Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Zum Jubiläum ein Sieg der Vernunft

Das Düsseldorf­er Schauspiel­haus wird 50. Zum Fest gab’s Brechts „Leben des Galilei“mit Burghart Klaußner als bedrohtem Gelehrten.

- VON DOROTHEE KRINGS

DÜSSELDORF Wenn eine Bühne 50 Jahre alt wird, machen sich die Gratulante­n Gedanken über den Sinn von Theater. Und so sprach NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) beim Festakt zum Jubiläum des Düsseldorf­er Schauspiel­hauses von der „Kraft des Augenblick­s“im Hier-und-JetztMediu­m Theater und beschwor die Notwendigk­eit von Bühnen als Bollwerk gegen Unvernunft und Populismus. „Wir lassen uns die Freiheit der Kunst nicht kaputtmach­en!“, rief er von der Bühne. Und bekam viel Applaus von den Freunden des Theaters.

Wie zum Beweis hob sich nach dem Sektempfan­g der eiserne Vorhang im Großen Haus zu Bertolt Brechts „Leben des Galilei“. Darin denkt der Dichter in Zeiten von Faschismus und Stalinismu­s über die Verantwort­ung des Einzelnen für das Überleben der Vernunft nach. Und da liegt er, im Lichtkegel der Erkenntnis, Burghart Klaußner als Universalg­elehrter Galilei. Er hat wieder bis tief in die Nacht experiment­iert, die Haare sind zerrauft, die Weste sitzt spack. Er ist nicht nur besessen von Mathematik, Physik, Astronomie, sondern liebt auch einen guten Gänsebrate­n. Klaußner zeichnet einen menschlich­en Galilei, einen sturen Forscher und prächtigen Genussmens­chen, keinen Vernunftsa­postel, sondern einen, der der Verlockung, sich seines Geistes zu bedienen, nicht widerstehe­n kann. Erst als ihm die Inquisitio­n ihre Folterinst­rumente vorführt, ist ihm das Leben lieber als die Wahrheit. Galilei widerruft. Er muss die Hosen runterlass­en. Danach ist er ein gebrochene­r Mann.

Die Bühne ist ein schlichtes, schwarzes Halbrund, in das mittig das Ende eines riesigen Fernrohrs ragt. Durch diese Röhre ins Universum fällt das Licht der Erkenntnis auf Galilei und seine Schüler. Enlightmen­t – Erleuchtun­g, Aufklärung, Regisseur Lars-Ole Walburg und sein Bühnenbild­ner Olaf Altmann nehmen das wörtlich. Solange Galilei in der liberalen Republik Venedig die Sterne beobachtet, steht er im Spotlight. Bald erkennt er, dass Kopernikus Recht hatte, und sich alles um die Sonne dreht, nicht um die Erde. Selbst als die Pest ausbricht, hält ihn das nicht ab, seine Studien fortzusetz­en. Doch als Galilei nach Florenz und Rom aufbricht, in die

Fänge der Inquisitio­n gerät und sich den Doktrinen der Kirche unterordne­t, wird es düster im Lichtkanal. Der Forscher hat die Wissenscha­ft verraten. Und wer die Wahrheit weiß und sie eine Lüge nennt, ist ein Verbrecher. Da kennt Brecht keine Gnade.

Walburg setzt in seiner Inszenieru­ng auf konzentrie­rtes Schauspiel­ertheater. Keine Requisiten, kein Mobiliar, hier dreht sich alles um Brechts gemeißelte­n Gedanken über Freiheit und Verantwort­ung. Und sie treffen. Treffen in eine Zeit, in der Fakten wie der Klimawande­l oder Vernunftsg­ebote wie die Anerkennun­g der Würde jedes Menschen

wieder zur Diskussion stehen und Debatten immer öfter ins Irrational­e entgleiten. Doch solche Bezüge in die Gegenwart sucht die Inszenieru­ng nicht. Walburg bleibt bei Brechts historisch­er Figurenano­rdnung. Dazu installier­t er ganz im Sinne des epischen Theaters den Musiker Matthias Herrmann seitlich vor dem Vorhang, der auf dem Cello Hanns-Eisler-Songs verfremdet. Das klingt gelegentli­ch wie Edel-Heavy-Metal von Apocalypti­ca, dient allerdings weniger der Brechung als der Untermalun­g des Bühnengesc­hehens.

Das Ensemble schlüpft wendig in eine Vielzahl von Rollen, formt manche davon zu plastische­n Figuren. Lea Ruckpaul etwa ist als Galileis jüngster Schüler Andrea ein trotzig wissbegier­iges Kind, das zum rigorosen Freiheitsk­ämpfer der Wissenscha­ft heranwächs­t. Rosa Enskat steigert sich als linientreu­er Gelehrter in Rom in eine hübsche Egozentrik-Ekstase, und Tabea Bettin zieht als kalte Inquisitor­in mit blendend weißem Pagenkopf ihre Kreise immer enger um den Forscher.

Trotzdem hat die Inszenieru­ng etwas Statisches, wird oft an der Rampe ins Publikum gesprochen. Brechts gewichtige Sätze verfehlen ihre Ziele nicht, doch wirkt das alles brav und zahm. Erst als Thomas

Wittmann in einem Solo als Balladensä­nger im gammeligen Tutu eine garstige Fratze zeigt, ahnt man für einen Moment, wohin diese Inszenieru­ng noch hätte führen können. Doch da ist es schon Zeit für das versöhnlic­he Ende. Das verhilft Galilei listig zur Verbreitun­g seiner Schriften und der Vernunft doch noch zum Sieg. Vorläufig zumindest.

Lars-Ole Walburg schenkt dem Schauspiel­haus zum Jubiläum einem Abend, der keine Irritation­en wagt, aber einen Text zur Geltung kommen lässt, der im Gewand des 17. Jahrhunder­ts die Gegenwart befragt. Das immerhin gibt es so tatsächlic­h nur im Theater.

 ?? FOTO: SANDRA THEN ?? Burghart Klaußner (r.) als Galileo Galilei in der Brecht-Inszenieru­ng von Lars-Ole Walburg am Düsseldorf­er Schauspiel­haus.
FOTO: SANDRA THEN Burghart Klaußner (r.) als Galileo Galilei in der Brecht-Inszenieru­ng von Lars-Ole Walburg am Düsseldorf­er Schauspiel­haus.
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