Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
„Pakt gegen Missbrauch“gefordert
Die Bilanz ein Jahrzehnt nach dem Skandal am Canisius-Kolleg ist ernüchternd.
BERLIN Zehn Jahre nach der Aufdeckung des Missbrauchsskandals am Berliner Canisius-Kolleg gibt es weiterhin mehr als 12.000 Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch pro Jahr in Deutschland. „Das Ergebnis der letzten zehn Jahre ist, dass wir leider das unerträgliche Leid von Tausenden Mädchen und Jungen nicht verhindert haben“, sagte der Beauftragte der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig. Fälle wie in Staufen, in Lügde und Bergisch Gladbach habe man nicht verhindern können. Allein 2018 gab es laut Kriminalstatistik 12.321 angezeigte Fälle von Kindesmissbrauch; 2422 davon in NRW. Dazu kommt eine Dunkelziffer in unbekannter Höhe.
Rörig forderte deswegen einen „Nationalen Pakt gegen den sexuellen Missbrauch“. „Dieser Pakt braucht die uneingeschränkte Unterstützung von allen Bürgern, von Bund, Ländern und Kommunen, den politischen Parteien, der Zivilgesellschaft wie Kirchen, Wohlfahrt, Sport, aber auch des Gesundheitswesens oder der Internetwirtschaft, die alle auf dieses Ziel hinarbeiten.“Aus seiner Sicht gehöre das Thema in jedes Parteiprogramm und jeden Koalitionsvertrag.
Er selbst sei immer wieder darüber erschrocken, „mit welcher Gelassenheit sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche von Teilen der Gesellschaft hingenommen wird“. In den kommenden Jahren dürfe es bundesweit keine Schulen, Kitas, Sportvereine oder Gemeinden mehr geben, die sich nicht als Schutzorte verstünden und Präventionskonzepte umsetzten.
Matthias Katsch, der als ehemaliger Schüler des Canisius-Kollegs dazu beitrug, den Skandal zunächst an den katholischen Schulen und später dann auch an weiteren Einrichtungen, etwa der reformpädagogischen Odenwaldschule, ins Rollen zu bringen, beklagte, dass „sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche noch immer nicht als zentrale gesellschaftliche Herausforderung angenommen“werde. Deutliche Vorwürfe richtete er auch an die Kirchen. „Beide Kirchen haben Aufklärung und Aufarbeitung über den Umgang ihrer Institutionen mit den Verbrechen ihrer Mitarbeitenden vielfach verschleppt“, sagte Katsch.
In der katholischen Kirche hatte im Sommer eine Arbeitsgruppe unter Beteiligung von Betroffenen, Kirchenvertretern und Wissenschaftlern Entschädigungen in Höhe von bis zu 300.000 Euro pro Fall vorgeschlagen. Noch habe man sich aber auf keine Lösung geeinigt. „Die Betroffenen warten, die Bischöfe streiten“, kritisierte Katsch.