Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Widerstand gegen ein Tempolimit bröckelt
Der ADAC gibt seine strikte Ablehnung einer generellen Geschwindigkeitsbeschränkung auf. Die Union gerät damit weiter unter Druck.
BERLIN Es sei ein Ausdruck von Freiheit, ab und zu Gas geben zu dürfen. So argumentieren viele Autofahrer in Deutschland gegen ein generelles Tempolimit auf Autobahnen. Doch die Mitglieder des ADAC sind nicht mehr unbedingt dieser Meinung. Der mächtige Verein, in dem 21 Millionen Menschen organisiert sind, ist zur Frage nach einer Geschwindigkeitsbegrenzung mittlerweile tief gespalten. 50 Prozent sind internen Umfragen zufolge gegen das Tempolimit, 45 Prozent dafür.
Die Konsequenz? Ab sofort will der Club neutral sein und nicht mehr wie bisher gegen ein Tempolimit zu Felde ziehen. Wissenschaftler sollen die Vor- und Nachteile ergründen. „Wichtig ist es, Grenzen und Möglichkeiten eines Tempolimits für die Verkehrssicherheit und den Klimaschutz genau zu untersuchen“, sagte ADAC-Vizepräsident Gerhard Hillebrand. „Insbesondere hinsichtlich der Wirkungen auf die Verkehrssicherheit liegen die heutigen Schätzungen noch weit auseinander.“Deshalb sei eine wissenschaftliche Untersuchung, die über einzelne Pilotstrecken hinausgehe, unabdingbar, so Hillebrand. Welche Forscher eine solche Studie durchführen sollen und bis wann der ADAC Ergebnisse erwartet, blieb offen.
Für die Union kommt der Schwenk des einstigen Verbündeten im Tempolimit-Streit ungelegen. Als die neue SPD-Chefin Saskia Esken rund um Weihnachten die Debatte noch einmal aufmachte und ein generelles Tempolimit von 130 Stundenkilometern zu einem Thema erklärte, über das man als SPD mit der Union reden wolle, waren die Reaktionen von CDU und CSU unmissverständlich: Kein generelles Tempolimit, basta. Ganz vorne mit dabei war Bundesverkehrsminister
Andreas Scheuer (CSU), der Anfang 2019 gesagt hatte, diese Forderung sei „gegen jeden Menschenverstand“. Und selbst aus der SPD kassierte Esken Kritik. Einige Genossen hielten es für ungeschickt, sich an einer emotional so aufgeladenen Front zu verkämpfen. Zumal die SPD-Fraktion bei einer von den Grünen erzwungenen Abstimmung Mitte Oktober im Bundestag gegen das Tempolimit gestimmt hatte – und damit in ein Dilemma aus Koalitionstreue und Parteiprogramm geraten war. Unterstützung bekam Esken aber von Umweltministerin Svenja Schulze (SPD), die in einem Tempolimit einen einfachen Weg zu mehr Klimaschutz sieht. Laut Schulze ließen sich so jährlich ein bis zwei Millionen Tonnen Kohlendioxid (CO2) einsparen.
Doch Scheuer bleibt bei seiner Linie. Sein Ministerium teilte am Freitag mit, dass schon jetzt auf rund 30 Prozent der Autobahn-Kilometer ein Tempolimit gelte. Das System der Richtgeschwindigkeit funktioniere. Vielmehr komme es auf intelligente Verkehrssteuerung an, sagte ein Sprecher. Das sieht man in NRW genauso, wo nach Angaben des Verkehrsministeriums knapp 40 Prozent der 2200 Autobahn-Kilometer ein Tempolimit haben. „Innovative Lösungen erreichen mehr als
Verbote“, sagte Landesverkehrsminister Hendrik Wüst (CDU) auf Anfrage. Deswegen präferiere man digital gesteuerte Lösungen wie die sogenannten dWiSta-Tafeln, die schon heute im Einsatz seien und die noch ausgebaut werden sollen. Mit ihnen können die Verkehrszentralen das Tempo flexibel steuern und den Verkehr nötigenfalls auch umleiten.
Trotzdem ist dem Vernehmen nach das Tempolimit kein Tabu mehr in nordrhein-westfälischen CDU-Kreisen. Sollte es auf Bundesebene einst zu schwarz-grünen Koalitionsverhandlungen kommen, könnte das Tempolimit zur
Verhandlungsmasse werden und der Union als Faustpfand für die Durchsetzung anderer Projekte dienen. Doch das ist noch Zukunftsmusik. Bis dahin muss sich der Chef der Grünen-Bundestagsfraktion, Anton Hofreiter, mit Appellen an die Union begnügen. „Nach dem Vorstoß des ADAC klammert sich nur noch die Union an ihre Verkehrsideologie von vorgestern“, sagte Hofreiter unserer Redaktion: „Es wird Zeit, dass sich auch CSU und CDU zu mehr Verkehrssicherheit, weniger Lärm und Abgasen sowie leistungsfähigeren Autobahnen bekennen und sich nicht länger gegen eine Höchstgeschwindigkeit sperren.“