Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
„Zeit zum Ausruhen bleibt nicht“
Nina Sehovic, Expertin der Bergischen IHK, ordnet die Lage zwischen Brexit und Strafzöllen ein.
Frau Sehovic, der Brexit kommt Ende Januar. Ist die bergische Wirtschaft schon in Panik?
NINA SEHOVIC Das Stimmungsbild in der bergischen Wirtschaft ist sehr gemischt. Viele sind erleichtert, dass jetzt endlich Klarheit über einen Austritt herrscht und die Hängepartie ein Ende hat. Einige sorgen sich aber nach wie vor um ihre Handelsbeziehungen.
Was wird sich denn nach dem 31. Januar für die bergischen Unternehmen ändern?
SEHOVIC Vorerst nichts. Großbritannien bleibt bis Ende 2020 vorübergehend im EU-Binnenmarkt und in der Zollunion. Im Rahmen der Brexitverhandlungen ist diese Übergangszeit vereinbart worden. Damit werden negative wirtschaftliche Folgen vorerst vermieden. Zeit zum Ausruhen bleibt allerdings nicht. Währenddessen muss nämlich ausgehandelt werden, wie die künftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien aussehen sollen. Dabei müssen unzählige Einzelfragen geklärt werden.
Das ist bis Ende des Jahres zu schaffen?
SEHOVIC Ich bin da skeptisch. Bedenkt man, dass für bisherige Verhandlungsergebnisse zu Freihandelsabkommen Jahre notwendig waren, dann sehe ich nicht, wie das jetzt alles innerhalb von nur elf Monaten zu schaffen sein soll.
Was wäre, wenn Ihre Befürchtung zutrifft und die Zeit für die noch ausstehenden Verhandlungen einfach zu knapp ist?
SEHOVIC Dann droht immer noch ein harter Brexit, also ein ungeregelter Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union ohne Freihandelsabkommen.
Wie werden denn die künftigen Beziehungen zu Großbritannien aussehen?
SEHOVIC Das ist leider trotz der zwischenzeitlich geklärten Brexitfrage immer noch ziemlich unklar und soll im Rahmen der angesprochenen Übergangsphase geklärt werden. Im Falle eines harten Brexits bekommt Großbritannien gegenüber der EU den Status eines Drittlandes. Im Warenverkehr zwischen EU und Großbritannien wären dann künftig Zölle zu zahlen. Wünschenswert ist daher aus Sicht der Unternehmen eine Beziehung mit Großbritannien, die den Warenaustausch zwischen beiden Seiten so reibungslos wie bisher ermöglicht.
Wie bereiten sich die bergischen Unternehmen darauf vor? SEHOVIC Auch das ist sehr unterschiedlich. Die meisten halten an ihren britischen Handelspartnern fest. Insbesondere dann, wenn es sich um langjährige und erfolgreiche Geschäftsbeziehungen handelt. Einige wenige haben aber zwischenzeitlich ihre geschäftlichen Beziehungen nach Großbritannien abgebrochen, weil ihnen das alles zu unsicher ist. Diese Firmen haben sich neue Geschäftspartner in anderen Ländern der EU gesucht - zum Beispiel in Frankreich.
Welche Branchen sind besonders betroffen?
SEHOVIC Die intensivsten Geschäftsbeziehungen
mit Großbritannien gibt es im Bereich der Automobil-, Metall- und Maschinenzulieferer und im Bereich des metallverarbeitenden Gewerbes.
Das klingt danach, als habe der Brexit die Bergische IHK richtig auf Trab gehalten?
SEHOVIC Das stimmt. Allerdings muss ich sagen, dass uns die US-amerikanischen Strafzölle in den letzten Monaten noch intensiver beschäftigt haben – und immer noch beschäftigen.
Was meinen Sie genau?
SEHOVIC Im Oktober vergangenen Jahres haben die USA im WTOHandelsstreit mit der EU Strafzölle in Höhe von 25 Prozent auf viele europäische Produkte erlassen. Das betrifft leider auch viele bergische Unternehmen.
Welche bergischen Produkte sind davon denn betroffen?
SEHOVIC Das betrifft viele Produkte aus der metallverarbeitenden Industrie, zum Beispiel Schraubendreher, Äxte und Zangen. Das trifft Hersteller aus Solingen und Remscheid.
Wie reagieren diese Firmen auf die Strafzölle?
SEHOVIC Es gibt die klare Aussage der Betroffenen, dass sie diesen Zustand zwar eine Zeit lang aushalten können – aber nicht dauerhaft.
Und wie soll dann die künftige Lösung für dieses Problem aussehen?
SEHOVIC Wir hören, dass einige Firmen trotz der Strafzölle um den amerikanischen Markt kämpfen wollen. Es gibt seitens dieser Firmen auch Überlegungen, für den Markt in den USA die Preise zu senken, um diese Kunden nicht zu verlieren. Eine langfristige Lösung des Handelsstreits zwischen der USA und EU kann jedoch nur am Verhandlungstisch in Brüssel beziehungsweise Washington gefunden werden.