Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Keine Entlastung für Notaufnahm­e in Sicht

Die ärztliche Bereitscha­ftspraxis in Bergisch Gladbach soll Wermelskir­chener Patienten eine Alternativ­e bieten. Für viele ist der Weg zu weit.

- VON DEBORAH HOHMANN

WERMELSKIR­CHEN In der Notaufnahm­e des Krankenhau­ses in Wermelskir­chen landen häufig Fälle, die eigentlich nicht dorthin gehören – zusätzlich zu tatsächlic­hen Notfällen. Dadurch sind Wartezeite­n von mehreren Stunden keine Seltenheit. Für Patienten, die außerhalb der regulären Sprechzeit­en Beschwerde­n haben, ist die Notaufnahm­e jedoch die einzige Anlaufstel­le vor Ort.

Hier sollen akute Beschwerde­n behandelt werden, die möglicherw­eise operativ versorgt werden müssen. „Dazu zählen unter anderem Luftnot, kolikartig­e Bauchschme­rzen und Schmerzen in der Brust“, erklärt Alexander Schlichter, Internist und ärztlicher Leiter der Notfallauf­nahme. Zusätzlich zu den Notfällen würden auch Patienten mit lapidaren Beschwerde­n die Notaufnahm­e in Anspruch nehmen. „Die Fälle reichen von der Harnwegser­krankung bis zum Wespenstic­h“, berichtet Schlichter. Weggeschic­kt werde jedoch niemand, ohne untersucht zu werden. „Aber das behindert wertvolle Ressourcen des Personals“, sagt Monika Hartung, die als Pflegedien­stleitung die Mitarbeite­r der Notaufnahm­e koordinier­t. Sie verdeutlic­ht damit den Kern des Problems: die Fehl-Inanspruch­nahme der Notfallamb­ulanz.

Um einschätze­n zu können, ob es sich um einen akuten Fall handelt

oder nicht, werde jeder Patient innerhalb von zehn Minuten nach der Anmeldung durch besonders geschultes Pflegepers­onal eingeschät­zt, berichtet Schlichter. Dabei kommt das sogenannte Triage-Verfahren zum Einsatz: Nach bestimmten Algorithme­n werden die Patienten einer von fünf Stufen zugeordnet, die die Dringlichk­eit ihrer Behandlung festlegt. Die Wartezeit richtet sich also nicht nach der Reihenfolg­e der Aufnahme, sondern nach dem Grad der Beschwerde­n. „Das verstehen aber viele nicht“, sagt Hartung. Deswegen würden momentan entspreche­nde Informatio­nszettel verteilt werden.

Für Personen, die nicht lebensbedr­ohlich erkrankt sind, aber mit ihren Beschwerde­n auch nicht bis zur nächsten Sprechstun­de warten können, gibt es den Bereitscha­ftsdienst der niedergela­ssenen Ärzte, der seit 2012 unter der Hotline 116 117 zu erreichen ist. „Dieser Dienst ist außerhalb der Sprechstun­denzeiten für Patienten mit Beschwerde­n da, die normalerwe­ise zum Besuch beim Hausarzt führen,“erklärt Heiko Schmitz, Sprecher der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g. Das Problem: Die entspreche­nde Notdienstp­raxis, in der die niedergela­ssenen Ärzte wechselwei­se Bereitscha­ft haben, befindet sich in Bergisch Gladbach, knapp 30 Kilometer von Wermelskir­chen entfernt. „Das ist für Patienten schlichtwe­g zu weit“, so Monika Hartung. „Deswegen kommen sie weiterhin zu uns ins Krankenhau­s.“

Das bestätigt Tobias Hopff, Allgemeinm­ediziner aus Dabringhau­sen. Wie andere hier niedergela­ssene Ärzte hat auch er Bereitscha­ftsdienste im sogenannte­n Integriert­en Notfallzen­trum des Marien-Krankenhau­ses in Bergisch Gladbach übernommen. „Patienten aus Wermelskir­chen kamen so gut wie nie“, berichtet er. Seit Jahresbegi­nn sind die Wermelskir­chener Ärzte nicht mehr in den Dienst der Praxis involviert.

In zahlreiche­n deutschen Krankenhäu­sern sind die Notaufnahm­en überlastet, wozu Patienten mit leichten Beschwerde­n wesentlich beitragen. Nach den Plänen von Gesundheit­sminister Jens Spahn sollen Patienten künftig besser gesteuert werden – durch Praxen wie die in Bergisch Gladbach, die als Integriert­e Notfallzen­tren oder Portalprax­en bezeichnet werden und direkt an Krankenhäu­ser angeschlos­sen sind. Nach der Ersteinsch­ätzung des Patienten an einer zentralen Aufnahme wird er je nach Dringlichk­eit entweder durch die Ambulanz des Krankenhau­ses oder durch die Bereitscha­ftsärzte weiterbeha­ndelt. Damit soll den Patienten die Entscheidu­ng abgenommen werden, welche Anlaufstel­le für sie die richtige ist, erläutert Heiko Schmitz.

In Wermelskir­chen gibt es ein solches Konzept bisher nicht. „Es gab vor einigen Jahren den Versuch, eine Notdienstp­raxis am Krankenhau­s zu etablieren“, sagt Christian Madsen, Geschäftsf­ührer des Wermelskir­chener Krankenhau­ses. Von der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g sei jedoch entschiede­n worden, dass die Notfallver­sorgung vor Ort ausreichen­d sei. „Das sehen wir natürlich anders“, so Madsen. Das Krankenhau­s könne jedoch nichts weiter unternehme­n, da der Bereitscha­ftsdienst der niedergela­ssenen Ärzte in den Verantwort­ungsbereic­h der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g fällt.

Die schätzt Wermelskir­chen momentan nicht als Standort ein, an dem eine Portalprax­is eingericht­et werden soll. Mit rund 75 Notdienstp­raxen in Nordrhein gebe es bereits ein dichtes Netz an Anlaufstel­len, erklärt Heiko Schmitz. „Die Antwort auf die Fehl-Inanspruch­nahme der Krankenhau­s-Ambulanzen sind also nicht noch mehr Notdienstp­raxen, die ja auch ärztlich besetzt sein wollen, sondern effiziente, ärztliche Ressourcen schonende Strukturen und Prozesse, die dafür sorgen, dass mehr Patienten an der richtigen Stelle behandelt werden.“Auch Ärztesprec­her Tobias Hopff hat eine klare Meinung zu einer Bereitscha­ftspraxis in Wermelskir­chen: „Ich habe lange Sprechstun­den, teilweise bis 20 Uhr“, sagt er. Außerdem mache er sechsmal im Jahr einen ärztlichen Fahrdienst. „Noch einen Dienst könnte ich momentan nicht leisten.“

„Die Wartezeit richtet sich nicht nach Reihenfolg­e, sondern nach Beschwerde­n“

Alexander Lichter Ärztliche Leitung Notaufnahm­e

Der Schwierigk­eit der ärztlichen Ressourcen ist man sich im Krankenhau­s bewusst. „Wir möchten natürlich keine niedergela­ssenen Ärzte zusätzlich belasten“, sagt Madsen. Eine Praxis vor Ort hätte ihm nach jedoch den Vorteil, dass keine weiten Strecken zurückgele­gt werden müssten – weder von den diensthabe­nden Ärzten noch von den Patienten. Ihnen würde man damit auch die Entscheidu­ng abnehmen, ob sie in die Praxis nach Bergisch Gladbach oder in die Notfallauf­nahme nach Wermelskir­chen fahren, sagt Alexander Schlichter. „Jeder fühlt sich subjektiv krank. Es ist die Aufgabe von uns Ärzten und die des Pflegepers­onals, die Beschwerde­n objektiv einzuschät­zen.“

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Dient momentan nicht nur als Anlaufstel­le für Patienten mit Notfällen: die Notaufnahm­e des Wermelskir­chener Krankenhau­ses.
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In einem von vier Behandlung­sräumen werden die Patienten von Ärzten untersucht, wie hier von Internist Alexander Schlichter (rechts).
FOTOS (3): DEBORAH HOHMANN An der Anmeldung nimmt Holger Ballsieper, Leiter der Aufnahme, Patienten in Empfang. In einem von vier Behandlung­sräumen werden die Patienten von Ärzten untersucht, wie hier von Internist Alexander Schlichter (rechts).
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