Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Albtraum Kreuzbandriss
Für viele Sportler ist es die Horror-Diagnose. Doch was macht die Verletzung so gravierend? Und wie geht es danach weiter?
DÜSSELDORF Es ist ein Geräusch, das man mit einem Schaudern hört, denn es ist sehr direkt, sehr nah, sehr verstörend. Es ist ein lautes Knacken oder Knallen, manche sagen, da treffe eine Peitsche auf die Haut. In Wirklichkeit hat sich eines der wichtigsten Bänder unseres Körpers verabschiedet: das Kreuzband im Knie. Für viele Sportler bedeutet dieser Riss das Ende der Karriere – oder wenigstens eine lange Pause. Es ist ein Albtraum. Aber auch wir Normalbewegte erleiden Kreuzbandrisse. Gucken wir uns das Knie mal genauer an!
Eine tolle Sache, unser Knie, aber so ganz anders als etwa die multimobile Schulter mit ihrer Pfanne und den zahllosen Sehnen, Bändern und Muskeln. Das Kniegelenk ist das größte unserer Gelenke und in sich kompliziert konstruiert. Wir können es beugen, strecken und leicht eingeschränkt nach innen und außen drehen. Deswegen nennt man es Dreh-Scharniergelenk. Die Kreuzbänder (es gibt ein vorderes und ein hinteres) ziehen sich durch das Zentrum des Gelenks, wo sie sich tatsächlich kreuzen.
Ihr Job ist es, das Gelenk im Verbund mit den anderen Strukturen bei Bewegungen zu stabilisieren. Sie begrenzen die Streckung des Kniegelenks und verhindern die Verschiebung des Schienbeinkopfes. Außerdem schränken sie eine übermäßige Rotation des Knies ein. Hätten wir es nicht angeboren in uns: Das Knie hätte sich ein Erfinder patentieren lassen können.
Warum sind Sportler so anfällig? Weil sie abrupte Bewegungsänderungen absolvieren oder unerwartete Scherschritte; alpine Rennläufer verkannten oft im Schnee, dabei verdreht sich das Bein so, dass ein Kreuzband reißen kann. Das vordere Kreuzband rupturiert normalerweise bei einer abrupten Bremsbewegung mit durchgestrecktem Knie und einer gleichzeitigen Kniedrehung. Oft entsteht zusätzlich ein Innenbandriss und eine Verletzung am Meniskus – der sogenannte „unglückliche Dreier“. Fremdeinwirkung ist nicht vonnöten: Bei rund 70 Prozent der Risse des vorderen Kreuzbandes ist kein gegnerischer Spieler beteiligt. Auch ein gewisser Ermüdungsfaktor im Muskel spielt eine Rolle.
Es gibt teilweise oder vollständige Risse eines oder beider Kreuzbänder.
Im Extremfall handelt es sich um einen vollständigen Ab- oder Ausriss, bei dem auch der Knochen Schaden nimmt. Kreuzbandrisse ohne Knochenverletzung sind aber weitaus häufiger. Operiert werden müssen sie nicht immer, die Stabilisation des Knies über den Muskelaufbau kann auch eine gezielte Physiotherapie erreichen. Für einen chirurgischen Eingriff entscheidet man sich meist bei Sportlern, weil eine Operation gerade mit Blick auf Profikarrieren das beste Langzeitergebnis bringt. Dabei wird das verletzte Kreuzband genäht oder ersetzt. Beim einem stationären Eingriff müssen die Patienten in der Regel maximal fünf Tage im Krankenhaus bleiben. Sie können aber noch in der Klinik mit der Physiotherapie beginnen.
Beim Normalverbraucher dauert das alles deutlich länger, Sportler hingegen werden fast immer binnen einer Stunde sportärztlich untersucht, ihr geschwollenes Knie wird gekühlt, ins MRT geschoben und alsbald operiert. Weniger berühmte und teure Knie warten auf den OP-Termin schon mal mehrere Wochen, umso mehr verschiebt sich die Rekonvaleszenz nach hinten.
Dass Sportler möglichst schnell behandelt werden, hängt natürlich auch mit ihrem Marktwert und ihrem Vermisstenstatus zusammen: Bald sollen sie wieder auf den Beinen und in die Mannschaft integriert werden. So planen manche Mannschaftsbosse heimlich schon sechs Monate nach dem Riss wieder mit dem Spieler. Nicht selten sollte man ihm aber für die Rehabilitation mehr Zeit gönnen, auch wenn die Athleten ungeduldig werden und sich denken: „Das muss doch schneller gehen.“Aber früher habe ein Kreuzbandriss „oft das Aus der Karriere bedeutet“, sagt der Münchner Kniespezialist Michael Strobel. Deshalb mahnt er die Sportler zur Besonnenheit und Geduld. Oft wüssten sie erst nach dem zweiten Kreuzbandriss, wie wichtig der langsame Wiederaufbau des Kniegelenks tatsächlich ist.
In Demut üben musste sich beispielsweise der schwedische Fußballstar Zlatan Ibrahimovic. Der hatte Ende April 2017 bei einem Spiel seines Clubs Manchester United gegen RSC Anderlecht einen Kreuzbandriss erlitten. Bereits wenige Tage später ließ er verlauten: „Aufgeben ist keine Option.“Nach seiner Operation Anfang Mai jubelte der provokante Star über Instagram:
„Repariert, fertig und stärker. Wir werden meine Spiele bald wieder zusammen genießen können.“Trotzdem musste er bis November 2017 warten, bis er wieder in der Premier League zum Einsatz kam – allerdings nicht erfolgreich: Alsbald saß er auf der Reservistenbank, und im März 2018 wurde sein Vertrag vorzeitig aufgelöst.
Die Folgen zu früher Belastung sehen Orthopäden übrigens teilweise viele Jahre später. Eines Tages, wenn er längst aus dem aktiven Sportlerleben ausgeschieden ist, wird mancher berühmte Sportler mit Schmerzen in eine Praxis humpeln. Der Arzt wird sich das abermals wehe Knie anschauen, in die Akte des Leidenden schauen und skeptisch den Kopf schütteln: „Sie waren Leistungssportler? Und hatten schon einen Kreuzbandriss? Und mussten schon früh wieder auf den Platz? Kein Wunder, dass Sie jetzt Arthrose bekommen.“
Auf dem Deutschen Olympischen Sportärztekongress hat vor einiger Zeit Christian Egloff, Kniechirurg an der Uniklinik Basel, noch einmal nachdrücklich für eine sorgsame Nachbehandlung plädiert. „Wenn das vordere Kreuzband reißt und keine adäquate Behandlung erfolgt, kann dies zu einem instabilen Kniegelenk führen“, erklärt Egloff. „Aus Langzeitbeobachtungen wissen wir, dass ein instabiles Gelenk zum Verschleiß von Knorpel und Meniskus führt und sich frühzeitig eine Arthrose des Kniegelenks entwickeln kann.“