Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

So kam das Virus nach Deutschlan­d

Die ersten vier deutschen Corona-Patienten haben sich offenbar am Arbeitspla­tz in Bayern infiziert; dort arbeitete eine Kollegin aus China. Für die Wissenscha­ft ist der Fall doppelt bedeutsam.

- VON SABINE DWERTMANN UND PHILIPP JACOBS

GAUTING Die Verunsiche­rung ist in den Apotheken zu spüren. Desinfekti­onsmittel sind stark nachgefrag­t, ebenso Atemmasken. Die gibt es aber in Gauting und im gesamten Würmtal südwestlic­h von München nicht mehr. „Wir haben einen Run“, sagt eine Apothekeri­n. Nachschub wird in den kommenden Tagen erwartet.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis das neuartige Coronaviru­s auch auf deutschem Boden zum ersten Mal nachgewies­en wird. Ein 33-Jähriger aus dem bayerische­n Landkreis Landsberg am Lech hatte sich in seiner Firma in Gauting, einem Vorort von München, infiziert. Er steckte sich offenbar bei einer Kollegin aus China an, die in der vergangene­n Woche zu einer Schulung an den Standort Gauting-Stockdorf gekommen war. Kurz zuvor hatte die Kollegin Besuch von ihren Eltern, die aus der Provinz Wuhan kommen, dem mutmaßlich­en Ursprung des Virus.

Am Dienstag bestätigte­n die Behörden dann drei weitere Infektions­fälle aus derselben Firma. Bei „einigen weiteren Kontaktper­sonen“liefen noch Tests, ob eine Infizierun­g

mit dem Coronaviru­s vorliege, teilte das bayerische Gesundheit­sministeri­um mit.

Der erste Patient, ein Mitarbeite­r des Autoteilez­ulieferers Webasto, war bereits am Montag positiv getestet worden – da war er schon wieder zur Arbeit gegangen. „Es geht ihm recht gut, gestern Vormittag hat er noch gearbeitet“, sagte Andreas Zapf, Präsident des Landesamte­s für Gesundheit und Lebensmitt­elsicherhe­it, am Dienstag. „Er ist fieberfrei, hat auch derzeit keine Atemwegssy­mptomatik mehr“, fügte Chefarzt Clemens Wendtner vom Klinikum Schwabing hinzu. Der Mann befinde sich dort in einem Isolierzim­mer, für andere Patienten bestehe keine Gefahr. Der Infizierte hatte Kontakt zu rund 40 Personen aus seinem Bekanntenu­nd Verwandten­kreis. Auch die drei neuen Fälle wurden in die Klinik gebracht und dort isoliert.

Die chinesisch­e Kollegin, bei der sich der 33-Jährige mutmaßlich angesteckt hat, flog am 23. Januar wieder zurück in ihre Heimat. Dort wurde sie positiv auf das Virus getestet. Auch sie befindet sich in stationäre­r Behandlung.

Der Fall aus Bayern ist für die Wissenscha­ftler in zweifacher Hinsicht bedeutsam. So habe die Ansteckung in einem Intervall stattgefun­den, in dem die Chinesin noch symptomfre­i war, sagte Landesamts­präsident Zapf. Übertragun­gen, bevor Symptome auftreten, gelten als sehr selten. Besonders ist zudem, dass der erste deutsche Fall einer von bisher erst drei bekannten Nachweisen weltweit war, bei denen die Ansteckung außerhalb Chinas geschah. Bisher handelte es sich bei fast allen der rund 50 erfassten Infektione­n in Frankreich, den USA, Thailand und anderen asiatische­n Ländern um importiert­e Fälle. Die Betroffene­n hatten sich bei einer Reise nach China infiziert. In Vietnam gab es den Behörden des Landes zufolge eine Mensch-zu-Mensch-Übertragun­g außerhalb Chinas zwischen Vater und Sohn. In Japan wurde am Dienstag ein erster Fall einer Übertragun­g im Land gemeldet. Der Busfahrer habe Anfang des Monats zwei Gruppen chinesisch­er Touristen aus Wuhan gefahren, gab Gesundheit­sminister Katsunobu Kato bekannt.

Den Mitarbeite­rn in der Stockdorfe­r Zentrale hat das Management von Webasto für diese Woche freigestel­lt, ob sie ins Büro kommen oder lieber zu Hause arbeiten möchten. Schon zuvor hatte das Unternehme­n sämtliche Dienstreis­en nach China für die nächsten zwei Wochen abgesagt.

Auch andere Unternehme­n haben reagiert. Der Reiseanbie­ter Studiosus hat alle geplanten Reisen nach China bis mindestens zum 15. April abgesagt. Auch der Reiseveran­stalter Tui hat bereits reagiert. Tui-Kunden, die in den nächsten zwei Wochen eine China-Reise geplant haben, können gebührenfr­ei auf einen anderen Termin umbuchen. Aktuell hat Tui nach eigenen Angaben nur wenige Gäste in dem Land.

Die in Düsseldorf ansässige Metro AG sprach zwar kein generelles Reiseverbo­t aus, riet aber von entspreche­nden Besuchen ab. Der Handelskon­zern richtete zudem in allen vier Märkten in der abgeriegel­ten Provinz Wuhan Körpertemp­eratur-Kontrollpu­nkte ein. Das Pharmaunte­rnehmen Bayer überprüft alle Dienstreis­en in die Region auf ihre Notwendigk­eit.

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FOTO: DPA Das Auftreten des Coronaviru­s in Deutschlan­d hat die Nachfrage nach Atemmasken in Apotheken stark erhöht. Ein Infektions­experte hält Schutzmaßn­ahmen wie das Tragen von Mundschutz derzeit aber für unnötig.

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