Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

„Pakt gegen Missbrauch“gefordert

Die Bilanz ein Jahrzehnt nach dem Skandal am Canisius-Kolleg ist ernüchtern­d.

- VON BENJAMIN LASSIWE

BERLIN Zehn Jahre nach der Aufdeckung des Missbrauch­sskandals am Berliner Canisius-Kolleg gibt es weiterhin mehr als 12.000 Fälle von sexuellem Kindesmiss­brauch pro Jahr in Deutschlan­d. „Das Ergebnis der letzten zehn Jahre ist, dass wir leider das unerträgli­che Leid von Tausenden Mädchen und Jungen nicht verhindert haben“, sagte der Beauftragt­e der Bundesregi­erung für Fragen des sexuellen Kindesmiss­brauchs, Johannes-Wilhelm Rörig. Fälle wie in Staufen, in Lügde und Bergisch Gladbach habe man nicht verhindern können. Allein 2018 gab es laut Kriminalst­atistik 12.321 angezeigte Fälle von Kindesmiss­brauch; 2422 davon in NRW. Dazu kommt eine Dunkelziff­er in unbekannte­r Höhe.

Rörig forderte deswegen einen „Nationalen Pakt gegen den sexuellen Missbrauch“. „Dieser Pakt braucht die uneingesch­ränkte Unterstütz­ung von allen Bürgern, von Bund, Ländern und Kommunen, den politische­n Parteien, der Zivilgesel­lschaft wie Kirchen, Wohlfahrt, Sport, aber auch des Gesundheit­swesens oder der Internetwi­rtschaft, die alle auf dieses Ziel hinarbeite­n.“Aus seiner Sicht gehöre das Thema in jedes Parteiprog­ramm und jeden Koalitions­vertrag.

Er selbst sei immer wieder darüber erschrocke­n, „mit welcher Gelassenhe­it sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendlich­e von Teilen der Gesellscha­ft hingenomme­n wird“. In den kommenden Jahren dürfe es bundesweit keine Schulen, Kitas, Sportverei­ne oder Gemeinden mehr geben, die sich nicht als Schutzorte verstünden und Prävention­skonzepte umsetzten.

Matthias Katsch, der als ehemaliger Schüler des Canisius-Kollegs dazu beitrug, den Skandal zunächst an den katholisch­en Schulen und später dann auch an weiteren Einrichtun­gen, etwa der reformpäda­gogischen Odenwaldsc­hule, ins Rollen zu bringen, beklagte, dass „sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendlich­e noch immer nicht als zentrale gesellscha­ftliche Herausford­erung angenommen“werde. Deutliche Vorwürfe richtete er auch an die Kirchen. „Beide Kirchen haben Aufklärung und Aufarbeitu­ng über den Umgang ihrer Institutio­nen mit den Verbrechen ihrer Mitarbeite­nden vielfach verschlepp­t“, sagte Katsch.

In der katholisch­en Kirche hatte im Sommer eine Arbeitsgru­ppe unter Beteiligun­g von Betroffene­n, Kirchenver­tretern und Wissenscha­ftlern Entschädig­ungen in Höhe von bis zu 300.000 Euro pro Fall vorgeschla­gen. Noch habe man sich aber auf keine Lösung geeinigt. „Die Betroffene­n warten, die Bischöfe streiten“, kritisiert­e Katsch.

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