Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
NRW bohrt tief nach Wärme
Wirtschaftsminister Pinkwart will neben Windkraft und Photovoltaik auch die Nutzung der umstrittenen Tiefengeothermie vorantreiben. Noch 2020 sind Probebohrungen geplant.
DÜSSELDORF Die Landesregierung treibt die Energiegewinnung aus Erdwärme mit Nachdruck voran. Zur Förderung der Geothermie werde zurzeit eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen, schreibt NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) in einem aktuellen Bericht für den Landtag. Besonderes Augenmerk gilt dabei auch der Tiefengeothermie mit Probebohrungen in über 1000 Meter Tiefe. Die Landesregierung habe bereits die rechtlichen Hemmnisse bei der Nutzung der Tiefengeothermie wie auch zum Einsatz von Fracking beseitigt, so Pinkwart. Die rot-grüne Vorgängerregierung hatte dies noch in einem Erlass untersagt.
Anders als die oberflächennahe Geothermie ist die Tiefengeothermie auch unter Wissenschaftlern umstritten. Bei den Bohrungen kam es in einigen Fällen zu leichten Erdbeben, so etwa im baden-württembergischen Staufen oder in Basel. Aufgrund von Akzeptanzproblemen und hoher Kosten ist diese Form der
Energiegewinnung in Deutschland bisher kaum verbreitet.
Minister Pinkwart will Erdwärme zu einer wichtigen Säule der künftigen Energieversorgung in NRW ausbauen: Allein die oberflächennahe Geothermie könne mehr als die Hälfte des Bedarfs zum Beheizen von Gebäuden decken, sie werde aber erst zu einem Prozent genutzt, heißt es im Plan der Landesregierung für den Strom-Mix der Zukunft. „Die Tiefengeothermie sowie das warme Grubenwasser ehemaliger Zechen bieten eine verlässliche Wärme- und Kälteversorgung, die es gerade in NRW systematisch zu erschließen gilt.“Gleichzeitig will Pinkwart bis 2030 die Leistung von Windkraft und Photovoltaik verdoppeln. Erste Erkundungsbohrungen zusammen mit dem Fraunhofer-Institut und RWE sind am Kraftwerk Weisweiler noch in diesem Jahr geplant. Dort soll zu Testzwecken zunächst 1000 Meter in die Tiefe gebohrt werden, später könnten es bis zu 3000 Meter sein.
Das Umweltbundesamt kommt in einer Studie zu dem Ergebnis, dass die Risiken der Tiefengeothermie bei enger Überwachung gering sind. Die Stärke von Erdbeben durch Geothermie sei deutlich niedriger als etwa jene von Erdbeben durch Bergbau. Dem widerspricht jedoch ein Vorfall aus dem Jahr 2017 im südkoreanischen Pohang, wo ein Erdwärmeprojekt ein Erdbeben mit der Stärke 5,5 ausgelöst hatte – trotz engmaschiger Kontrolle. Der Geophysiker William Ellsworth von der Stanford University in den USA glaubt nicht, dass solche Probleme vermieden werden können: „Es ist selbst mit den besten Erkundungstechnologien extrem schwierig, Störungen zu finden, die nicht an der Oberfläche zu beobachten sind“, zitierte ihn ein Fachblatt.
Die NRW-Grünen-Fraktion unterstützt prinzipiell das Vorhaben der Landesregierung, die Potenziale der Geothermie stärker zu nutzen. Der Schutz von Mensch und Natur müsse aber höchste Priorität haben. „Einen substanziellen Beitrag zur Stromversorgung wird die Geothermie in NRW aber voraussichtlich nicht leisten können“, sagte die energiepolitische Sprecherin Wibke Brems. Das sieht die SPD-Fraktion anders: Die Potenziale der Geothermie seien groß, heißt es dort. „Ein großer Teil des Wärmebedarfs in NRW könnte aus der Geothermie gedeckt werden“, sagte der wissenschaftspolitische Sprecher Dietmar Bell. Die Voraussetzung für die kürzlich an den Start gegangene Fraunhofer-Einrichtung habe die SPD in ihrer Regierungszeit geschaffen. Leitartikel