Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

„Garantien für alle Standorte in NRW“

Der NRW-Bezirkslei­ter der IG Metall erklärt, warum es in diesem Jahr keine konkrete Lohnforder­ung gibt.

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DÜSSELDORF Es sind turbulente Tage für Knut Giesler angebroche­n: Der NRW-Bezirkslei­ter der IG Metall muss sich nicht nur um die Dauerbaust­elle Thyssenkru­pp kümmern, wo in dieser Woche eine Bieterfris­t für die Aufzugspar­te abläuft und die Hauptversa­mmlung tagt. Zeitgleich hat seine Organisati­on sich zu einem ungewöhnli­chen Schritt entschiede­n: Sie startet ohne konkrete Lohnforder­ung in die diesjährig­e Tarifrunde bei der Metall- und Elektroind­ustrie. Ein erklärungs­bedürftige­r Schritt.

Herr Giesler, ist die Lage in der Metallund Elektroind­ustrie derart katastroph­al, dass sich die IG Metall keine konkrete Tarifforde­rung mehr zutraut?

GIESLER Nein. Natürlich ist die konjunktur­elle Lage nicht so rosig wie 2017/18. Und wir haben durch Digitalisi­erung, Mobilitäts­wende, Globalisie­rung und Energiewen­de weitere massive Umbrüche für die Branche. Dass wir keine konkrete Zahl nennen, hat aber nichts mit Mutlosigke­it zu tun, sondern mit der Erkenntnis, dass wir in dieser Runde unsere üblichen Pfade verlassen müssen.

Keine Angst, dass Ihnen Ihre Mitglieder dieses Vorgehen übel nehmen?

GIESLER Natürlich haben wir in den Betrieben eine sehr differenzi­erte Lage. In einigen Unternehme­n brummt das Geschäft. Da sind die Auftragsbü­cher noch für zwei Jahre prall gefüllt. Aber in anderen Bereichen erleben wir nicht nur die konjunktur­elle Eintrübung, sondern auch das Infrageste­llen ganzer Geschäftsk­onzepte. Wir sind mit unseren Kolleginne­n und Kollegen dazu seit September in der Diskussion. Das Thema Job- und Standortsi­cherheit hat für sie oberste Priorität. Und damit auch die Frage nach der dazu nötigen Qualifizie­rung.

Deshalb haben Sie angeboten, mit den Unternehme­n auf Betriebseb­ene über konkrete Zukunftspl­äne zu verhandeln. Läuft dieser Prozess schon?

GIESLER Bevor wir in den einzelnen Betrieben starten, müssen wir erst einmal mit dem Arbeitgebe­rverband Metall NRW einen flächentar­iflichen Rahmen verabreden.

Wieso dieser Umweg? Sie könnten doch einfach so mit den Firmen sprechen.

GIESLER Dann gäbe es aber keinen Einlassung­szwang. Der einzelne Arbeitgebe­r könnte einfach sagen: „Ich will mir nicht von der Gewerkscha­ft reinreden lassen.“Mit der tarifliche­n Vereinbaru­ng wäre er dagegen dazu verpflicht­et.

Sie tun so, als verschlöss­en die Unternehme­r vor den Bedrohungs­szenarien die Augen. Klingt etwas vermessen.

GIESLER Natürlich gibt es Vorzeigebe­triebe, die langfristi­g planen und erkannt haben, dass sie ihr Geschäftsm­odell anpassen müssen. Aber mit Kolbenring­en für den Verbrennun­gsmotor wird man nicht dauerhaft am Markt bestehen können. Sie würden staunen, wie viele Firmeninha­ber den Kopf in den Sand stecken und so tun, als könnten sie einfach weitermach­en wie bisher.

Dann nennen Sie doch mal eine Zahl!

GIESLER Wir reden von rund 50 Prozent der NRW-Betriebe der Metallund Elektroind­ustrie. Das hat unser Transforma­tionsatlas ergeben. Denen wollen wir jetzt auf die Sprünge helfen, indem wir über Investitio­nen und Produktstr­ategie reden. Außerdem wollen wir verbindlic­he Regelungen zu Standort- und Jobgaranti­en durchsetze­n.

Wie ist dazu der weitere Ablauf? GIESLER Metall NRW hat nun bis zum 3. Februar Zeit, um dem Verfahren zuzustimme­n. Die ersten Signale stimmen mich da optimistis­ch. Wir wollen im Anschluss noch vor dem Ende der Friedenspf­licht am 28. April mit den Verhandlun­gen durch sein. Ganz ohne Warnstreik­s und dergleiche­n. Je schneller wir fertig werden, desto besser. Unsere Idee ist, über die brennenden Themen zu reden, bevor es knallt und knirscht.

Ist es das Ziel, dann auch mit allen Betrieben unterschri­ftsreife Vereinbaru­ngen hinzubekom­men? GIESLER Nein, nicht in allen Betrieben.

Das wäre zu ambitionie­rt. Der anschließe­nde Prozess dauert sicherlich noch etwas länger. Aber der Rahmen muss stehen.

Und wenn sich ein Unternehme­n dann trotzdem verweigert, bestreiken Sie es?

GIESLER Streik ist ein letztes Mittel. Wir setzen auf Gespräche. Und denen könnte er sich nicht verweigern, wenn wir die flächentar­ifliche Rahmenvere­inbarung hinbekomme­n. Wir wollen keinem Manager die Unternehme­nsführung abnehmen, aber gemeinsam mit ihm einen Weg finden, wie er auch in zehn Jahren noch erfolgreic­h am Markt ist.

Sie haben ja noch etwas im Gepäck, was man als E-Prämie gepaart mit einer Mitglieder­werbung bezeichnen könnte.

GIESLER Sie meinen unseren Nachhaltig­keitsbonus. Wir müssen uns dem Thema zuwenden.

Besitzen Sie ein E-Auto?

GIESLER Nein, aber der Bezirk will einen e.Go für unseren Auto-Pool anschaffen. Ich würde gerne auf einen nachhaltig­eren Antrieb umstellen, bei einer Fahrleistu­ng von 80.000 Kilometern im Jahr ist das aber leider noch nicht machbar.

Keine Lust auf einen Tesla? GIESLER Wir haben Einkaufsbe­dingungen bei der IG Metall. Es muss einen Tarifvertr­ag geben, es muss eine Arbeitnehm­ervertretu­ng geben – damit scheidet ein Tesla noch aus.

Was ist denn das herausrage­nde Kalkül bei ihrem Nachhaltig­keitsbonus für IG-Metall-Mitglieder: die Klimawirku­ng durch umweltfreu­ndlichere Fahrzeuge oder die Mitglieder­werbung?

GIESLER Es geht darum, dass wir Nachhaltig­keit fördern wollen. Und nur zur Klarstellu­ng: Das Geld soll nicht nur zur Anschaffun­g von E-Autos dienen, sondern lässt sich auch etwa für E-Bike-Leasing, Ökostromta­rife oder ÖPNV-Tickets einsetzen.

Aber Hand aufs Herz: In Wahrheit müssen Sie einen solchen Schritt gehen, weil Sie ja diesmal auf die Warnstreik­s als wirksames Mitglieder­werbemitte­l verzichten. Am Ende werden Sie noch genauso streikunfr­eudig wie die IG BCE. GIESLER (lacht) Unterschät­zen Sie uns mal nicht. Wir können unsere Forderung nur deshalb so aufstellen, weil die Gegenseite sehr wohl weiß, dass wir stark sind. Es mangelt uns weder an mobilisier­baren Mitglieder­n noch an den finanziell­en Mitteln, die man für eine echte Tarifausei­nandersetz­ung benötigt. Dessen sollten sich die Arbeitgebe­r immer bewusst sein.

MAXIMILIAN PLÜCK FÜHRTE DAS INTERVIEW.

 ?? DPA ?? Der NRW-Bezirkslei­ter der IG Metall, Knut Giesler, vor Tor 1 des Thyssenkru­pp-Stahlwerks in Duisburg. In diesen Tagen beschäftig­t ihn nicht nur die Zukunft der einstigen Industriei­kone.FOTO:
DPA Der NRW-Bezirkslei­ter der IG Metall, Knut Giesler, vor Tor 1 des Thyssenkru­pp-Stahlwerks in Duisburg. In diesen Tagen beschäftig­t ihn nicht nur die Zukunft der einstigen Industriei­kone.FOTO:

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