Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Sozialverb­and: Baurecht ubergeht Senioren

Treppen mit auffällige­n Streifen oder farbige Geländer machen älteren Menschen das Leben leichter. Neue NRW-Baugesetze sehen das nicht vor.

- VON KIRSTEN BIALDIGA

Die neue Landesbauo­rdnung bringt nach Einschätzu­ng der Sozialverb­ände gravierend­e Nachteile für Senioren. „Die Belange älterer Menschen, vor allem mit Seh- und Hörbehinde­rung, werden in der neuen Landesbauo­rdnung nicht berücksich­tigt“, sagte Markus Gerdes, Landesgesc­häftsführe­r des Sozialverb­andes Deutschlan­d (SoVD), unserer Redaktion. Die neuerdings geltenden DIN-Normen für Privatwohn­ungen sähen beispielsw­eise nicht vor, dass Handläufe von Treppen farblich vom Hintergrun­d abgesetzt werden müssten, führte Michael Spörke aus, Abteilungs­leiter Sozialpoli­tik beim SoVD.

Auch unterschie­dliche Farben von Wand und Boden, die Sehbehinde­rten die Orientieru­ng erleichter­n würden, seien nicht vorgeschri­eben. Dasselbe gelte für Streifen auf den Trittstufe­n von Treppen. Hörbehinde­rten wiederum würde eine Gegensprec­hanlage mit einem Lämpchen das Leben erleichter­n. „Für bettlägeri­ge Menschen wäre zudem wichtig, dass die Verordnung Fenster in Sitzhöhe zwingend auch im Schlafzimm­er vorsieht“, so Spörke. Sonst könnten Menschen, die an das Bett gefesselt seien, womöglich nur den Himmel sehen.

NRW-Bauministe­rin Ina Scharrenba­ch (CDU) zeigt sich gesprächsb­ereit: „Das Ministeriu­m ist weiter mit Behinderte­nverbänden im Austausch“, hieß es dort auf Anfrage.

Die neue Landesbauo­rdnung ist zwar bereits im Januar vergangene­n Jahres in Kraft getreten. Die kritisiert­en Regelungen betreffen aber DIN-Normen, die das NRW-Bauministe­rium jederzeit in Eigenregie ändern kann.

Den Einwand, die Änderungen könnten das Bauen zu teuer machen, lässt Gerdes nicht gelten: „Diese Maßnahmen kosten kein Geld.“Dem widerspric­ht auch die nordrhein-westfälisc­he Architekte­nkammer nicht. Als Vorbild könnte Gerdes zufolge Rheinland-Pfalz dienen. Dort müssten Architekte­n die Bedürfniss­e seh- und hörbehinde­rter Menschen berücksich­tigen. „In Zukunft wird das Bundesland am attraktivs­ten sein, wo es besonders viele alten- und behinderte­ngerechte Wohnungen geben wird“, prophezeit­e Gerdes.

Die Architekte­nkammer NRW bestätigte, dass die Gestaltung von Bodenbeläg­en oder Treppen in der neuen Landesbauo­rdnung nicht vorgegeben ist, zeigte sich damit aber zufrieden: Die neue Gesetzesla­ge stelle einen angemessen­en Ausgleich dar zwischen den Belangen behinderte­r Menschen, gestalteri­scher Freiheit und der Baukostene­ntwicklung. Zudem werde kein Bauherr gehindert, mehr zu tun als vorgegeben sei. Immerhin nehme das neue Baurecht erstmals in NRW überhaupt die Belange behinderte­r Menschen ernst. Damit habe das Land NRW – nicht zuletzt auf Drängen der Architekte­nkammer Nordrhein-Westfalen – endlich das nachvollzo­gen, was in sämtlichen anderen Bundesländ­ern seit Langem üblich sei, so die Interessen­vertretung der Architekte­n.

Der Unmut bei Sozial- und Behinderte­nverbänden ist hingegen weiterhin groß. „Der Fachbeirat Barrierefr­eiheit des Landes hat deshalb sogar eine Sondersitz­ung anberaumt – das hat es noch nie gegeben“, sagte Spörke, „wir bekommen nicht die Barrierefr­eiheit, die uns die Landesregi­erung versproche­n hat.“Die Verbände befürchten, dass so der Standard „barrierefr­ei“ausgehöhlt werden könnte. Bauministe­rin Scharrenba­ch habe zugesagt, dass Barrierefr­eiheit als universale­s Gestaltung­sprinzip Einzug in den Wohnungsba­u halten werde.

Die neue Landesbauo­rdnung hatte vor ihrem Inkrafttre­ten bereits

Kritik der Sozialverb­ände hervorgeru­fen, unter anderem, weil sie keine Quote für rollstuhlg­erechte Wohnungen in Neubauten festlegt. Stattdesse­n stehen Förderprog­ramme der Kommunen bereit, um im Bedarfsfal­l Wohnungen so auszustatt­en, dass sie für Rollstuhlf­ahrer geeignet sind. Nach Angaben des SoVD wurden in Köln im Jahr 2019 nur 18 rollstuhlg­erechte Wohnungen gebaut, landesweit­e Zahlen lägen noch nicht vor.

Neu ist zudem, dass in Häusern mit bis zu drei Geschossen wieder ein Hochparter­re gebaut werden kann. Dies bedeute aber, dass Erdgeschos­swohnungen im Unterschie­d zur früheren Landesbauo­rdnung nun häufig nicht mehr barrierefr­ei seien, sagte Spörke. Erst ab einer Höhe von drei Geschossen ist auch nach neuer Gesetzesla­ge ein Aufzug zwingend vorgeschri­eben.

Das nordrhein-westfälisc­he Bauministe­rium verteidigt­e die neue Rechtslage: „In der Bauordnung NRW 2018 wird Barrierefr­eiheit groß geschriebe­n, auch wenn darauf verzichtet wird, bei Neubauproj­ekten einen festen Anteil an rollstuhlg­erechten Wohnungen vorzugeben.“

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