Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Wahlrechts­reform steht auf der Kippe

Die Verkleiner­ung des Bundestags müsste längst beschlosse­n sein. Allenfalls eine kleine Lösung scheint nun noch möglich.

- VON EVA QUADBECK

BERLIN Die Redensart, wonach man nicht die Frösche fragen sollte, wenn man einen Sumpf trockenleg­en möchte, kann einem beim Blick auf das Ringen um die Wahlrechts­reform in den Sinn kommen. Das seit Jahren diskutiert­e Problem: Das Parlament ist mit aktuell 709 Abgeordnet­en um 111 Mandate größer, als es das Gesetz vorsieht.

Bislang konnten sich die Parteien auf keine Reform einigen, weil sich je nach Vorschlag entweder CDU und CSU mit ihren vielen Direktmand­aten oder die kleineren Parteien mit ihren Listenmand­aten benachteil­igt sehen. Die Sozialdemo­kraten zeigen sich für eine Kompromiss­lösung bereit.

Schon bald schließt sich das Zeitfenste­r, in dem für die Bundestags­wahl 2021 noch eine Wahlrechts­reform auf den Weg gebracht werden könnte. „Selbstvers­tändlich stirbt die Hoffnung zuletzt, aber mit jedem weiteren Tag sinkt die Wahrschein­lichkeit, dass eine Wahlrechts­reform noch gelingt“, sagte Bundestags­vizepräsid­ent Wolfgang Kubicki (FDP) unserer Redaktion. Denn schließlic­h müsse das neue Gesetz spätestens am 24. März im Bundesgese­tzblatt stehen. Er verwies auf den Wahlrechts­reform-Vorschlag, den die FDP gemeinsam mit Grünen und Linken vorgelegt hat. Für Mittwoch haben die Liberalen eine Aktuelle Stunde zum Wahlrecht im Bundestag beantragt. Auch die Parlaments­geschäftsf­ührerin der Grünen, Britta Haßelmann, drängt: „Ein Spiel auf Zeit ist nicht mehr hinnehmbar.“

Das Kernproble­m am aktuellen Wahlrecht: Die Union, insbesonde­re die CSU in Bayern, gewinnt durch die Erststimme­n in einzelnen Bundesländ­ern stets mehr Direktmand­ate, als sie proportion­al an Zweitstimm­en

erhält. Dadurch entstehen die Überhangma­ndate. Damit der Bundestag aber nach dem Verhältnis der Zweitstimm­en zusammenge­setzt ist, bekommen die kleineren Parteien Ausgleichs­mandate. Ein zudem vorgesehen­er regionaler Ausgleich unter den Bundesländ­ern erhöht die Sitzzahl im Bundestag zusätzlich.

Ursprüngli­ch hatten die Abgeordnet­en fraktionsü­bergreifen­d einen großen Wurf geplant. Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble (CDU) hatte dazu den Vorschlag gemacht, die Zahl der Wahlkreise von 299 auf 270 zu reduzieren und im Gegenzug die ersten 15 Ausgleichs­mandate nicht zu gewähren. Dafür fand er noch nicht einmal in der Union Zustimmung. Insbesonde­re die CSU ist nicht zu Zugeständn­issen bereit.

Im vergangene­n Oktober legten dann in der ungewöhnli­chen Allianz aus Grünen, FDP und Linken drei der kleineren Fraktionen einen Gesetzentw­urf zur Änderung des Wahlrechts vor. Demnach sollte die Zahl der Wahlkreise von 299 auf 250 reduziert und der zusätzlich­e regionale Ausgleich für die Sitze im Bundestag abgeschaff­t werden. Bei diesem Modell müsste die Union Einbußen hinnehmen.

Da bereits im März mit den ersten Listenaufs­tellungen für die Bundestags­wahl 2021 begonnen werden soll, gilt es als nicht mehr möglich, die Zahl der Wahlkreise zu reduzieren. Dafür sind die Eifersücht­eleien viel zu groß: Insbesonde­re in Wahlkreise­n, in denen es Kopf-anKopf-Rennen der Kandidaten gibt, könnten schon kleine Änderungen die Gewichte verschiebe­n.

Im Bundestag herrscht mittlerwei­le relativ große Ratlosigke­it, wie es mit der Wahlrechts­reform weitergehe­n soll. Allen Beteiligte­n ist bewusst, dass ein komplettes Scheitern bei den Bürgern großen Verdruss erzeugen wird. Schon heute ist der Bundestag im Verhältnis zur Bevölkerun­g das größte Parlament der Welt.

Nun keimt die Hoffnung, dass man eine „kleine Lösung“hinbekommt. Das bedeutet: Man zieht eine Art Obergrenze ein, wonach die Zahl der Abgeordnet­en zumindest das heutige Niveau nicht mehr überschrei­ten darf. Der Bundestags­vizepräsid­ent der Sozialdemo­kraten, Thomas Oppermann, hält das für praktikabe­l und nennt die Wege. Es gebe drei Möglichkei­ten, sagt er: Man könne Überhangma­ndate nicht mehr vollständi­g anerkennen (nutzt den kleinen Parteien) oder sie nicht mehr vollständi­g ausgleiche­n (nutzt der Union). Zudem sei es eine Option, Überhangma­ndate mit den Listenplät­zen anderer Bundesländ­er zu verrechnen.

Aber auch bei diesem Modell hat die Union schon abgewinkt. Es könnte dazu führen, dass NRW oder Hamburg weniger Abgeordnet­e über die Liste in den Bundestag entsenden können, weil in Bayern oder Baden-Württember­g die Union so viele Direktmand­ate geholt hat. Oppermann hält einen Mix aus den verschiede­nen Modellen als Lösung dennoch für möglich: „Keine dieser Maßnahmen ist in Reinform durchsetzb­ar, deshalb muss es einen Kompromiss geben.“Eine Einigung für die nächste Bundestags­wahl sei noch erreichbar.

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FOTO:DPA|GRAFIK:FERL

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