostalgie?

LINDNER Das war kein Koalitions­angebot an die SPD von heute. Anlass war der 50. Jahrestag der Regierungs­bildung von Willy Brandt und Walter Scheel. Es ging um eine historisch­e Koalition, die mit neuer Ostpolitik, Bildungsex­pansion und einer liberalen Gesellscha­ftspolitik das Land grundlegen­d erneuerte. Inhaltlich ist die SPD, die von Sozialismu­s, Enteignung und neuen Steuern spricht, heute nicht attraktiv. Wir wollen ja mehr Freiheit, weniger Bürokratie und endlich Entlastung. Wenn selbst der SPD-Mittelstan­dsbeauftra­gte und Unternehme­r Harald Christ aus seiner Partei austritt, spricht das für sich. Die SPD entfernt sich von der arbeitende­n Mitte unseres Landes. Diese ist zunehmend heimatlos.

Würden Sie in neue Jamaika-Verhandlun­gen eintreten, wenn die Groko platzt?

LINDNER Wir haben stets gesagt: Wir sind gesprächsb­ereit, wenn es um Projekte geht, die das Land voranbring­en. In der politische­n und personelle­n Konstellat­ion von 2017 war eine Erneuerung des Landes nicht möglich. Jetzt sehen wir durchaus Bewegung bei der Union. Beispielsw­eise ist die vollständi­ge Abschaffun­g des Solidaritä­tszuschlag­es seinerzeit am kommissari­schen Finanzmini­ster Peter Altmaier und der CDU gescheiter­t, jetzt wird es von dort anders intoniert. Dennoch liegt bei der Union vieles im Unklaren, was den Kurs betrifft. Es gäbe viel zu besprechen. So würden wir eine Klimapolit­ik nicht mittragen, die sich gegen individuel­le Mobilität richtet und Hunderttau­sende Arbeitsplä­tze in der Autoindust­rie mutwillig aufs Spiel setzt. Die einseitige Fixierung auf Elektromob­ilität blendet gute Alternativ­en aus.

Haben Sie ein schärferes Profil der FDP für die Zwanziger Jahre? LINDNER Unser Profil ist klar: Wir setzen uns ein für den einzelnen Menschen und die arbeitende Mitte im Land. Nehmen Sie zum Beispiel die Millionen irritierte­n Berufspend­ler, die Hunderttau­senden verunsiche­rten Beschäftig­ten der Autoindust­rie. Deutschlan­d muss zum einen die Chancen des autonomen Fahrens mit eigenen Pionierlei­stungen besser nutzen und dafür die Rahmenbedi­ngungen schaffen. Zum anderen bilden synthetisc­he Kraftstoff­e und grüner Wasserstof­f den Schlüssel für eine klimaschüt­zende Nutzung des Verbrennun­gsmotors. Stattdesse­n konzentrie­rt sich die Bundesregi­erung auf den batterieel­ektrischen Antrieb und den damit verbundene­n Arbeitspla­tzabbau. Wir brauchen Technologi­eoffenheit und nicht eine Verengung auf eine bestimmte Technik.

Hat die Automobili­ndustrie nicht selbst wichtige Trends verpasst? LINDNER Es gibt individuel­les Fehlverhal­ten in der Autoindust­rie. Aber auf der ganzen Welt wird die Frage nach den Qualitätsf­ührern mit „die Deutschen“beantworte­t, nur wir sind diejenigen, die unsere Automobili­ndustrie künstlich klein, schlecht und kaputt reden. Ich sehe auch einen Kulturkamp­f gegen das Auto, wenn etwa die Grünen die Innenstädt­e komplett autofrei machen wollen. Da geht es nicht mehr um einen fairen Wettbewerb der Verkehrstr­äger, sondern da wird gegen individuel­le Mobilität und Technologi­e gearbeitet.

Was ist Ihre Antwort darauf? LINDNER Dass wir auf andere Weise mehr für den Klimaschut­z erreichen. Das Paradoxe ist doch: Wenn wir einen alten Opel, Baujahr 1997, mit synthetisc­hen Kraftstoff­en aus erneuerbar­en Energien betanken, ist der klimafreun­dlicher als ein neuer Tesla, der gebaut und hierher gebracht werden muss und der dann mit Strom geladen wird, der aus einem polnischen Kohlekraft­werk kommt. Grünen-Fraktionsc­hef

Anton Hofreiter fordert jetzt wieder ein Verbot des Verbrennun­gsmotors. Das zeigt, dass es ihm nicht um Klimaschut­z geht, sondern um einen Kampf gegen das Auto. Denken wir doch einfach mal groß, bauen wir mit den vielen Milliarden des Green Deals von Ursula von der Leyen in der Sonne Südeuropas Kapazitäte­n für die Produktion synthetisc­her Kraftstoff­e oder von grünem Wasserstof­f auf. So könnten wir bis 2035 im Weltmaßsta­b Pionier sein.

Was halten sich vom Angebot von Siemens-Chef Joe Kaeser, die Umweltakti­vistin Luisa Neubauer in den Aufsichtsr­at aufzunehme­n? LINDNER Wenn der Siemens-Chef einen Platz im Aufsichtsr­at anbietet, finde ich es bedauerlic­h, wenn dieses Angebot nicht angenommen wird. Ich hätte es interessan­t

gefunden, wenn sich diese Bewegung auch auf unternehme­rischer Ebene mit dem Klimaschut­z auseinande­rsetzen würde. Ich finde die Debatte aber insgesamt überreizt. Gesinnung darf doch nicht wichtiger werden als das reale Ergebnis. Ich fürchte, aus Sicht von Millionen Menschen hat sich die Debatte von ihrer Wahrnehmun­g abgekoppel­t.

Inwiefern?

LINDNER Klimaschut­z ist eine Menschheit­saufgabe. Aber er kann nicht die einzige Aufgabe sein. Individuel­le Lebens- und Entwicklun­gschancen haben auch ihre Berechtigu­ng. Selbst für den Klimaschut­z können wir nicht einfach unsere freiheitli­che Gesellscha­ftsordnung opfern. Manche Klimaaktiv­isten träumen ja davon, dass zufällig zusammenge­setzte Ökoräte Wahlen und Abstimmung­en des Volkes ersetzen. Das ist nicht progressiv, das ist ökoautorit­är. Bei allem Verständni­s für das Anliegen des Protests, dem müssen wir entschiede­n widersprec­hen. Das muss mit und nicht gegen Rechtsstaa­t und Demokratie erreicht werden. Und übrigens auch nicht gegen Wohlstand, sonst gehen uns irgendwann die Leute von der Fahne.

KRISTINA DUNZ UND GREGOR MAYNTZ FÜHRTEN DAS INTERVIEW

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FOTO: DENNIS WILLIAMSON/VISUM Der FDP-Vorsitzend­e Christian Lindner sitzt in einem Porsche SC in Düsseldorf.

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