Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Der Einzigarti­ge

Kobe Bryant ist tot. Er wurde nur 41 Jahre alt. Nachruf auf einen Besessenen, der Michael Jordan erfolgreic­h nacheifert­e – und viel mehr schaffte.

- VON TOBIAS JOCHHEIM

Für den Basketball war Kobe Bryant Superheld und Superschur­ke zugleich

Beinahe vier Jahre ist es her, dass Kobe Bryant sein ikonisches Trikot zum letzten Mal auswrang. Das letzte Spiel war typisch: ganz großes Spektakel. 60 Punkte holte sich Bryant, obwohl er 50 Würfe dafür brauchte. Die SportWelt, die in den 20 Jahren davor oft über das wurffreudi­ge Wunderkind geflucht hatte, explodiert­e in Kopfschütt­eln, Gelächter, Applaus – und schließlic­h purer Ehrerbietu­ng. Seit dem späten Sonntagabe­nd unserer Zeit trauert die halbe Welt um den eigenwilli­gen Star. Er starb beim Absturz seines Privatheli­kopters nahe Los Angeles. Bryant wurde nur 41 Jahre alt. Er hinterläss­t seine Frau und drei Töchter. Die vierte – Gianna (13) – kam mit ihrem Vater und sieben weiteren Menschen um. Die Basketball­welt weiß nicht, wohin mit ihrem Schmerz.

Als 17-Jähriger war Bryant direkt aus seiner Highschool in Philadelph­ia in die beste Liga der Welt gestürmt, frei nach dem Motto: Am College kann ein Kobe Bryant nichts mehr lernen. Den Männern der Liga, die sich dadurch beleidigt fühlten, zeigte es der Halbwüchsi­ge mit der Afro-Mähne – indem er über sie hinwegspra­ng und den Ball zum Slam Dunk durch den Korb hämmerte.

Erst mit 37 musste er seine Passion aufgeben: Die Achillesse­hne, die Knie, die Schultern – alles schmerzte, jeden Tag, jeder Muskel, jede Sehne, und das bisschen, was von seinen Knorpeln noch übrig war.

Er ging als größter unter den Superstars der Lakers, größer als Shaquille O’Neal und Magic Johnson. Bryant war der populärste und erfolgreic­hste Basketball­er jenseits des unantastba­ren Michael Jordan. Dem hatte Bryant schon als Schüler nachgeeife­rt, jede noch so kleine Bewegung bis zum Erbrechen trainiert. Bryant war ebenso besessen und getrieben wie Jordan, und ein ebenso schlechter Verlierer. Aber er verlor auch ebenso selten.

Denn er war zu gleichen Teilen akribische­r Arbeiter, gewiefter Stratege und Killer auf dem Court. Er fluchte und foulte, höhnte und provoziert­e, war ein Bluthund in der Defensive. Und in der Offensive blühte er erst richtig auf. Jeder Wurf war für ihn ein guter. Wenn er traf, drückte er im nächsten Angriff erneut ab. Und wenn er nicht traf, dann erst recht. Kein Spieler warf öfter daneben als er – satte 16.966 Fehlversuc­he sammelte er insgesamt, bei 13.733 Treffern. 55,3 Prozent seiner Würfe gingen daneben. Aber die meisten wichtigen traf er.

Denn da waren ja längst nicht nur die Spektakel mit überschaub­arem sportliche­n Wert wie sein 81-Punkte-Spiel 2006. Oder die Partie 2005, in der er nach drei Vierteln mehr Punkte erzielt hatte als die gesamte gegnerisch­e Mannschaft (62:61). Oder die neun Spiele in Serie 2003 mit 40 oder mehr Punkten. Sein einziges Team, die L.A. Lakers, führte Bryant zu fünf Meistersch­aften. Bis heute hält er diverse Team- und Liga-Rekorde. 18 Mal schaffte er es ins All-Star-Team, zwölf Mal in die Auswahl der besten Verteidige­r. Insgesamt verbuchte er 39.283 Punkte in 57.278 Minuten, dazu unter anderem 7.346 Korbvorlag­en.

Mit dem Erfolg wuchs sein Ruhm. Bryant wurde zur Marke, zum Popstar. Zu einem der ersten des Internet-Zeitalters überhaupt. Bei der offizielle­n Trauerfeie­r für Michael Jackson hielt er eine Rede. Bryants gelb-violettes Muskelshir­t verkaufte sich millionenf­ach. In den USA sowieso, aber auch in Deutschlan­d und Asien, Südamerika, Osteuropa. Noch heute ist es auf jedem Basar

dieser Welt zu haben. Die halbe Welt kannte ihn unter seinem Vornamen. Kobe (gesprochen: „Kobi“), wie das japanische Edel-Steak. Er selbst nannte sich „Black Mamba“, nach der Giftschlan­ge, oder, im gesetzten Alter, „Vino“, weil sein Spiel gereift sei wie guter Wein.

2003 ereignete sich eine Zäsur:

Eine 19-jährige Hotelanges­tellte aus Colorado zeigte Bryant wegen Vergewalti­gung an. Zu einem Strafproze­ss kam es nicht, weil die Frau nicht gegen den mächtigen Verdächtig­en aussagen wollte. Ein Zivilverfa­hren endete mit einem Vergleich. Bryant entschuldi­gte sich öffentlich, ohne eine Schuld einzugeste­hen: Er habe ihren Geschlecht­sverkehr als einvernehm­lich missversta­nden. An die junge Frau floss zudem wohl eine unbekannte Summe Geld. Seiner Ehefrau Vanessa schenkte er einen vier Millionen Dollar teuren Diamantrin­g als Entschuldi­gung. Eine Zeit lang erwähnten Bryants Kritiker den Fall zu jeder Gelegenhei­t. Irgendwann aber war es, als sei das verstörend­e Ereignis nie geschehen.

Nach dem Ende seiner Profi-Karriere widmete sich Bryant dem Sport auf andere Art: Neben seiner Autobiogra­fie „Mamba Mentality“schrieb er Essays und Gedichte. Für seinen animierten Kurzfilm „Dear Basketball“gewann er 2018 einen Oscar; zuletzt versuchte er sich als Verleger von Kinder- und Jugendbüch­ern. Barack Obama schrieb: „Kobe war eine Legende auf dem Platz; und er hatte gerade erst begonnen, was ein ebenso bedeutsame­r zweiter Akt geworden wäre.“

Zuletzt hatte sich Bryant als Familienme­nsch und entspannte­r Spaßvogel präsentier­t. Die teils erbitterte­n sportliche­n Fehden etwa

mit seinem Ex-Mitspieler Shaquille O’Neal waren längst befriedet. Neulich erst brüllte er als Zuschauer dem Jung-Star Luka Doncic in dessen Heimatspra­che Slowenisch nicht jugendfrei­e Flüche zu, als Zeichen des Respekts. Erst am Sonntagmor­gen war Bryant erneut in den Schlagzeil­en: Mit LeBron James hatte ein anderer Spieler seinen Punktereko­rd geknackt. Bryant gratuliert­e staatsmänn­isch, ja verneigte sich bei Twitter vor James – keine 24 Stunden später war er tot.

Bryant konnte ein Sausack sein, unerträgli­ch arrogant, egoistisch bis hin zur Untrainier­barkeit. Aber am härtesten war er stets zu sich selbst. Als 2013 seine Achillesse­hne riss, humpelte er zurück aufs Feld, um die ihm zustehende­n zwei Freiwürfe zu nehmen. Mit Tränen in den Augen traf er beide. Seine Lakers gewannen das wichtige Spiel.

Bryant nahm alles persönlich. Jedes Training ging er an, als stehe Olympia-Gold auf dem Spiel (das er bei zwei Versuchen auch zweimal gewann). Auf der großen Bühne funktionie­rte die Mensch-Maschine noch besser. Für den Sport war er Superheld und Superschur­ke zugleich. Bryant genoss diese Doppelroll­e – und entwickelt­e sein Spiel stetig weiter. Nach eigener Aussage studierte der Mann, der keine große Geste scheute, dafür „die Geduld, das Timing und die Angriffswi­nkel der Weißen Haie vor der Küste Südafrikas“. Vom Student des Spiels wurde er zum Meister und Lehrer – und blieb doch ganz er selbst.

Dieses Feuer, dieser Fokus, dieser Drive, diese Kompromiss­losigkeit ist sein Vermächtni­s. Dirk Nowitzki nannte Kobe Bryant „den Michael Jordan unserer Generation“. Tatsächlic­h war er sogar noch mehr.

 ??  ??
 ??  ?? Von 2000 bis 2002 sowie 2009 und 2010 gewann Bryant mit den L.A. Lakers den NBA-Titel. Mehrfach wurde er auch zum „wertvollst­en Spieler“gekürt.
Von 2000 bis 2002 sowie 2009 und 2010 gewann Bryant mit den L.A. Lakers den NBA-Titel. Mehrfach wurde er auch zum „wertvollst­en Spieler“gekürt.
 ?? FOTOS (3): DPA ?? Kobe Bryant spielte in der NBA nur für die Los Angeles Lakers.
FOTOS (3): DPA Kobe Bryant spielte in der NBA nur für die Los Angeles Lakers.
 ??  ?? 2018 erhielt Bryant einen Oscar für den besten animierten Kurzfilm.
2018 erhielt Bryant einen Oscar für den besten animierten Kurzfilm.
 ?? FOTO: AP ?? Bryants zweitältes­te Tochter Gianna hatte das Talent ihres Vaters.
FOTO: AP Bryants zweitältes­te Tochter Gianna hatte das Talent ihres Vaters.

Newspapers in German

Newspapers from Germany