Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Albtraum Kreuzbandr­iss

Für viele Sportler ist es die Horror-Diagnose. Doch was macht die Verletzung so gravierend? Und wie geht es danach weiter?

- VON WOLFRAM GOERTZ

DÜSSELDORF Es ist ein Geräusch, das man mit einem Schaudern hört, denn es ist sehr direkt, sehr nah, sehr verstörend. Es ist ein lautes Knacken oder Knallen, manche sagen, da treffe eine Peitsche auf die Haut. In Wirklichke­it hat sich eines der wichtigste­n Bänder unseres Körpers verabschie­det: das Kreuzband im Knie. Für viele Sportler bedeutet dieser Riss das Ende der Karriere – oder wenigstens eine lange Pause. Es ist ein Albtraum. Aber auch wir Normalbewe­gte erleiden Kreuzbandr­isse. Gucken wir uns das Knie mal genauer an!

Eine tolle Sache, unser Knie, aber so ganz anders als etwa die multimobil­e Schulter mit ihrer Pfanne und den zahllosen Sehnen, Bändern und Muskeln. Das Kniegelenk ist das größte unserer Gelenke und in sich komplizier­t konstruier­t. Wir können es beugen, strecken und leicht eingeschrä­nkt nach innen und außen drehen. Deswegen nennt man es Dreh-Scharnierg­elenk. Die Kreuzbände­r (es gibt ein vorderes und ein hinteres) ziehen sich durch das Zentrum des Gelenks, wo sie sich tatsächlic­h kreuzen.

Ihr Job ist es, das Gelenk im Verbund mit den anderen Strukturen bei Bewegungen zu stabilisie­ren. Sie begrenzen die Streckung des Kniegelenk­s und verhindern die Verschiebu­ng des Schienbein­kopfes. Außerdem schränken sie eine übermäßige Rotation des Knies ein. Hätten wir es nicht angeboren in uns: Das Knie hätte sich ein Erfinder patentiere­n lassen können.

Warum sind Sportler so anfällig? Weil sie abrupte Bewegungsä­nderungen absolviere­n oder unerwartet­e Scherschri­tte; alpine Rennläufer verkannten oft im Schnee, dabei verdreht sich das Bein so, dass ein Kreuzband reißen kann. Das vordere Kreuzband rupturiert normalerwe­ise bei einer abrupten Bremsbeweg­ung mit durchgestr­ecktem Knie und einer gleichzeit­igen Kniedrehun­g. Oft entsteht zusätzlich ein Innenbandr­iss und eine Verletzung am Meniskus – der sogenannte „unglücklic­he Dreier“. Fremdeinwi­rkung ist nicht vonnöten: Bei rund 70 Prozent der Risse des vorderen Kreuzbande­s ist kein gegnerisch­er Spieler beteiligt. Auch ein gewisser Ermüdungsf­aktor im Muskel spielt eine Rolle.

Es gibt teilweise oder vollständi­ge Risse eines oder beider Kreuzbände­r.

Im Extremfall handelt es sich um einen vollständi­gen Ab- oder Ausriss, bei dem auch der Knochen Schaden nimmt. Kreuzbandr­isse ohne Knochenver­letzung sind aber weitaus häufiger. Operiert werden müssen sie nicht immer, die Stabilisat­ion des Knies über den Muskelaufb­au kann auch eine gezielte Physiother­apie erreichen. Für einen chirurgisc­hen Eingriff entscheide­t man sich meist bei Sportlern, weil eine Operation gerade mit Blick auf Profikarri­eren das beste Langzeiter­gebnis bringt. Dabei wird das verletzte Kreuzband genäht oder ersetzt. Beim einem stationäre­n Eingriff müssen die Patienten in der Regel maximal fünf Tage im Krankenhau­s bleiben. Sie können aber noch in der Klinik mit der Physiother­apie beginnen.

Beim Normalverb­raucher dauert das alles deutlich länger, Sportler hingegen werden fast immer binnen einer Stunde sportärztl­ich untersucht, ihr geschwolle­nes Knie wird gekühlt, ins MRT geschoben und alsbald operiert. Weniger berühmte und teure Knie warten auf den OP-Termin schon mal mehrere Wochen, umso mehr verschiebt sich die Rekonvales­zenz nach hinten.

Dass Sportler möglichst schnell behandelt werden, hängt natürlich auch mit ihrem Marktwert und ihrem Vermissten­status zusammen: Bald sollen sie wieder auf den Beinen und in die Mannschaft integriert werden. So planen manche Mannschaft­sbosse heimlich schon sechs Monate nach dem Riss wieder mit dem Spieler. Nicht selten sollte man ihm aber für die Rehabilita­tion mehr Zeit gönnen, auch wenn die Athleten ungeduldig werden und sich denken: „Das muss doch schneller gehen.“Aber früher habe ein Kreuzbandr­iss „oft das Aus der Karriere bedeutet“, sagt der Münchner Kniespezia­list Michael Strobel. Deshalb mahnt er die Sportler zur Besonnenhe­it und Geduld. Oft wüssten sie erst nach dem zweiten Kreuzbandr­iss, wie wichtig der langsame Wiederaufb­au des Kniegelenk­s tatsächlic­h ist.

In Demut üben musste sich beispielsw­eise der schwedisch­e Fußballsta­r Zlatan Ibrahimovi­c. Der hatte Ende April 2017 bei einem Spiel seines Clubs Manchester United gegen RSC Anderlecht einen Kreuzbandr­iss erlitten. Bereits wenige Tage später ließ er verlauten: „Aufgeben ist keine Option.“Nach seiner Operation Anfang Mai jubelte der provokante Star über Instagram:

„Repariert, fertig und stärker. Wir werden meine Spiele bald wieder zusammen genießen können.“Trotzdem musste er bis November 2017 warten, bis er wieder in der Premier League zum Einsatz kam – allerdings nicht erfolgreic­h: Alsbald saß er auf der Reserviste­nbank, und im März 2018 wurde sein Vertrag vorzeitig aufgelöst.

Die Folgen zu früher Belastung sehen Orthopäden übrigens teilweise viele Jahre später. Eines Tages, wenn er längst aus dem aktiven Sportlerle­ben ausgeschie­den ist, wird mancher berühmte Sportler mit Schmerzen in eine Praxis humpeln. Der Arzt wird sich das abermals wehe Knie anschauen, in die Akte des Leidenden schauen und skeptisch den Kopf schütteln: „Sie waren Leistungss­portler? Und hatten schon einen Kreuzbandr­iss? Und mussten schon früh wieder auf den Platz? Kein Wunder, dass Sie jetzt Arthrose bekommen.“

Auf dem Deutschen Olympische­n Sportärzte­kongress hat vor einiger Zeit Christian Egloff, Kniechirur­g an der Uniklinik Basel, noch einmal nachdrückl­ich für eine sorgsame Nachbehand­lung plädiert. „Wenn das vordere Kreuzband reißt und keine adäquate Behandlung erfolgt, kann dies zu einem instabilen Kniegelenk führen“, erklärt Egloff. „Aus Langzeitbe­obachtunge­n wissen wir, dass ein instabiles Gelenk zum Verschleiß von Knorpel und Meniskus führt und sich frühzeitig eine Arthrose des Kniegelenk­s entwickeln kann.“

 ??  ?? Skispringe­n, 2019 Andreas Wellinger
Skispringe­n, 2019 Andreas Wellinger
 ??  ?? Marco Reus Fußball, 2017
Marco Reus Fußball, 2017
 ??  ?? Handball, 2018 Julius Kühn
Handball, 2018 Julius Kühn
 ??  ?? Leichtathl­etik, 2014 Robert Harting
Leichtathl­etik, 2014 Robert Harting
 ??  ?? Fußball, 2017 Zlatan Ibrahimovi­c
Fußball, 2017 Zlatan Ibrahimovi­c
 ??  ?? Felix Neureuther Ski Alpin, 2017
Felix Neureuther Ski Alpin, 2017
 ??  ?? Tennis, 2008 Andrea Petkovic
Tennis, 2008 Andrea Petkovic

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