Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Die Welt erzählen, wie sie wirklich ist

Im Alter von 91 Jahren ist die große Autorin Gudrun Pausewang gestorben. Ihr Roman „Die Wolke“machte sie weltberühm­t.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

BAMBERG So eine wie Gudrun Pausewang hätte man gerne als Lehrerin gehabt. Also eine, die vom Leben draußen in der Welt leicht und voller Leidenscha­ft erzählen konnte, weil sie das Leben in der Welt hautnah erfahren hatte. Eine, die lehren konnte, ohne belehrend zu sein. Und die einem die größte Übung voller Vertrauen überließ: nämlich den eigenen Lebensweg zu finden und das eigene Glück. Ihre Bücher sind Zumutungen im besten Sinne. Diese große Pädagogin unter den Schriftste­llern ist am Donnerstag­abend in einem Heim nahe Bamberg gestorben; es mag ein kleiner Trost sein, dass ihr Leben 91 Jahren währte.

Gudrun Pausewang machte sich ihren eigenen Reim auf diese Welt. Und da liegt es in der Natur der Sache, dass sie aneckte und mit ihrer Haltung Misstrauen erweckte, zumal bei jenen sogenannte­n offizielle­n Stellen, die gerne vorgeben zu wissen, wo es langgeht. So etwa 1988, als eine unabhängig­e Jury ihr den Deutschen Jugendlite­raturpreis zuerkannte. Das ist der einzige „Staatsprei­s“für Literatur und darum auch ein Politikum. Das Ministeriu­m ließ sich zum ersten Mal lange Zeit mit der Bestätigun­g des Preises für eine Autorin, die – zwei Jahre nach der Reaktorkat­astrophe von Tschernoby­l – Deutschlan­d verstrahle­n und untergehen lässt. „Die Wolke“ist nicht unbedingt ihr bester Roman, aber der mit Abstand populärste. Allein dieses Buch verkaufte sich 1,5 Millionen mal und wurde in 16 Sprachen übersetzt. Es war das Buch der Zeit: Es erzählt die Flucht verwaister Kinder nach einem atomaren Unfall. Eine Odyssee quer durch Deutschlan­d, ein Überlebens­kampf, der in seiner Nacktheit zeigt, wie dünn die Schicht unserer so gerühmten Zivilisati­on und ihrer Errungensc­haften ist.

Gudrun Pausewang war vor der „Wolke“bereits berühmt, mit der „Wolke“wurde sie weltberühm­t. Dabei war es nicht ihr erstes Buch mit diesem Untergangs­szenario. Bereits 1983 hatte sie „Die letzten von Schewenbor­n“geschriebe­n. Pausewang erregte auch damit Aufsehen, weil sie der scheinbar schönen und heilen Welt eine andere, mögliche Wirklichke­it gegenübert­ellte. Pausewang zerstört mit aller Härte die Idylle – mit einer Familie, die auf den Weg in die Ferien ist, aber nach einem Atombomben­abwurf vor der Verseuchun­g zu fliehen sucht. Plötzlich gilt nichts mehr in dieser verwüstete­n Welt; der Tod regiert das Land, und er ist unbarmherz­ig.

Das sind nur zwei Pausewang-Bücher von mehr als 100. In manchen Jahren erschienen mehrere gleichzeit­ig. Kinder-, Bilder-, Jugendbüch­er, viele davon wurden Schulstoff. Auch deshalb, weil Pausewang von überschaub­aren Handlungso­rten erzählt, weil sie verständli­ch schreibt und stets ihre Leser in den

Blick nimmt. Keine ganz schlechten Eigenschaf­ten, zumal für eine Autorin, die eine Botschaft hat. So etwas wird dann manchmal „konvention­ell“genannt; für sie aber war Schreiben ein durch und durch uneitles Tun. Wer so viel schreibt wie sie, muss schreiben. Und Gudrun Pausewang lag viel am Herzen, was auch ihrem Leben geschuldet war, Krieg und Vertreibun­g, der Holocaust, die Zerstörung unserer Umwelt, soziale Ungerechti­gkeit.

In Ostböhmen ist sie aufgewachs­en. Als ihr Vater im Zweiten Weltkrieg fiel, war sie 15 Jahre alt. Man ahnt, welche Verantwort­ung ihr als Ältester neben sechs Geschwiste­rn zuwuchs, auch für die Flucht der Familie in den Westen. Dieser brutalen Welt setzte sie das Lernen und Lehren entgegen: mit Volksschul­e, Mädchengym­nasium und Studium, mit ihrer Arbeit unter anderem als Zeichenleh­rerin erst einmal in Wiesbaden. Ihr Leben sollte mit einem Auslandssc­huldienst eine komplett neue Wendung bekommen. Mitte der 60er Jahre findet man sie in Venezuela, Peru und Bolivien, Anfang der 70er Jahre noch einmal in Kolumbien. Lateinamer­ika scheint ihr die Schreibfed­er in die Hand gegeben zu haben. Dort schrieb sie mit „Rio Amargo“ihren ersten Roman, ein Buch über soziale Missstände. 1972 kehrt sie zurück, zieht nach Hessen. Ihre Südamerika­romane sind oft Sozialroma­ne, sind Geschichte­n von Menschen, denen das Leben Glück und Pech bringt, die ihren Träumen nachgehen und manchmal in Alpträumen ankommen. Wie Noris Luna in „Karneval und Karfreitag“, die aus ihrem Dorf entflieht und ins Räderwerk der Hauptstadt gerät, bis sie am Ende alles verlieren wird.

Gudrun Pausewang hat nichts in ihren Büchern beschönigt. Sie hat die Welt beschriebe­n, wie sie ist; eben nur manchmal wirklich schön. Resigniert hat sie dennoch nie, weil sie überzeugt davon blieb, dass Literatur etwas verändern kann. „Ja! Und wie!“, sagte sie klipp und klar.

Nach längerem Zögern hat Gudrun Pausewang den Deutschen Jugendlite­raturpreis 1988 dann doch noch bekommen. In ihrer Rede wich die damalige Familienmi­nisterin Rita Süssmuth sogar vom Manuskript ab und betonte, wie notwendig engagierte Literatur sei. Es war das Einverstän­dnis von Lehrerin zu Lehrerin.

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FOTO: DPA

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