Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
„Es ist die letzte Chance der Kirche“
Mit dem Synodalen Weg versucht die katholische Kirche einen Reformprozess. Zur Debatte stehen der Zölibat und die Rolle der Frau.
FRANKFURT Die Zukunft der katholische Kirche soll von Donnerstag an Gestalt annehmen, wenn die erste Versammlung des Synodalen Wegs in Frankfurt über Reformen berät: wie über das Weiheamt für Frauen und den Zölibat. Zwei Jahre soll der Prozess dauern. Welche Beschlüsse es geben wird, ist völlig offen, sagt Kirchenrechtler Schüller. Am Ende wird jeder Bischof für sein Bistum das letzte Wort haben.
Was erwarten Sie vom Synodalen Weg, auf dem die katholische Kirche ab Donnerstag in Frankfurt über Reformen beraten wird? SCHÜLLER Positiv gewendet erwarte ich einfach, dass über die relevanten Themen geredet wird – als eine Folge der Missbrauchsstudie, in der ja die systemischen Ursachen benannt wurden, die sexuellen Missbrauch befördert haben. Also Macht, die priesterliche Lebensform, die katholische Sexualmoral und die Stellung der Frau, wobei die Bischöfe ursprünglich nur über die ersten drei Themen reden wollten. Aber dann gibt es schon die Kritik daran, dass dies ein Missbrauch des Missbrauchs sei, denn das eigentliche Thema sei ja, dass wir nicht mehr glauben und darum eine verstärkte Evangelisierung notwendig sei. Wenn aber eine wissenschaftliche Untersuchung zeigt, dass es in der Kirche systemische Ursachen gibt, die die Weitergabe des Evangeliums behindern, dann hängt das eine mit dem anderen zusammen und kann nicht gegeneinander ausgespielt werden.
Und Ihre negativ gewendeten Erwartungen?
SCHÜLLER Man hat sich einer Rechtsform bedient, die unverbindlich ist. Es steht ausdrücklich in den Statuten, dass keiner der Beschlüsse irgendeinen Bischof bindet. Jeder Bischof kann also auch nach den Beratungen und Voten weiterhin tun und lassen, was er will. Wobei die Änderung des Pflichtzölibats und der Sexualmoral wie auch die Frage nach der Weihe für Frauen tatsächlich Themen sind, die am Ende in Rom entschieden werden. Darum gilt es, vernünftig Argumente zu sammeln, die dann als Votum nach Rom geschickt und möglicherweise in der Weltkirche wahrgenommen werden können. Im Sinne eines geistigen Prozesses und nicht nach der Devise: Am deutschen Wesen soll die Weltkirche genesen.
Wie groß ist die Gefahr, dass die Stimmung in der Kirche, sollten etliche Reform-Hoffnungen nicht erfüllt werden, ins Gegenteil umschlägt und zu einer noch größeren Lähmung und Frustration führt? SCHÜLLER Das ist natürlich eine Gefahr – und ganz besonders bezogen auf die Frauen. Die zunächst kleine Bewegung von Maria 2.0 hat mit klar formulierten Forderungen und der klugen Aktion eines Kirchenstreiks eine europaweite Welle ausgelöst und deutlich gemacht: Der synodale Weg ist wirklich die letzte Chance in Deutschland, über die Stärkung der Rechte der Frau nachzudenken, und dazu gehört die Weihefrage. Wenn das nicht gelingt, ist eine große Enttäuschung zu erwarten. Dann wird die letzte Generation von Frauen, die überhaupt noch bereit ist, sich in der Kirche hauptwie ehrenamtlich zu engagieren, weitgehend aus dem öffentlichen Bild der Kirche verschwinden. Damit geht jene Gruppe verloren, die die Kirche überhaupt noch trägt. Die fortwährende Diskriminierung der Frau in der katholischen Kirche wird mit einem Frauenbild, das sich an Maria orientiert, spiritualisiert. Man muss sich das einmal vorstellen: Geweihte Männer in der Kirche sagen Frauen, wie sie sich katholisch als Frau zu empfinden haben. Das macht heutzutage natürlich keine Frau in Deutschland mehr mit.
Viele warten auf die bevorstehende Veröffentlichung des nachsynodalen Schreibens von Papst Franziskus, in dem er zu den Beschlüssen der Amazonas-Synode im vergangenen Herbst Stellung nimmt – also auch zur möglichen Priesterweihe von verheirateten Männern in Ausnahmefällen. Wie stark wird das den synodalen Weg beeinflussen?
SCHÜLLER Papst Franziskus ist ein entschiedener Verfechter des Pflichtzölibats. Ich glaube aber, dass er für die Amazonas-Region die Weihe verheirateter Männer in absoluten Ausnahmefällen ermöglichen wird. Wenn es so käme, dann hätte das einen bestärkenden Impuls für den synodalen Weg in Fragen
der priesterlichen Lebensform. Ich glaube auch, dass dies einen Domino-Effekt auslösen könnte. Denn was Priestermangel ist, muss jede Kirche selbst vor Ort entscheiden. Und da bin ich vorsichtig optimistisch, dass dies Schule machen könnte. Sollte Franziskus aber keine Ausnahmeregelungen zulassen, stünde der synodale Weg schon zu Beginn vor seinem Aus. Denn dann weiß jeder, dass mit diesem Papst keine Reformen zu erwarten sind.
Könnte die Veröffentlichung des päpstlichen Schreibens kurz vor dem synodalen Weg Absicht sein? SCHÜLLER Zumindest hat bisher kein Papst schriftlich so schnell auf eine Synode reagiert. Das ist in der Tat ungewöhnlich. Es ist also keineswegs abwegig, dass es auch mit dem synodalen Weg zu tun hat. Und so klein die katholische Kirche hierzulande auch sein mag, die Welt schaut schon nach Deutschland.
Und spielt die kürzliche Einlassung vom emeritierten Papst Benedikt zur Verteidigung des Zölibats dabei auch eine Rolle?
SCHÜLLER Sollte Joseph Ratzinger das Vorwort verfasst haben, dann hat er wirklich eine rote Linie überschritten. Trotz seiner Ankündigung, nach seinem Rücktritt 2013 zu schweigen, zu beten und gehorsam zu sein, hat er sich in jüngster Zeit häufiger zu Wort gemeldet. Mit seinem Vorwort aber hätte er sich in eine tagespolitische Situationslage eingemischt, wohlwissend, dass das nachsynodale Schreiben auch zum Zölibat schon angekündigt ist. Sollte er wirklich der Verfasser des Vorworts sein, wäre das ein übles Foulspiel.
Warum hat man sich in Deutschland nur zu einem synodalen Weg entschlossen, nicht aber zu einer echten Synode?
SCHÜLLER Die Möglichkeit dazu hätte durchaus bestanden. Aber man hat das Treffen runtergedimmt zu einem Prozess, in dem am Ende nichts wirklich beschlossen wird. Es wird der Eindruck einer Synode erweckt, ohne tatsächlich eine Synode zu sein. Kirchenrechtlich ist es ein Treffen von Gläubigen mit ihren Bischöfen ohne Verbindlichkeit mit Blick auf die Beratungsergebnisse. Hinzu kommt: Bei der Würzburger Synode Mitte der 1970er Jahre war die Theologie prominent vertreten: so zum Beispiel Karl Rahner, Karl Lehmann und Johann Baptist Metz, die eigenständige Impulse setzten. Im Teilnehmerkreis finden wir aktuell eher ehrenwerte Frauen und Männer, die in der Kirche ehrenund hauptamtliche Aufgaben leisten, aber weniger die wissenschaftliche Theologie in ihrer Breite.
Viele Reformdebatten wirken nur wie eine Reaktion: auf den Skandal des Missbrauchs, den Priestermangel, die drängenden Fragen nach der Stellung der Frau. Es sind Antworten immer nur auf Notlagen. SCHÜLLER Das stimmt. Es ist die Reaktion einer sterbenden Volkskirche in Deutschland, die am Boden liegt. Nach außen hin wirkt sie zwar immer noch mächtig, faktisch aber hat sie weitgehend das Vertrauen ihrer Mitglieder und der Gesellschaft verloren, ihr wichtigstes Kapital. Dabei hätten wir guten Grund, die 2000 Jahre alte frohe Botschaft überzeugend zu verkünden.