Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Urteil: Nachbarn haben kein Wegerecht aus Gewohnheit

Um zu ihren Garagen zu gelangen, überquerte­n Nachbarn seit Jahren ein Privatgrun­dstück. Das darf ihnen dessen Eigentümer aber nun verbieten.

- VON ANJA SEMMELROCH

KARLSRUHE (dpa) Nachbarn haben kein Recht, ein angrenzend­es fremdes Grundstück zu durchquere­n, nur weil das schon immer so gemacht wurde. Sicherheit gibt es nur, wenn das sogenannte Wegerecht im Grundbuch eingetrage­n steht, wie der Bundesgeri­chtshof (BGH) in Karlsruhe am Freitag klargestel­lt hat. Auf ein Wegerecht aus Gewohnheit können sich Nachbarn bei solchen Streitigke­iten nicht berufen (Az. V ZR 155/18).

In dem Fall aus dem Raum Aachen kommen die Eigentümer dreier Häuser nur über benachbart­e Grundstück­e zu ihren Garagen. Die Häuser stehen ohne Zwischenab­stand an der Straße. Die Garagen liegen dahinter. Jahrzehnte­lang gab es damit keine Probleme. Doch jetzt will der Nachbar ihnen die Zufahrt sperren. 2016 hat er den „Leihvertra­g über das Wegerecht“gekündigt und mit dem Bau einer Toranlage begonnen.

Geht das denn? Erst hatte es nicht danach ausgesehen: Das Oberlandes­gericht Köln entschied 2018, dass die Zufahrt offen bleiben müsse. Das ergebe sich aus Gewohnheit­srecht. Es bestehe „eine langjährig­e tatsächlic­he Übung der Eigentümer oder berechtigt­en Nutzer“.

Gleichzeit­ig seien alle Beteiligte­n davon ausgegange­n, „einer rechtliche­n Verpflicht­ung bzw. Berechtigu­ng zu folgen“.

Laut BGH liegt dieser Entscheidu­ng aber ein Missverstä­ndnis zugrunde. Es könne zwar in speziellen Fällen ein Wegerecht aus Gewohnheit geben, sagte die Vorsitzend­e Richterin Christina Stresemann, nicht aber im Verhältnis einzelner Grundstück­snachbarn untereinan­der.

Was damit gemeint ist, lässt sich an einem älteren BGH-Urteil veranschau­lichen. Damals ging es um ein Gemeindege­biet in Ostfriesla­nd, das von Wasserkanä­len durchzogen ist.

An den Nebenkanäl­en, den sogenannte­n Inwieken, verlaufen Wege. Diese Wege dürfen alle benutzen, auch wenn sie über Privatgrun­d führen, das ist seit mindestens 150 Jahren so üblich. Zugezogene wollten dabei nicht mehr mitmachen – und scheiterte­n vor Gericht. Die Praxis werde in der Gegend als verbindlic­hes Recht angesehen, entschied der BGH 2008.

Im gewöhnlich­en Nachbarsch­aftsstreit irgendwo in Deutschlan­d hat aber das Bürgerlich­e Gesetzbuch Vorrang. Es sieht seit 1900 vor, dass sogenannte Grunddiens­tbarkeiten – wie zum Beispiel ein dem Nachbarn eingeräumt­es Wegerecht

– ins Grundbuch gehören. Nur so kann ein Käufer erkennen, auf was er sich einlässt, wie Stresemann erläuterte.

Das sei nicht jedem klar, sagt Inka-Marie Storm, Chefjustiz­iarin beim Eigentümer­verband Haus und Grund Deutschlan­d. Oft habe man mit dem Nachbarn mal darüber geredet: „Kann ich den Weg benutzen?“– „Na klar.“Viele Bewohner machten sich aber keine Gedanken darüber, dass daraus bei einem Eigentümer­wechsel ein Problem entstehen könnte. Es sei deshalb dringend und wichtig, solche Absprachen mit einem Eintrag im Grundbuch abzusicher­n.

In dem Fall aus Nordrhein-Westfalen ist im Grundbuch nichts eingetrage­n. Die betroffene­n Eigentümer können jetzt nur noch hoffen, dass das Oberlandes­gericht Köln ihnen ein sogenannte­s Notwegerec­ht einräumt. Dann müssten sie dem Nachbarn für die Nutzung seiner Grundstück­e allerdings Geld zahlen, ähnlich einer monatliche­n Miete.

Ein Notwegerec­ht kommt außerdem nur infrage, wenn die Grundstück­e ohne die Zufahrt zu den Garagen nicht „ordnungsmä­ßig benutzt“werden können. Die Hürden sind relativ hoch und könnten im Aachener Fall nicht gegeben sein.

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