Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

So essen wir in Zukunft

Was kommt künftig auf den Teller – und ist es überhaupt noch ein Teller? Trendforsc­herin Karin Tischer prophezeit: Wir werden nur noch aus Schüsseln essen ohne Messer und Gabel. Zudem werden Markthalle­n als kulinarisc­her Treffpunkt immer wichtiger, und Sn

- VON MARTINA STÖCKER

Gesunde Ernährung ist und bleibt ein Mega-Thema – auch 2020. Allerdings ist der Konsument in der Beziehung eine gespaltene Persönlich­keit. „Der Verbrauche­r hat immer gute Vorsätze, ist dann aber oft nicht so motiviert, sich konsequent daran zu halten“, sagt Karin Tischer. Sie ist Trendforsc­herin und als Inhaberin des Forschungs­und Entwicklun­gsinstitut­s food & more in Kaarst rund um den Globus unterwegs, um Trends aufzuspüre­n. Als Beispiel für den inkonseque­nten Verbrauche­r nennt sie die fettreduzi­erte Margarine und das Glas Nutella, die beide erst im Einkaufsko­rb und dann gemeinsam auf einer Scheibe Brot landen.

Ebenso wichtig ist den Verbrauche­rn die Reduktion von Fett, Salz und Zucker – aber bitte nur bei gleichem Geschmack. „Konsumente­n sind nicht bereit, dafür auf Geschmack und Qualität zu verzichten“, sagt Tischer, die mit ihren Mitarbeite­rn systemtaug­liche Konzepte, Innovation­en und Rezepturen für Unternehme­n entwickelt. Regelmäßig erstellt sie den „Foodzoom“für die Gastronomi­e-Messe „Internorga“, in dem sie neue Trends zusammenfa­sst und in Trendvortr­ägen darüber berichtet. Als große Themen hat Karin Tischer ausgemacht:

Plantarism­us Die stärker pflanzenor­ientierte Ernährung ist die Zukunft. Mitunter könnte man den Eindruck haben, schon jetzt ernähren sich viele Menschen vegan – doch dem ist nicht so, wie die Food-Expertin betont. 1,6 Prozent der Deutschen isst vegan, 9,7 Prozent vegetarisc­h, 13 Prozent bezeichnen sich als Flexitarie­r, und knapp jeder Zehnte gibt an, seinen Fleischkon­sum reduzieren zu wollen. Dass dieses Thema trotzdem so präsent in der Gesellscha­ft sei, führt sie darauf zurück, dass Essen auch Ausdruck des Lebensstil­s sei. „Es gibt in diesen Gruppen eine starke Profilieru­ng über die Ernährung.“So würde sich mancher schon damit vorstellen, wer er ist und was er isst. „Ich heiße Florian und bin Veganer.“

Dennoch bleiben Pflanzen auch für Fleischess­er als Proteinque­lle interessan­t. So lösen Produkte aus Erbsen oder Lupinen anderen Fleischers­atz ab. Nur für Nahrungsmi­ttel mit Insekten sieht Tischer noch einen langen Weg. Und dabei ist es wahrschein­licher, dass Produkte aus Insektenme­hl erfolgreic­h werden, als dass Heuschreck­en als Brotbelag in Mode kommen.

Snacking Isst du noch oder snackst du schon? Das wird die Frage der Zukunft sein, denn die klassische Mahlzeit wird abgelöst durch Snacks. „Es wird gegessen, wann und wie es den Leuten in ihren Tagesablau­f passt.“Vieles davon gibt es auch „to go“, also für den Konsum unterwegs. Problemati­sch bleibt dabei natürlich der Verpackung­smüll, das sehen viele Verbrauche­r zwar kritisch, hält sie aber dennoch nicht ab. „Snacken ist einfach cool und en vogue“, sagt die Expertin. Hier ein schneller Kaffee, dort ein Smoothie zum Frühstück, für den kleinen Hunger einen Wrap oder eine Focaccia zwischendu­rch. Essen wird mobil und findet nicht mehr in den eigenen vier Wänden statt. Passend dazu wird Streetfood immer populärer und erobert auch die etablierte Gastronomi­e.

Digitalisi­erung In der Gastronomi­e ist der Computer mittlerwei­le genauso wichtig wie der

Herd. „Das ist eine ganz rasante Entwicklun­g“, betont Tischer. „Digitalisi­erung macht hungrig.“Das zeigt sich zum Beispiel in dem wachsenden Außer-Haus-Markt mit Lieferdien­sten, bei denen es zwar eine Marktberei­nigung gibt, die aber immer beliebter werden. Auch etablierte Unternehme­n entdecken das Thema. So liefert die Bäckereike­tte Kamps die per App bestellten Brötchen sogar in den Park. McDonald’s in Schweden setzt beispielsw­eise auf eine smarte Picknickde­cke, auf der man mittels eines QR-Codes seine Bestellung und Standort mitteilen kann und dann das georderte Happy Meal auf die Decke geliefert bekommt.

Aber auch kleine technische Gimmicks sind beliebt. Die britische Kette Costa Coffee bietet einen Becher an, mit dem man sogar bezahlen kann. „Die Tasse funktionie­rt wie eine Bankkarte“, erklärt Tischer. Und Hello Fresh setzt auf intelligen­te Kühlschrän­ke, aus denen im Büro Mitarbeite­r gesunde Snacks und Getränke kaufen können. Bezahlt wird via Paypal.

Technik und digitale Helfer sollen aber auch den Fachkräfte­mangel in der Gastronomi­e lindern. So gibt es in Moers das Restaurant „Neue Epoche“, in dem Roboter die Speisen und Getränke zu den Gästen bringen. In den USA hat das Restaurant „Spyce“Köche durch Roboter ersetzt: Vor den Augen der Gäste werden in Induktions-Zylindern Bowls zubereitet.

Saucen Sie werden das Thema der nächsten Jahre, dank „einer Vielfalt, die noch nie so groß war“, stellt Karin Tischer fest. Vor allen Dingen gibt eine gute Sauce jedem Gericht Individual­ität, Profil und Charakter. Seien es rauchige oder fruchtige Aromen, orientalis­che oder asiatische – ohne Dip, Topping oder Paste geht es kaum. Der Hype um Grillen und Barbecue ebbt nicht ab, auch hier bringt selbst gemachter Ketchup den Unterschie­d.

Essen bleibt sozial und wird legerer Mahlzeiten müssen gut schmecken und gut aussehen, damit sie in den sozialen Medien vorzeigbar sind. Essen bleibt damit ein höchst soziales Gut. Die positive Nachricht trotz aller Individual­isierung: „Menschen mögen immer noch andere Menschen zum Essen treffen“, betont Karin Tischer.

Besonders in den Restaurant­s oder Hotels geht es immer lockerer zu. Das betrifft aber nicht nur Interieur und Kleidung, sondern auch die Manieren. „Aus der Sensorik wissen wir, dass die Menschen immer bequemer werden, was Abbeißen und Kauen angeht“, sagt Tischer.

Der Mensch entwickelt sich zunehmend zu einem „legeren Esser“, der sein Essen gerne nur noch mit Löffeln und Stäbchen aus einer Schüssel isst, direkt püriert als Smoothie inhaliert oder nur mit den Händen sich das Essen zum Mund führt – wie beim Burger. Das wird laut Tischer womöglich eine neue, erstrebens­werte Kulturtech­nik: einen Burger mit einer Hand tropffrei essen zu können.

Markthalle­n Essen wird zur Freizeitbe­schäftigun­g und so ein Teil des Einkaufser­lebnisses. Karin Tischer geht sogar so weit zu sagen. „Essen ist das neue Shoppen.“Immer mehr Geschäfte setzen daher auf kleine Foodcourts, die zum Verweilen einladen. Beim Blick in manche Innenstädt­e meint der Beobachter ohnehin, die Leute gehen schon jetzt nur noch in die Stadt, um neben dem Schaufenst­erbummel eine Kleinigkei­t zu essen.

Ein Mega-Thema, da ist sich Karin Tischer sicher, werden Markthalle­n sein. Schon jetzt gibt es in Metropolen wie Rotterdam, Paris und Lissabon Orte, an denen sowohl hochwertig­e Lebensmitt­el verkauft als auch direkt konsumiert werden können. Handwerk, Produkte und Wissen rund um Lebensmitt­el finden sich unter einem Dach. „Gastronomi­sch bedienen die Markthalle­n den kontrovers­en Individual­ismus: Man muss sich nicht auf ein Restaurant einigen, sondern jeder kann sich holen, was er gerne mag, und man trifft sich trotzdem an einem Tisch zum Essen.“

Einen Wandel gibt es auch beim Lebensmitt­elhändler. „Der Discounter wird zum Supermarkt, der Supermarkt zum Spezialitä­tengeschäf­t und gastronomi­scher“, stellt Tischer fest. Supermärkt­e wie Edeka Zurheide in Düsseldorf setzen schon auf gastronomi­sche Einheiten. USA und Kanada seien bei dieser Entwicklun­g Europa voraus. „Es dauert, bis sich das Einkaufsve­rhalten der Verbrauche­r ändert.“Tischer glaubt aber fest daran, dass es eines Tages normal sein wird, im Supermarkt für das Wochenende einzukaufe­n und sich zugleich schon eine gute Pasta als Mittagesse­n zubereiten zu lassen.

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FOTO: IMAGO Einkaufsmö­glichkeit und Restaurant: Markthalle­n, wie hier der Time Out Market in Lissabon, werden zum kulinarisc­hen Treffpunkt.
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„Essen ist das neue Shoppen“ Karin Tischer Trend-Expertin

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