Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Was gegen Hass und Hetze nötig ist

Politiker, die öffentlich bedroht und beleidigt werden, erfahren häufig Solidaritä­t durch die Bevölkerun­g – wie in Kamp-Lintfort. Aber Demos und Krisentref­fen allein, so wichtig sie auch sind, werden nicht ausreichen.

- VON EVA QUADBECK

Es ist ein Gift, das langsam wirkt: böse Mails, hier ein Hasskommen­tar, dort eine offene Drohung, dann der Name des Betroffene­n auf einer Todesliste. Wer gegen andere hetzen möchte, kann das in der Anonymität des Internets besonders gut. Dass aus Worten Taten werden können, weiß man nicht erst seit Erfindung der sozialen Netzwerke.

Aus vielen Worten werden ganz offensicht­lich besonders schnell Taten. 2019 gab es dafür eine Reihe dramatisch­er Beispiele, nur zwei davon: Bevor ein Neonazi auf den hessischen Regierungs­präsidente­n Walter Lübcke die tödlichen Schüsse abgab, hatte eine verbale Hetze gegen den Kommunalpo­litiker in sozialen Netzwerken stattgefun­den, Aufrufe zum Mord wegen seiner Einstellun­g zur Flüchtling­spolitik waren auch dabei. Dem antisemiti­schen Täter von Halle, der zuerst versuchte, in eine Synagoge einzudring­en, und dann zwei Passanten erschoss, war es wichtig, seine Tat gleich im Internet zu übertragen. Um so viel Aufmerksam­keit wie möglich für seine Hass-Tat zu bekommen, trug er eine Kamera auf dem Kopf.

In unserer nervösen Gesellscha­ft schaukeln sich Hass und Hetze zwischen digitaler und realer Welt hoch. Den Staat stellt das vor völlig neue Herausford­erungen: Immer mehr Gruppierun­gen, von Pegida bis zu den Demonstran­ten im Hambacher Forst, nehmen es sich heraus, für ihre Anliegen nicht nur gegen normale Umgangsfor­men zu verstoßen, nicht nur zivilen Ungehorsam an den Tag zu legen, sondern auch Gesetzesbr­üche zu begehen. Linksradik­ale haben im Hambacher Forst Polizisten mit Kot beworfen, Rechtsradi­kale rufen offen zum Mord an Politikern auf.

Insbesonde­re Kommunalpo­litiker sind zum Freiwild geworden: Galgen im Vorgarten, Kot-Päckchen im Briefkaste­n, gelöste Radmuttern am Auto – viele Bürgermeis­ter in Deutschlan­d können solche Geschichte­n erzählen. Ihre Wahlmöglic­hkeiten sind nicht groß: durchhalte­n oder aufgeben. Alleine kommen sie gegen die Attacken aus dem Hinterhalt nicht an. Von den Behörden haben sie erst einmal nicht viel zu erwarten. Personensc­hutz erhalten sie erst, wenn das Kind längst in den Brunnen gefallen ist, wie der Fall des Bürgermeis­ters von Kamp-Lintfort, Christoph Landscheid­t, zeigt.

Insbesonde­re auf der kommunalen Ebene hat die Demokratie nur wenige Instrument­e und Kapazitäte­n, eine wehrhafte zu sein. Was hilft, ist Öffentlich­keit: Bürgermeis­ter, die mit Anwürfen, Drohungen und Beleidigun­gen gegen sich öffentlich umgehen, erfahren in der Regel Solidaritä­t durch die Mehrheit der Gemeinde. Die Täter werden vorsichtig­er, wenn sie wissen, dass die Mehrheit aufpasst. Hinter dem Bürgermeis­ter von Kamp-Lintfort, der sich den Drohungen Rechtsradi­kaler ausgesetzt sieht, versammeln sich inzwischen viele Menschen weit über seine Kommune hinaus.

Der Aufstand der Anständige­n ist für bedrohte Kommunalpo­litiker zentral als Zeichen, dass ihre Person und ihre Arbeit trotz aller Anfeindung­en geschätzt und gebraucht werden. Aber die Solidaritä­t alleine reicht nicht aus. Sachbeschä­digung, Anschlagsv­ersuche, Aufrufe zu Gewalt sowie justiziabl­e Bedrohunge­n und Beleidigun­gen müssen konsequent verfolgt werden. Das geschieht bislang viel zu wenig. Nicht nur besonders bedrohte Kommunalpo­litiker wie die Kölner Oberbürger­meisterin Henriette Reker und das Stadtoberh­aupt im sauerländi­schen Altena, Andreas Hollstein, wissen dies zu berichten.

Strafanzei­gen gegen Aufrufe zu Gewalt oder schlimmste Beleidigun­gen werden häufig einfach eingestell­t. Die Justiz ist überforder­t, personell unterbeset­zt und für diese Art der Straftaten nicht ausreichen­d ausgebilde­t. Wenn dann auch noch Urteile gesprochen werden wie im Fall der Grünen-Bundestags­abgeordnet­en und früheren Landwirtsc­haftsminis­terin Renate Künast, in dem Richter Ausdrücke wie „Stück Scheiße“und Schlimmere­s als Meinungsäu­ßerung werteten, dann muss man fürchten, dass den Politiker-Job bald niemand mehr machen möchte.

Wie hilflos auch führende Parteienve­rtreter in Amt und Mandat gegenüber dem zügellosen Hass sind, zeigt auch der jüngste Fall des im Senegal geborenen SPD-Bundestags­abgeordnet­en Karamba Diaby, auf dessen Bürgerbüro geschossen wurde. Mutmaßlich eine zugleich politische und rassistisc­he Tat. Die Schüsse sind nur eine Eskalation­sstufe zusätzlich. Schmierere­ien und mit Steinen eingeworfe­ne Fenster erleben Abgeordnet­e verschiede­ner Parteien immer wieder. Die Angriffe kommen nicht nur von Rechtsradi­kalen: Sehr häufig sind auch AfD-Politiker Ziel von Linksradik­alen.

Und wie reagieren die Verantwort­lichen in Berlin? CSU-Innenminis­ter Horst Seehofer sieht eine erhebliche Gefahr für die Demokratie. Der SPD-Generalsek­retär Lars Klingbeil regt ein Krisentref­fen der Geschäftsf­ührer und Generalsek­retäre aller im Bundestag vertretene­n Parteien außer der AfD an. Es gibt viele gute Gründe, die AfD nicht als normale Partei im demokratis­chen Gefüge zu behandeln. Zumal sie an der aufgeheizt­en gesellscha­ftlichen Stimmung eine große Mitschuld trägt und die demokratis­chen Spielregel­n oftmals verhöhnt. Von gewaltsame­n Übergriffe­n sind aber auch ihre Politiker stark betroffen.

Statt eines Krisentref­fens wäre es hilfreich, das geplante Gesetzespa­ket gegen Hass und Hetze rasch umzusetzen. Es beinhaltet beispielsw­eise die Verpflicht­ung für Plattform-Betreiber, die Identität von Nutzern an die Behörden weiterzuge­ben, wenn diese strafrecht­lich relevante Inhalte verbreiten. Vorgesehen ist auch, dass das Bundeskrim­inalamt mit mehr Personal ausgestatt­et wird, um das Geschehen im Netz zu überwachen. Dann fehlen nur noch die Schwerpunk­tstaatsanw­altschafte­n, die Vergehen konsequent und hart ahnden.

In unserer nervösen Gesellscha­ft schaukeln sich Hass und Hetze zwischen virtueller und realer Welt hoch

Newspapers in German

Newspapers from Germany