Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Günther wird für Thyssen-Vorstand gehandelt
Freitag wird der Innogy-Vorstand in den Aufsichtsrat gewählt. Er gilt als Ersatzspieler, sollten amtierende Top-Manager das Handtuch werfen.
ESSEN Am Freitag ist für Thyssenkrupp Tag der Abrechnung. Dann kommen die Aktionäre im Ruhrcongress in Bochum zusammen, um über die Zukunft des Krisenkonzerns zu beraten. In der könnte ein neuer Aufsichtsrat eine große Rolle spielen: Bernhard Günther, noch Finanzchef des vor der Abwicklung stehenden Energiekonzerns Innogy. Die Hauptversammlung soll Günther in den Aufsichtsrat wählen. Der Manager hat sich nach dem Säureattentat zurück ins Berufsleben gekämpft. Der 53-Jährige gilt als kluger Kopf und geschickt im Umgang mit Investoren wie Gewerkschaften. Er könnte notfalls rasch in den Thyssenkrupp-Vorstand wechseln, heißt es in Aufsichtsratskreisen. Hier könnte durchaus ein Stuhl frei werden: der des Finanz- oder Konzernchefs. Es gebe eine gewisse Amtsmüdigkeit bei Finanzvorstand Johannes Dietsch. Der Konzern
wollte Personalspekulationen nicht kommentieren.
Hintergrund ist ein Streit im Vorstand über die Zukunft des Aufzuggeschäfts (Elevator), wie es in den Kreisen weiter heißt. Thyssenkrupp muss seine Ertragsperle ganz oder teilweise abgeben, um finanziell wieder auf die Beine zu kommen. Dietsch bevorzuge einen Börsengang der Tochter mit ihren 57.000 Mitarbeitern. Das könne und kenne er von seinem früheren Arbeitgeber Bayer. In Leverkusen hatte Dietsch erfolgreich die Töchter Lanxess und Covestro abgespalten. Offiziell verfolgt Thyssenkrupp beide Wege – die Vorbereitung eines Börsengangs und den Verkauf an Investoren. Ein Börsengang könnte rasch umgesetzt werden. Jedoch würde Thyssenkrupp so nur einen kleinen Elevator-Anteil losschlagen und wenig erlösen können.
Der schwedische Großaktionär Cevian, der gut 18 Prozent an Thyssenkrupp hält, pocht auf Transaktionssicherheit und Wertsteigerung:
„Angesichts des akuten hohen Geldbedarfs spricht sich Cevian für die Wertmaximierung für Thyssenkrupp aus”, so ein Cevian-Sprecher. Damit dürfte ein Börsengang für die Schweden faktisch vom Tisch sein. Und sie haben Verbündete im Kontrollgremium: Denn auch die Arbeitnehmer präferieren derzeit den Verkauf – und ziehen einen Finanzinvestor
einem direkten Konkurrent wie Kone vor. Das von Kone vorgelegte Konzept sei zu komplex und nicht schlüssig, heißt es im Arbeitnehmerlager. Um Bedenken der EU-Kartellwächter auszuräumen, solle das Europa-Geschäft an den Kone-Partner CVC gehen. Unklar sei unter anderem, bei wem der gewinnbringende Aufzug „Multi“bleibe. Kone allerdings soll das meiste bieten: Am Dienstag war bei der Agentur Bloomberg die Rede von 17 Milliarden Euro.
Unter den Private-Equity-Firmen gilt aus Beschäftigten-Sicht insbesondere das Konsortium um Brookfield als interessant. Vertrauensbildend wirkt dabei auch Ron Bloom, Vize-Chef von Brookfield. Er war nicht nur als einer der engsten wirtschaftlichen Berater von US-Präsident Barack Obama maßgeblich an der Verstaatlichung von GM beteiligt. Er stammt zudem selbst aus dem Gewerkschaftslager.
Eine Entscheidung über Verkauf oder Börsengang wird nach Informationen
unserer Redaktion Ende Februar fallen. Eine ursprünglich für Mitte Februar angesetzte Aufsichtsratssitzung war noch einmal um zwei Wochen verschoben worden.
Auch andere Vorstände setzen auf Verkauf, Thyssenkrupp ist mit drei Finanzinvestoren und Kone in Verhandlungen. Sollte Dietsch frustriert das Handtuch werfen, stünde mit Günther umgehend ein Einwechselspieler parat. Das ist wichtig, der Konzern hat leidvoll erfahren, wie schwer es für ihn mittlerweile ist, gutes Personal zu gewinnen.
Aber womöglich geht es für Günther auch noch höher hinaus, wie in Konzernkreisen spekuliert wird. Als Martina Merz im September 2019 vom Aufsichtsrat auf den Vorstandsvorsitz wechselte, kündigte sie an: für maximal zwölf Monate. Daher stellt auch sie sich auf der Hauptversammlung erneut zur Wahl für den Aufsichtsrat. Sie will im Herbst zurückkehren. Nach der qualvollen Suche nach einem Vorstandschef 2019 wäre der Konzern gut beraten, den neuen Chef schon im Visier zu haben. Thyssenkrupp hat weder Zeit noch Geld, um sich ein neues Machtvakuum zu leisten.
Der Wechsel vom Kontrolleur zum Vorstand ist in Essen verbreitet: Zum 1. April geht Vize-Aufsichtsratschef Markus Grolms als Arbeitsdirektor zu Thyssenkrupp Steel, wie der Konzern mitteilte. Noch auf dem letzten Aktionärstreffen war der Gewerkschafter mit Lob überschüttet worden, weil er nach dem überraschenden Abtritt von Ulrich Lehner als Aufsichtsratschef diese Rolle vorübergehend übernommen hatte. Grolms, den IG-Metall-Chef Jörg Hofmann mal als „meinen besten Mann“bezeichnete, musste zuletzt dreimal wöchentlich zwischen der Gewerkschaftszentrale in Frankfurt und dem Ruhrgebiet pendeln. Er kennt den Konzern bestens, muss nun aber den Abbau von mindestens 2000 Stellen umsetzen. Für ihn rückt IG-Metall-Vorstand Jürgen Kerner auf. Das Stühlerücken dürfte weitergehen.