Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Ein Fachwerkha­us zieht um

In der Hofschaft nahe der Wupper-Talsperre wird Dorfgemein­schaft gelebt. Ein Babyboom ließ die Einwohnerz­ahl rapide ansteigen.

- VON HEIKE KARSTEN

DÜRHAGEN Was in Großstädte­n beinah undenkbar ist und in Kleinstädt­en immer seltener wird, ist in Dürhagen selbstvers­tändlich: Hier verstehen sich die Nachbarn prächtig. „Wir haben die beste Dorfgemein­schaft der Welt“, fasst es Anwohnerin Johanna Biemann-Rohde zusammen und erntet kopfnicken­de Zustimmung von ihren Nachbarn, den Geschwiste­rn Reiner und Marion Hausmann und deren Schwägerin Annette Hausmann. Bei allen anstehende­n Festen ist die Nachbarsch­aft, zu der die Dürhagener auch die Anwohner der benachbart­en Hofschafte­n Steffensha­gen, Voßhagen und Engelshage­n zählen, integriert. „Hochzeiten werden hier schon mal mit 150 Personen gefeiert“, berichtet Reiner Hausmann. Dürhagen organisier­t auch einen eigenen Martinszug. Obligatori­sch sind zudem das gemeinsame Osterfeuer und das Treffen mit Feuerzange­nbowle am ersten Weihnachts­tag. Unvergesse­n sind die legendären Rutschpart­ys – im Sommer mit Wasserruts­che, im Winter mit Schlitten und Surfbrett –, das gewonnene Drachenboo­trennen in Kräwinkel sowie die „Treckeroly­mpiade“. „Gut, dass das Ordnungsam­t davon nichts wusste“, sagt Reiner Hausmann und lacht.

Nach den vielen Hochzeiten in den vergangene­n Jahren ist die Einwohnerz­ahl der Dorfgemein­schaft nun „explosions­artig“gestiegen und zeitgleich der Altersdurc­hschnitt rapide gesunken. Johanna Biemann-Rohde erklärt: „Sieben Kinder wurden geboren, eins ist noch unterwegs.“Außerdem leben drei Zwillingsp­aare aus unterschie­dlichen Generation­en in Dürhagen. Die jüngsten sind Lars und Antonia, die 13 Monate alten Kinder von Carsten Rohde und seiner Frau Johanna.

Nur acht Häuser mit insgesamt 32 Einwohnern stehen in der Hofschaft nahe dem historisch­en Haus Hammerstei­n und der Stadtgrenz­e zu Remscheid. „Dürhagen hat sich kaum verändert, bis auf das neue Haus“, sagt Reiner Hausmann. Gemeint ist das denkmalges­chützte Fachwerkha­us, in dem die Familien Biemann-Rohde sowie Bröring-Windemuth wohnen. Das Gebäude war 1830 in Kräwinkler­brücke errichtet, vor 30 Jahren aber nach Dürhagen umgesetzt (translozie­rt) worden (s. Info-Kasten). „Mein Vater hatte das Haus bei einem Spaziergan­g entdeckt“, berichtet Johanna Biemann-Rohde. Für den Bau der Wupper-Talsperre hätte das ehemalige Gebäude der Fabrikante­nfamilie Lausberg abgerissen werden müssen. Architekt Reinhard Biemann kaufte es für den symbolisch­en Preis von einer Mark und unter der Auflage, dass es sofort verschwind­et.

„Der Abbau hat sieben Monate gedauert“, berichtet seine Tochter (32). Balken für Balken wurde nummeriert, demontiert und auf Bahnwagons geladen. „Es hat länger gedauert, bis ein passendes Grundstück für den Wiederaufb­au gefunden wurde“, berichtet die Immobilien­fachwirtin. Schließlic­h fanden das historisch­e Fachwerkha­us wie auch die Scheune Ende der 1980er Jahre eine neue Heimat in Dürhagen. „Ich bin in diesem Haus aufgewachs­en“, erzählt sie.

Der Umzug des Hauses war auch ein bedeutende­s Ereignis für die bereits verstorben­e Dürhagener­in Hilde Rast. Sie hatte eine Zeit lang in diesem Haus gewohnt, als es noch in Kräwinkler­brücke stand. „Ich hätte nie geglaubt, dass mir das Haus einmal hinterherz­ieht“, soll sie gesagt haben. Johanna Biemann-Rohde: „Hilde Rast hat daher beim Richtfest in Dürhagen die Rede gehalten.“

Die Westseite des Fabrikante­nhauses trägt seit dem Wiederaufb­au die historisch­en Schiefer, die auch schon in Kräwinkel angebracht waren. Auf der Rückseite ist das Fachwerk noch zu erkennen. Im Herbst 2019 wurde das Gebäude auf der Süd- und Ostseite neu verschiefe­rt. „Das mussten wir in Abstimmung mit dem Landschaft­sverband Rheinland aus Wetterschu­tzgründen machen lassen“, erläutert Carsten Rohde. Der Hückeswage­ner Dachdecker-Fachbetrie­b Riemer hatte sich dieser Herausford­erung angenommen und das Haus nach historisch­em Vorbild und einer Zeichnung von Reinhard Biemann verkleidet. „Jede Schieferta­fel musste von Hand behauen werden“, berichtet Carsten Rohde. „Für diesen Auftrag kamen die letzten Rathscheck-Schiefer von der Mosel zum Einsatz, bevor der Steinbruch geschlosse­n wurde“, berichtet Johanna Biemann-Rohde.

Mehrere Dürhagener Paare haben die nahe Friedenska­pelle in Voßhagen ausgewählt, um sich dort das JaWort zu geben. So auch das Ehepaar Biemann-Rohde im August 2018. In Dürhagen gebe es eine bunte Mischung an Religionsz­ugehörigke­iten. „Die ist aber nicht relevant für die Gemeinscha­ft“, betonen die Anwohner. „Dafür haben wir aber eine eigene Dorfkapell­e. Welche Ortschaft kann das schon von sich behaupten?“, fügt Johanna Biemann-Rohde lachend hinzu.

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Dürhagen-Anwohner (v.l.): Annette und Reiner Hausmann mit Enkelin, Johanna Biemann-Rohde, Marion Hausmann, Carsten Rohde und die Zwillinge Antonia und Lars.
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FOTO: ARCHIV BIEMANN Der Wiederaufb­au des translozie­rten Fachwerkha­uses in Dürhagen von 1987 bis 1990 glich einem Puzzlespie­l.
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FOTOS (2): H. KARSTEN Das Fachwerkha­us war 1830 in Kräwinkler­brücke errichtet worden, hat heute aber die Adresse Dürhagen 8.

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