Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
„Wir erleben eine Rückkehr der Prüderie“
Mit einer WDR-Show feiert der Entertainer sein TV-Comeback. Ein Gespräch über Quoten, das Alter und heikle Witze.
KÖLN
Im vergangenen Jahr bekam Jürgen von der Lippe den Deutschen Fernsehpreis für sein Lebenswerk, nun steht er selbst wieder vor der Kamera. Gemeinsam mit Sabine Heinrich moderiert er die WDRShow „Nicht dein Ernst!“, in der es mit einem prominenten Gast um kleine und große Zwickmühlen des Lebens geht. Darf man dem Gastgeber sagen, dass das Essen nicht schmeckt, oder eine Party verlassen, ohne sich zu verabschieden? Von der Lippe hat für solche Momente immer einen Gag parat. Timing ist alles. Auch beim Gespräch: Der 71-Jährige ist auf die Minute pünktlich.
Sie haben sich zuletzt skeptisch bis kritisch geäußert, was eine Rückkehr ins Fernsehen angeht. Was hat Sie umgestimmt?
JÜRGEN VON DER LIPPE Das Format. Man kann den Inhalt auf einem Bierdeckel darstellen, in wenigen Worten. Zwei Gastgeber, ein Gast, ein Thema. Das ist die Show. Die Sondierungsgespräche liefen sehr angenehm, und die Aufzeichnungen haben viel Spaß gemacht. Es ist ein kleines, sympathisches Format, in dem nichts Weltbewegendes an Comedy passiert. Aber man erzählt Dinge von sich, die man noch nicht oft oder noch nie erzählt hat.
Es ist mehr ein launiger Plausch unter Bekannten, die sich Anekdoten erzählen.
VON DER LIPPE Das entsteht aber nur, wenn man über ein Thema spricht und aus seinem persönlichen Erfahrungsschatz schöpft.
Wie wichtig ist die Chemie mit dem Moderationspartner, in diesem Fall Sabine Heinrich?
VON DER LIPPE Das ist wirklich ein Glücksfall. Ich kannte sie, war schon Gast in ihrer Sendung. Wir beide liegen uns. Und diese Kombi, die gibt‘s ja nicht, ein Moderatoren-Gespann mit einem richtig krassen Altersunterschied (Sabine Heinrich ist 43, Anm. d. Red.) Das finde ich einfach schön, das ist spannend. Das kam noch dazu zu den Gründen, warum ich das Angebot angenommen habe.
Wo Sie das Alter selbst ansprechen: Sie sind mit 71 wahrscheinlich derzeit der älteste Moderator im deutschen TV.
VON DER LIPPE Im Bereich der Unterhaltung sicherlich.
Ist das auch eine Genugtuung für Sie? Die Sender sind nicht gerade bekannt dafür, älteren Kollegen den Vorzug zu geben.
VON DER LIPPE Das ist schön. Sagen wir mal so: Es ist ja keine Freude, die der Sender mir machen will, sondern die versprechen sich davon, dass es funktioniert. Damit ich mich freue, muss es natürlich erstmal funktionieren.
Das war ja auch mal der Sendeplatz von „Zimmer frei“.
VON DER LIPPE Wenn der Titel fällt, reagieren alle etwas allergisch. Natürlich war die Sendung eine Legende, das sind riesengroße Fußstapfen. Aber ich betrachte das in keinster Weise als Nachfolge, weil die beiden Sendeformen nichts miteinander zu tun haben.
Noch mal zum Alter: Gibt‘s für Sie auch einen Punkt, an dem Sie sagen, das tue ich mir nicht mehr an?
VON DER LIPPE So gehe ich nicht an die Frage ran. Fernsehen ist ja ohnehin nicht meine Hauptbeschäftigung. Ich bin nach wie vor unterwegs, absolviere ungefähr 140 Auftritte im Jahr. Und im Moment bin ich, das sage ich mit Stolz und Freude, ausnahmslos ausverkauft. Ich habe mir ein Stammpublikum erarbeitet, auf das ich mich offensichtlich verlassen kann. So lange ich das von der Birne her und körperlich schaffe und die Leute kommen, so lange mache ich es.
Sie sind seit Jahrzehnten im Humorgeschäft. Sind die Menschen heute empfindlicher geworden, hat sich sozusagen das verminte Gelände vergrößert?
VON DER LIPPE Das ändert sich natürlich. Wir erleben momentan eine Rückkehr der Prüderie. Ein paar Beispiele: Irgendein Sportverein hat die Cheerleader abgeschafft mit der Begründung, da stellen sich Mädchen sexuell zur Show, was natürlich der größte Blödsinn ist. Es fehlt auch eine Linie, wenn der Sportverband den Beachvolleyball-Damen einen knappen Bikini offensichtlich vorschreibt. Und die Linke in Berlin will freizügige Werbung auf kommunalen Flächen verbieten, weil eine Frau, die grundlos lächelt, sexuelle Verfügbarkeit suggeriert. Das hätten sie mal Da Vinci erzählen sollen. Die spinnen ja, die Leute. Im Gefolge von Emanzipation und MeToo, was ja alles seine Berechtigung hat, wird momentan heftig übertrieben. Wenn das so weitergeht, sterben wir sowieso aus. Fragt sich, ob das schlimm wäre. Für meine Arbeit aber ist diese Entwicklung großartig. In Amerika gilt ja im Fernsehen „no nipples“, das heißt, sie können eine Frau vierteilen, aber sie dürfen keine entblößte Brust zeigen. Dazu kommt diese zur Schau gestellte Religiösität. Das heißt, dort existiert eine vollkommen verklemmte Fernsehszene, die eine unglaublich brutale und schweinische Comedy-Szene generiert, weil die Leute ja ein Ventil brauchen. Darauf gehen wir gerade zu. Und da bin ich ja wohl genau der Richtige.
Sie thematisieren ja in Ihren Programmen gerne die Spielarten menschlichen Sexualverhaltens.
VON DER LIPPE Das mache ich. Jetzt im hohen Alter sind es aber auch Dinge, die einfach altersspezifisch sind. Obwohl ich es nun wieder erlebe, dass drei Generationen in meinem Publikum vertreten sind.
Heißt das aber, dass Sie bestimmte Themen meiden? Dieter Nuhr beispielsweise sah sich einem Entrüstungssturm ausgesetzt, als er sich an Greta Thunberg abarbeitete.
VON DER LIPPE Ich habe mich auch schon über Greta lustig gemacht. Die geht den Leuten doch auf die Nerven. Gerade im Moment habe ich eine großartige Montage über Whatsapp bekommen: Roger Federer spielt einen Ball, der Greta am Kopf trifft, und sie schreit „How dare you!“Schnitt zurück auf den Court: Merci, Roger! Superschön gemacht.
Nochmal zurück zur Show: Als Komödiant leben Sie ja von Dilemmata, schlagen daraus komisches Potential. Ist Ihnen überhaupt noch etwas Peinliches fremd?
VON DER LIPPE Allerdings. Es ist aber eine Herausforderung, dass man in solchen Momenten nicht bierernst wird, sondern irgendwie im Tonfall den Eindruck erweckt, dass man nicht kalt erwischt worden ist.
Das heißt, man kann Sie überraschen, aber Sie wissen sich aus der Affäre zu ziehen.
VON DER LIPPE Ja, das würde ich mal für 99 Prozent der Fälle für mich in Anspruch nehmen.
JÖRG ISRINGHAUS FÜHRTE DAS GESPRÄCH