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H&M engagiert Prüfer in der Spitzelaff­äre

Für den schwedisch­en Modekonzer­n könnte die vermutete Bespitzelu­ng von Mitarbeite­rn drastische Konsequenz­en haben.

- VON GEORG WINTERS

DÜSSELDORF Rund 60 Gigabyte Daten – das entspricht ungefähr dem Inhalt von sieben DVDs – sind beim schwedisch­en Modekonzer­n H&M am Standort Nürnberg sichergest­ellt worden. Daten, die aus Sicht von Datenschüt­zern den Schluss zulassen, dass in der Nürnberger Kundenzent­rale Mitarbeite­r ausspionie­rt worden sind. Dem Unternehme­n droht nun ein empfindlic­hes Bußgeld. Theoretisc­h könnte dies bis zu vier Prozent des weltweiten Umsatzes betragen. Das wären im Fall H&M 900 Millionen Euro, doch diese Summe ist wohl utopisch. Ein Maßstab könnten die jüngsten prominente­n Fälle im vergangene­n Jahr sein: die Deutsche Wohnen, gegen die Berlins Datenschüt­zer ein Bußgeld von 14,5 Millionen Euro verhängten, und der Telekommun­ikationsko­nzern 1&1 Telecom, der knapp zehn Millionen Euro zahlen sollte. Experten schätzen die Bußgeld-Höhe im Fall H&M auf mehr als 20 Millionen Euro. „Der Fall ist beispiello­s in den vergangene­n Jahren“, sagte Johannes Caspar, Hamburgs Datenschut­zbeauftrag­te, unserer Redaktion.

Zunächst hat das Modeuntern­ehmen aber zwei Wochen Zeit, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Rühren sich die Beschuldig­ten nicht, könnte die Behörde nach Angaben von Caspar sofort ein Bußgeld verhängen. Möglich sei aber auch, dass H&M eine Fristverlä­ngerung für eine Stellungna­hme beantrage. Dazu hat sich der Konzern noch nicht geäußert. Auf Anfrage teilte er am Montag mit, es habe eine Untersuchu­ng durch Mitarbeite­r des Würzburger

IT-Dienstleis­ters Datenschut­z Süd gegeben. Diese Informatio­nen seien an den Hamburger Datenschut­zbeauftrag­ten gegangen.

Aufgefloge­n ist das Ganze offenbar durch eine „Fehlkonfig­uration eines Ordnerbere­ichs“, wie es H&M selbst formuliert hat. Im Klartext: Es sollten eigentlich nur Führungskr­äfte Zugriff auf die sensiblen Daten haben; stattdesse­n konnten alle Beschäftig­ten in Nürnberg die Infos lesen. Die Kundenzent­rale im Frankenlan­d betreut das Online-Geschäft in Deutschlan­d und Österreich. Ob auch andere Bereiche des Konzerns von Mitarbeite­r-Spionage betroffen sein könnten, ist bisher nicht bekannt.

H&M ist kein Einzelfall, was das Ausspionie­ren von Mitarbeite­rn angeht. Auch nicht in der Modebranch­e. Im Mai des vergangene­n Jahres ist die spanische Kette Zara unangenehm aufgefalle­n. Damals gab es Berichte darüber, Zara führe schwarze Listen mit Namen von Beschäftig­ten. Es ging um Abmahnunge­n,

Krankheits­tage, Diebstahlv­erdacht – und alle Informatio­nen in den Dateien sollen offen zugänglich gewesen sein. Auch der Textildisc­ounter Kik stand schon mal unter Verdacht, Mitarbeite­r ausspionie­rt zu haben.

Für H&M ist der Datenskand­al der zumindest vorläufige Schlusspun­kt hinter eine Reihe von Negativsch­lagzeilen. Schon 2007 sahen sich die Schweden mit dem Vorwurf konfrontie­rt, dass Baumwoll-Zulieferer aus Usbekistan unter dem Verdacht der Kinderarbe­it stünden. Im Laufe der Jahre häuften sich die schlechten Nachrichte­n: angeblich unzumutbar­e Arbeitsbed­ingungen in Kambodscha, Steuerverm­eidung in Produktion­sländern, schlechte Bezahlung und Knebelvert­räge in den europäisch­en Verkaufsfi­lialen. Dass H&M anderersei­ts von Vebraucher­initiative­n mit einer Goldmedail­le für das Engagement als nachhaltig­er Einzelhänd­ler ausgezeich­net wurde, verblasste neben den schlechten Nachrichte­n.

Alles bittere Momente für einen Konzern, für den Frauen wie Gisele Bündchen, Lena Gercke, Laetitita Casta, Miranda Kerr und Vanessa Paradis Modell standen. Doch trotz der prominente­n Models lief das Geschäft zwischenze­itlich nicht, weil H&M durch Online-Konkurrent­en und preiswerte­re Wettbewerb­er wie Zara und Primark unter Druck stand – Schönheit allein ist noch kein Erfolgsgar­ant. Mittlerwei­le hat H&M in die Erfolgsspu­r zurückgefu­nden. Elf Prozent Umsatzplus im vergangene­n Geschäftsj­ahr und ein Gewinn im dritten Quartal – erstmals nach zwei Jahren – gelten als Belege für die erhoffte Wende.

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