Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Notfall Notaufnahme
Die häufig überlasteten Ambulanzen sollen neu organisiert und zentralisiert werden. Bei vielen Kliniken in der Region kommt das gut an. Doch es gibt auch Kritik.
DÜSSELDORF Als Hilde N. (Name geändert) eines Abends starke Schmerzen hat, ist die Praxis ihres Hausarztes schon geschlossen. Die Hildener Seniorin ist besorgt – und ruft 116117, die Nummer des kassenärztlichen Notdienstes. Doch dort landet sie zwei Mal in der Warteschleife und fährt schließlich mit dem Taxi in die Notfallambulanz des St.-Josefs-Krankenhauses Hilden. „Dort hat man mir sofort geholfen“, sagt sie, „wenn ich wirklich in Not bin, fahre ich beim nächsten Mal sofort ins Krankenhaus.“
Der Fall aus Hilden steht exemplarisch für die Probleme der Notfallversorgung in Deutschland. Die Aufnahmezahlen steigen seit Jahren, viele Notaufnahmen sind überlastet. Dabei könnte rund ein Drittel der bundesweit elf Millionen ambulanten Notfälle einem Gutachten im Auftrag des Verbands der Ersatzkassen zufolge von niedergelassenen Ärzten behandelt werden. Im Marienhospital Düsseldorf schätzt man die Zahl sogar auf bis zu 50 Prozent der jährlich 20.100 Fälle. „Manchmal komme ich mir vor, als würde ich eine Hausarztpraxis leiten“, sagt der Leiter der Notaufnahme, Georg Welty. Abweisen dürfen die Notaufnahmen die Patienten nicht, „sonst machen wir uns rechtlich angreifbar“, sagt der Chefarzt der Zentralen Notaufnahme (ZNA) im Krankenhaus Erkelenz, Friedrich Hölzl.
Manchen Patienten ist dabei der Weg zur nächsten Notdienstpraxis zu weit, andere wie Hilde N. kommen beim kassenärztlichen Notruf nicht weiter, wieder andere wissen es nicht besser. Es gibt aber auch Extremfälle, sagt Brigitte Ritter-Claas, leitende Ärztin der Notfallambulanz am Gelderner St. Clemens-Hospital: „Einige Patienten lassen sich mit dem Krankenwagen ins Hospital fahren, weil sie Wartezeiten umgehen wollen.“Ihr Kollege Matthias Garczarek, Chefarzt der Notaufnahme im Allgemeinen Krankenhaus (AKH) in Viersen, drückt es so aus: „Es hat sich eine Krankenhaus-to-go-Mentalität
entwickelt. Die Leute fühlen sich krank, googeln und wollen schnell abklären lassen, woran sie leiden.“
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will die Notfallversorgung deshalb neu organisieren. Vergangene Woche hat er einen Gesetzentwurf vorgelegt, durch den Rettungsdienste, niedergelassene
Mediziner und Kliniken verpflichtet werden, Notfälle aus einer Hand zu versorgen. Die beiden Notrufnummern 112 und 116117 sollen als „Gemeinsames Notfallleitsystem“erhalten bleiben, das nach einheitlichen Standards entscheidet, was nötig ist: eine Notfallversorgung vor Ort, eine Rettungsfahrt, eine telemedizinische Behandlung oder ein Hausbesuch durch einen Bereitschaftsarzt. An ausgewählten Krankenhäusern sollen zudem integrierte Notfallzentren (INZ) entstehen, die von Kassenärzten und Kliniken gemeinsam betrieben werden und rund um die Uhr erreichbar sind.
In vielen Kliniken in der Region kommen die Pläne gut an. „Die Kompetenzen müssen so gebündelt werden, dass alles dem Patienten zugute kommt“, sagt der Geschäftsführer des Klinikums Leverkusen, Hans-Peter Zimmermann. Dort arbeitet man seit 2007 mit der kassenärztlichen Notdienstpraxis zusammen, die gegenüber der Klinik liegt. Für Patienten in Dinslaken, Voerde und Hünxe gibt es seit Oktober 2019 eine zentrale Anlaufstelle im Dinslakener St. Vinzenz-Hospital, wo sich auch die Notdienstpraxis befindet. Die Reaktionen seien durchweg positiv – von Patienten wie Ärzten, sagt der stellvertretende Leiter der Notaufnahme, Michael Busko. Der Sprecher des Patientinnen-Netzwerks NRW, Günter Hölling, sagt, es sei nötig, den Rettungs- und Notfalldienst besser zu organisieren: „Dafür
ist der Entwurf ein erster Schritt.“Er fordert, Patientenvertreter an der Neuorganisation zu beteiligen.
„Der Gesetzentwurf ist eine gute Grundlage dafür, dass wir die Notfallversorgung mit den Krankenhäusern auf Augenhöhe und kooperativ organisieren“, sagt auch der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, Frank Bergmann. Zumal es in NRW mit den sogenannten Portalpraxen ohnehin bereits ein ähnliches System gebe. In diesen wird der Behandlungsbedarf der Patienten an einem zentralen Empfang im Krankenhaus eingeschätzt. Von dort werden sie weitergeleitet – in die Notfallpraxis der niedergelassenen Ärzte, in die Notfallambulanz einer Klinik oder in eine ambulante Praxis zu den regulären Sprechzeiten. Bis 2022 sollen diese Bergmann zufolge flächendeckend aufgebaut werden. „Der Gesetzentwurf aus dem Bundesgesundheitsministerium zielt in die gleiche Richtung. Das ist gut“, sagt NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU). Wenig hält er hingegen davon, dass Kliniken ohne INZ künftig Abschläge
in Höhe von 50 Prozent hinnehmen müssen, wenn sie Notfallpatienten annehmen. Das kritisiert auch der Interessenverband Kommunaler Krankenhäuser: Es sei ein Gesetzesvorhaben zu Lasten der Krankenhäuser, sagt die stellvertretende Verbandsvorsitzende Iris Minde.
Mancherorts wird zudem befürchtet, dass durch die Zentralisierung die Versorgung in der Breite leiden könnte. In Duisburg werden Notfallpatienten in acht Kliniken versorgt, die Aufnahme richtet sich nach einem städtischen Rettungsdienstbedarfsplan. „Und das funktioniert gut“, sagt die leitende Ärztin der Notfallaufnahme der evangelischen Kliniken Duisburg-Nord, Andrea Kutzer. Der Chef der ZNA im Hildener St. Josef-Krankenhaus, Oliver Axmann, befürchtet, dass die INZ mit der großen Masse der ambulant zu versorgenden Patienten überfordert sein könnten: „Das wird zu enormen Engpässen mit langen Wartezeiten führen.“
Kritik gibt es auch aus der Politik. Eine zentrale Notfallpraxis bedeute für viele Patienten mehr Wartezeiten und längere Wege, sagt der Moerser SPD-Landtagsabgeordnete René Schneider. Diese soll nach Wunsch der KV Nordrhein in Moers entstehen, als Anlaufstelle für rund 220.000 Menschen. Unter anderem in Kamp-Lintfort und Sonsbeck gäbe es dann keinen ärztlichen Notdienst mehr. Für Schneider wäre das eine Verschlechterung für die Menschen vor Ort, vor allem für Ältere.