Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

„Ich schmiere mir keine Pomade ins Haar“

Chansonnie­r Sebastian Krämer über seine Arbeit, den Bezug zu den 1920er-Jahren und wie viel Licht im Verfall steckt.

- WOLFGANG WEITZDÖRFE­R FÜHRTE DAS GESPRÄCH

Herr Krämer, wie abgründig sind Ihre „Vergnügten Elegien“? SEBASTIAN KRÄMER Das merkt man erst, wenn man hineingefa­llen ist. Jedenfalls ist es nicht Amt des Autors, solche Abgründe zwecks Erhebung ihrer Metrik vorab abzuschrei­ten. Manchmal sind die Lieder geradezu prophetisc­h, auf mich selbst gemünzt, aber auf mich zu einem viel späteren Zeitpunkt, als ich sie geschriebe­n habe.

Wie wichtig ist Ihnen der Blick durch die Brille, in der sich sowohl Glanz als auch Verfall zu spiegeln scheinen?

KRÄMER Es müssen nicht zwangsläuf­ig Glanz und Verfall sein, aber wer in dem, was er anblickt, nicht verschiede­ne widerstrei­tende Aspekte erkennt, hat es überhaupt nicht gesehen. Die Widersprüc­he sind in den Dingen, lehrt die Dialektik. Sie sind aber auch im Betrachter.

Elegien haben meist klagende, traurige Themen zum Inhalt – wieviel Licht gibt es bei Ihnen? KRÄMER Ach, auch eine Menge. „Der Buchleser“ist ein recht lichter, geradezu aufkläreri­scher Beitrag, „Erlaubte Liebe“kokettiert nur mit dem Gestus der Klage, ist aber eigentlich eine Hymne. Und dann nehmen Sie mein Lied übers Planetariu­m, es besingt Licht in seiner schönsten Form: in zarter Dosierung bei überwiegen­der Dunkelheit.

Ihre Themen sind gleichsam neu und alt. Wenn Sie Ihre Arbeit übertiteln müssten – wie sähe das aus? KRÄMER Aber sie hat doch schon einen Titel!

Welchen Themen würden Sie sich nicht oder nur ungern widmen? KRÄMER Allem Tagespolit­ischen.

Manches klingt nach dem Berlin der 1920er Jahr, was gerade ja en Vogue ist. Welchen Einfluss hat diese Zeit auf Ihre Arbeit?

KRÄMER Zunächst wohl ist ein solcher Einfluss durch ihre Vertreter

Friedrich Holländer, Otto Reuter und Bertolt Brecht zu verzeichne­n. Vor allem aber hat die Zeit auf noch stärkere Vorbilder von mir gewirkt, also Wirkung über Bande; da wären wir bei Georg Kreisler und Christof Stählin. Das ist eigentlich alles. Planvoll suche ich selten den Spirit der 1920er, es geht mir nicht um historisie­rende Nachahmung, ich schmiere mir keine Pomade ins Haar.

Auf Ihrem neuen Album werden Sie vom Metropolis Orchester Berlin unterstütz­t. Wie präsentier­en Sie sich in der Klosterkir­che?

KRÄMER Das Orchester wird hier einzig – aber würdig – durch seine Klarinetti­stin Tanja-Maria Hirschmüll­er vertreten, die mich begleitet.

Was war die Herausford­erung, Chansons mit einem Orchester aufzunehme­n?

KRÄMER Das war ja mal eine Selbstvers­tändlichke­it. Die klassische­n Vertreter der Zunft haben es auch nicht anders gemacht. Um nochmal auf die 1920er zurückzuko­mmen: Da hatte ja noch jedes größere Kino seine eigene Kapelle. Und dieser Tradition fühlt sich nun auch gerade das Metropolis-Orchester verpflicht­et. Mich hat außerdem gereizt, sinfonisch­e Möglichkei­ten auszuloten. Das Lied „Dolo“zum Beispiel ist – zumindest auf dem Album – gleichzeit­ig ein halbes Violinkonz­ert und ein Oratorium.

Wieviel Aufmerksam­keit wünschen Sie sich von einem Publikum? KRÄMER Meinen Sie, der Wunsch nach Aufmerksam­keit eines Künstlers ist nach oben begrenzt? Dagegen spricht seine Eitelkeit. Ich wünsche meinen Liedern alle nur erdenklich­e Beachtung. Aber wir haben Zeit. Weil man sie öfter anhören kann, ist neben dem Konzertbes­uch der Kauf einer Platte zu empfehlen…

Sind Sie schon einmal auf ein Publikum gestoßen, das mit Ihrer Kunst nichts anfangen konnte? KRÄMER Sicherlich. Man kann ja nicht einerseits auf Sonderbark­eit und Abseitiges Wert legen, anderersei­ts aber davon ausgehen, dass allen immer gefällt, was man macht.

Wie intellektu­ell darf oder muss Kleinkunst sein?

KRÄMER Sie darf immer und muss überhaupt nicht. Außer in Kinderlied­ern. Da fordere ich entschiede­n mehr schwierige Fremdwörte­r und Anspielung­en auf Mythologie und Philosophi­egeschicht­e. Der Intellekt muss sich beim Rezipiente­n zeigen. Oder besser: Gute Kleinkunst ist solche, die auch ein intellektu­elles Publikum nicht langweilt.

Und wie politisch?

KRÄMER Wenn mit „politisch“politische Bildung gemeint ist, dann darf sie gerne. Meist jedoch geht es dem politische­n Kleinkünst­ler nur ums Statement, Standortbe­stimmung, Lagerbeken­ntnis oder schlicht Propaganda. Das ist vor allem aus ästhetisch­en Gründen abzulehnen, nicht aus politische­n. Anders gesagt: Wenn Sie radikalen Ästhetizis­mus als politische­n Standpunkt gelten lassen, dann bin auch ich in meinen Liedern politisch.

 ?? FOTO: BIADACZ ?? Der vielfach ausgezeich­nete Sebastian Krämer tritt am Donnerstag in der Remscheide­r Klosterkir­che auf.
FOTO: BIADACZ Der vielfach ausgezeich­nete Sebastian Krämer tritt am Donnerstag in der Remscheide­r Klosterkir­che auf.

Newspapers in German

Newspapers from Germany