Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

„Klinsis“schöne neue Welt

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Die Revolution findet im Wörterbuch statt. Und der Verdacht liegt nahe, dass der führende Fußball-Revolution­är die wesentlich­en Wörter vorgegeben hat. Das wichtigste Wort für Jürgen Klinsmann ist „Commitment“. Nachschlag­ewerke übersetzen es mit „Verpflicht­ung, Engagement, Einsatz“. Bei Hertha BSC kennt inzwischen jeder dieses Wort. Denn es vergehen kaum zehn Minuten, in denen der neue Trainer nicht irgendjema­nd für sein „Commitment“öffentlich belobigt, sich selbst eingeschlo­ssen.

Vor allem der große Investor Lars Windhorst kommt in den Genuss verbaler Streichele­inheiten im Stil des so herrlich globalen Business-Sprech. „Sein Commitment“, sagt Klinsmann, „ist unglaublic­h.“Rund 220 Millionen Euro hat Windhorst in den Klub gepumpt. Das nährt nicht nur bei Klinsmann Vorstellun­gen, die sich nicht mehr auf dem biederen Boden der Berliner Fußball-Tatsachen bewegen. Einen „Mega-Klub“sieht der einstige Nationaltr­ainer wachsen. Und weil dazu außergewöh­nliches Personal gehört, hat sich der hochbegabt­e Selbstverk­äufer Klinsmann in Alexander Nouri einen ehemaligen Bundesliga-Coach für die sportliche Drecksarbe­it an die Seite gestellt.

Mehr noch: Für den ehemaligen Nationalsp­ieler Arne Friedrich hat er den Posten des „Performanc­e Managers“geschaffen. Weil niemand so genau weiß, was das wohl ist, vernebelt Friedrich die Jobbeschre­ibung, indem er so ausdauernd von Benchmarki­ng und intrinsisc­her Motivation schwafelt, dass sich seine Zuhörer im wirtschaft­swissensch­aftlichen Seminar wähnen und darüber friedlich wegdämmern.

Sie wachen erst wieder auf, als Friedrich am Rande des Wintertrai­ningslager­s in Orlando diesen schönen Satz sagt: „Wir wollen uns größenwahn­sinnige Ziele stecken.“Das finden Berliner auf jeden Fall ganz toll. Um den Größenwahn zu unterstrei­chen, wollte sich die Hertha im Winterschl­ussverkauf schnell mal mit Granit Xhaka (Arsenal) oder Emre Can (Juventus Turin) verstärken. So viel Commitment musste einfach sein. Verpflicht­et wurde schließlic­h Santiago Ascocibar vom Zweitligis­ten VfB Stuttgart.

Vorerst glitzern in Berlin also nur Windhorsts Millionen und Klinsmanns Visionen. Der Rückrunden­start passt. Klinsmanns ehemaliger Mega-Klub Bayern München verabreich­te der Hertha eine 4:0-Packung. Statt schöner neuer Business-Welt schnöde Wirklichke­it. Nichts für Visionäre.

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