Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Darf ein Kriegsfilm so gut aussehen?

Der in zehn Kategorien für den Oscar nominierte Kinofilm „1917“erzählt auf ästhetisch grandiose Weise vom Ersten Weltkrieg. Für einen Kriegsfilm womöglich etwas zu grandios. Denn das Grauen wird von der Ästhetik in Schach gehalten.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

DÜSSELDORF Im Kino läuft zurzeit ein Film, der grandios gemacht ist und manchen Zuschauer dennoch mit einem unguten Gefühl nach Hause gehen lässt. „1917“heißt diese Produktion, der Brite Sam Mendes führte Regie, und er erzählt eine Geschichte aus dem Ersten Weltkrieg. Mendes wurde zu diesem Werk von seinem Großvater Alfred H. Mendes inspiriert.

Der Film mutet über weite Strecken an wie ein Videospiel: Themenpark Stahlgewit­ter

Der hatte als Lance Corporal an der Westfront gekämpft und Eilmeldung­en von Posten zu Posten gebracht. Sein Enkel knüpft nun aus diesen Erinnerung­en eine Geschichte, die er zwei fiktive Soldaten erleben lässt. Ein Antikriegs­film soll das sein, ein Film, der daran gemahnt, wie grauenhaft Krieg ist. Mendes erzählt indes so virtuos und mit so schönen Bildern, dass die ästhetisch­e Formalisie­rung das Grauen über weite Strecken in Schach hält. Man fragt sich: Darf ein Kriegsfilm so gut aussehen?

Der Clou von „1917“ist, dass man meint, er sei in einem Take aufgenomme­n. Es gibt zwar Schnitte, die sind aber gut versteckt; man nimmt sie kaum wahr. Die Kamera heftet sich an die Fersen zweier Kameraden, die ausgewählt wurden, das Niemandsla­nd zwischen den feindliche­n Schützengr­äben zu überwinden. Es ist der 6. April 1917, und Schofield und Blake müssen eine Nachricht an eine andere britische Kompanie überbringe­n. Wenn sie es nicht schaffen, sterben 1600 Kameraden, darunter Blakes Bruder.

Der Zuschauer wird zum dritten Gefährten, der hautnah dabei ist, wie die jungen Männer durch Bombenkrat­er robben, über Stacheldra­ht steigen, durch unterirdis­che Gänge irren und von einem Fluss mitgerisse­n werden. Dieser Effekt der gesteigert­en Unmittelba­rkeit sorgt im Zusammensp­iel mit den bisweilen märchenhaf­t schönen Bildern von Kameramann Roger Deakins dafür, dass das Kinoerlebn­is zur Fahrt in der Geisterbah­n wird: „1917“mutet an wie ein Videospiel. Abenteuerl­and Erster Weltkrieg. Themenpark Stahlgewit­ter.

Regisseure lieben es, vom Krieg zu erzählen. Sie dürfen dann zeigen, was sie können, denn Kriegsfilm­e sind stets Logistikfe­stivals und Spiegel der technische­n Möglichkei­ten ihrer Zeit. Die Kulturwiss­enschaftle­rin

Elisabeth Bronfen bezeichnet das Genre in ihrem Buch „Hollywoods Kriege“als „Formfeier“. Problemati­sch wird es, wenn Filme sich ihrer Form allzu bewusst sind. Das Überwältig­tsein von der ästhetisch­en Erfahrung steht dann in einem Missverhäl­tnis zur Fähigkeit, sie zu begreifen. Oder anders gesagt: Die Erschütter­ung über den historisch­en Krieg ist geringer als die Begeisteru­ng über seine zeitgenöss­ische Aufbereitu­ng.

Der Erste Weltkrieg war, zumal an der Westfront, ein langsamer Krieg. Deshalb ist er bei Filmemache­rn nicht so beliebt. Deutsche,

Franzosen und Engländer kämpften in Frankreich um ein paar Meter Land. Die Soldaten mussten in Unterständ­e gepfercht ausharren. Sie warteten buchstäbli­ch auf den Tod, in den Ranghöhere sie per Befehl schickten.

„1917“vermittelt ein anderes Bild. Der Film legt nahe, der Einzelne hätte es in der Hand gehabt, durch beherztes Eingreifen etwas zu verändern. „1917“ordnet das Chaos durch ein Narrativ, das den einfachen Soldaten, der in diesem Krieg keine Rolle spielte, sondern namenloses Kanonenfut­ter war, zum Helden stilisiert.

Der Kriegsfilm reflektier­t und formt, wie wir Krieg in der tatsächlic­hen Welt sehen und verstehen, hat Elisabeth Bronfen jüngst in der Sendung „Lakonisch Elegant“des Deutschlan­dfunks gesagt. Das Kino ist insofern ein privilegie­rter Ort der Erinnerung. Filme wie „Full Metal Jacket“und „Apocalypse Now“ermöglicht­en die Reflexion über Vietnam. Auch Terrence Malicks Film „Der schmale Grat“, der Krieg aus Sicht der Natur erzählt, stellte seine Kunstferti­gkeit in den Dienst des Appells. Diese Produktion­en rufen dem Zuschauer auf neue und umso eindringli­chere Weise zu: Seht, wie

sinnlos das alles war. „1917“wirkt dagegen streckenwe­ise wie ein Ausflug in die Laser-Tag-Halle. Daran ändert auch nichts, dass sich Sam Mendes in den letzten zehn Minuten zwingt, alles Versäumte nachzuhole­n: Dann bekommt man eingebimst, dass die Front ein Ort sinnlosen Sterbens ist.

Der erschütter­ndste Spielfilm über den Ersten Weltkrieg bleibt also Lewis Milestones Verfilmung des Remarque-Romans „Im Westen nichts Neues“aus dem Jahr 1930. In der gespenstis­chen Schlusssze­ne werden Bilder der längst getöteten Soldaten, von denen hier erzählt wurde, über Bilder von ihren Gräbern geblendet. Der Protagonis­t wird herausgeho­ben, er sieht dem Zuschauer direkt und fragend ins Gesicht: ein Geisterbli­ck aus dem Reich des Todes.

Es gilt für den Kriegsfilm, was auf der Texttafel steht, die am Anfang von „Im Westen nichts Neues“eingeblend­et wird: „Diese Geschichte ist weder eine Anklage, noch ein Schuldbeke­nntnis, und am wenigsten ist sie ein Abenteuer, denn der Tod ist kein Abenteuer für diejenigen, die ihm ins Auge blicken.“

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FOTO: VERLEIH Schofield (George MacKay, l.) und Blake (Dean-Charles Chapman) müssen eine Nachricht an eine andere Einheit überbringe­n.

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