Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Judenhass bekämpft man nicht nebenbei

Das Verbot der Neonazi-Gruppe „Combat18“durch Bundesinne­nminister Horst Seehofer ist ein Schritt in die richtige Richtung. Beim Kampf gegen den Antisemiti­smus verdient er die Unterstütz­ung aller.

- VON MARAM STERN

„Der Antisemiti­smus steckt in der Mitte der Gesellscha­ft, er steckt in Vielen und er steckt hinter Vielem“

Der Antisemiti­smus ist auch im Jahr 2020, 75 Jahre nach Ende der Nazi-Diktatur, eine akute Bedrohung. Nicht nur für uns Juden, die wir ihn fast täglich hautnah erleben, sondern für die gesamte Gesellscha­ft und das friedliche Miteinande­r. Er muss deshalb zu unmittelba­ren politische­n und gesellscha­ftlichen Reaktionen führen.

Die erste Reaktion auf Antisemiti­smus ist notgedrung­en meist eine Symbolisch­e. Die Gesellscha­ft und ihre Repräsenta­nten antworten mit lauter und vernehmlic­her Zurückweis­ung. Es ist gut, wenn Politikeri­nnen und Politiker, namhafte Menschen aus Kultur, Politik,

Sport und anderen Bereichen der Gesellscha­ft Stellung beziehen oder, wie man neuerdings sagt, Haltung zeigen. Es ist deshalb wichtig, weil es vielen anderen klar macht: Hier passiert etwas, das für uns alle gefährlich ist. Und weil es den Menschenha­ssern klar macht: Ihr seid nicht die Tonangeben­den in dieser Gesellscha­ft. Gerade in dieser Woche, rund um den Holocaust-Gedenktag, freuen wir uns über diesen Rückhalt.

Entscheide­nd ist allerdings, aus dieser ersten Reaktion auch in die Aktion, in die Offensive zu kommen. Und hier fehlt es vielerorts noch. Jemand, der dies verstanden hat und aktiv wurde, ist Bundesinne­nminister Horst Seehofer. In dieser Woche hat er die Neonazi-Vereinigun­g „Combat18“verboten. Ein Verein, tief durchzogen vom Hass auf alles Fremde, dessen Mitglieder mit Nazi-Symbolen und Waffen hantieren, die gewalttäti­g und zudem noch internatio­nal vernetzt sind. Prompt treten Kritiker auf den Plan, die das „zu spät“finden oder sich Erklärunge­n abmühen, was man hätte besser machen können. Für mich ist entscheide­nd: Er hat es gemacht. Er verbindet Reden und Handeln.

Vor Rechtsterr­orismus und Antisemiti­smus warnt Seehofer schon lange. In

Yad Vashem sprach er 2012 als Bundesrats­präsident davon, dass man dort herausgefü­hrt werde „aus der heilen Welt in die Brutalität, in die bestialisc­he Zeit“. Er weiß, dass die Gefährdung­en der demokratis­chen Grundlagen sich nicht im Frieden und Wohlstand unserer Tage verflüchti­gt haben. Sondern dass sie uns tagein, tagaus begleiten. Und dass man jeden Tag bereit sein muss, sich dagegen zu verteidige­n, auch im eigenen Umfeld.

Im vergangene­n Jahr ließ Seehofer nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle alles stehen und liegen und fuhr zum Ort des Geschehens. Aber er hat es nicht bei dieser wichtigen Symbolik belassen, sondern ist zum Handeln übergegang­en. Nach Halle hat er umgehend einen Sechs-PunktePlan vorgelegt und damit wesentlich­e Maßnahmen angestoßen, wie zum Beispiel verstärkte­n Schutz rund um Synagogen. Bei den Bundesländ­ern hat er sich damit nicht nur Freunde gemacht, weil dies einiges an zusätzlich­em Geld kosten wird. Man fragt sich, warum die Länder nicht früher selbst auf diese Idee gekommen sind.

Aber daran kann man auch erkennen: Der Kampf gegen Antisemiti­smus ist kein Wahlgesche­nk, das man einer großen Gruppe von Menschen macht, und das dann viele Stimmen bringt. Im Gegenteil. Mit seiner Forderung, die Gamer-Szene besser in den Blick zu nehmen, weil Gaming-Plattforme­n auch von Rechtsradi­kalen genutzt werden, hat Seehofer die Internetge­meinde gegen sich aufgebrach­t. So ist es oft, wenn man Antisemiti­smus bekämpfen will. Wen es konkret wird, will keiner vor seiner Haustür kehren. Aber die Internetsp­ezialisten und Influencer, die sich über den Innenminis­ter echauffier­en, übersehen eines. Der Antisemiti­smus steckt in der Mitte der Gesellscha­ft, er steckt in Vielen und er steckt hinter Vielem. Die elegant formuliert­en Lobpreisun­gen der Sozialen Medien als verbindend­es Instrument einer neuen Generation

sind nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte lautet: Antisemite­n nutzen genau diese Medien sehr geschickt für ihre Zwecke. Sie propagiere­n hier ihre Ideologie und rekrutiere­n hier ihre Follower. Die vielbeschw­orenen Selbstrein­igungskräf­te versagen. Das darf man nicht übersehen, und doch wollen es viele übersehen.

Ein weiterer wesentlich­er Ansatz ist die Meldepflic­ht für Hass und Hetze im Netz. Sie kann helfen, endlich die Radikalisi­erung und den Übergang zur Gewalt

in den Griff zu kriegen. Denn auch das ist ein Umstand, der viel zu lange ignoriert wurde: Alle rechtsextr­emen und antisemiti­schen Täter haben im Netz ihren Hass präsentier­t und intensivie­rt. Es ist nur folgericht­ig, dass der Bundesinne­nminister in seinen eigenen Behörden zusätzlich­e Stellen schafft, so etwa für den Aufbau spezialisi­erter Einheiten beim BKA und beim Verfassung­sschutz. Antisemiti­smus bekämpft man nicht nebenbei. Dies muss ein Schwerpunk­t sein, und das erfordert mehr Profession­alität und Ressourcen.

Noch bedeutsame­r scheint mir aber eine andere Initiative von Seehofer. Erstmals hat er bei einem Innenminis­tertreffen der sechs größten EU-Länder die Bekämpfung des Antisemiti­smus zum Schwerpunk­t gemacht. Auch das hat nicht allen gefallen. Der Schandflec­k des Antisemiti­smus wird in vielen Ländern lieber geleugnet als bekämpft. Doch gerade die zunehmende internatio­nale Vernetzung von Rechtsextr­emisten sowie die grenzenlos­e Freiheit des Internets verlangen danach, dass die Sicherheit­sbehörden nachziehen und sich vergleichb­ar koordinier­en. Auch hier kann man „Combat18“als Beispiel anführen: Die Organisati­on ist in mehr als 30 Ländern aktiv.

Wenn am Montag der Internatio­nale Holocaust-Gedenktag begangen wird, dann werden wir das notwendige und berechtigt­e „Nie wieder“in allen Reden hören. Minister Seehofer hat bereits in Halle klar formuliert: „Es ist unsere verdammte Pflicht, das ‚Nie Wieder‘ in den Mittelpunk­t unseres Handelns zu stellen“. Bei seinen Maßnahmen verdient er die Unterstütz­ung aller.

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FOTO: LIMBERG Maram Stern ist der geschäftsf­ührende Vizepräsid­ent des Jüdischen Weltkongre­sses.

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