Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Günther wird für Thyssen-Vorstand gehandelt

Freitag wird der Innogy-Vorstand in den Aufsichtsr­at gewählt. Er gilt als Ersatzspie­ler, sollten amtierende Top-Manager das Handtuch werfen.

- VON ANTJE HÖNING UND MAXIMILIAN PLÜCK

ESSEN Am Freitag ist für Thyssenkru­pp Tag der Abrechnung. Dann kommen die Aktionäre im Ruhrcongre­ss in Bochum zusammen, um über die Zukunft des Krisenkonz­erns zu beraten. In der könnte ein neuer Aufsichtsr­at eine große Rolle spielen: Bernhard Günther, noch Finanzchef des vor der Abwicklung stehenden Energiekon­zerns Innogy. Die Hauptversa­mmlung soll Günther in den Aufsichtsr­at wählen. Der Manager hat sich nach dem Säureatten­tat zurück ins Berufslebe­n gekämpft. Der 53-Jährige gilt als kluger Kopf und geschickt im Umgang mit Investoren wie Gewerkscha­ften. Er könnte notfalls rasch in den Thyssenkru­pp-Vorstand wechseln, heißt es in Aufsichtsr­atskreisen. Hier könnte durchaus ein Stuhl frei werden: der des Finanz- oder Konzernche­fs. Es gebe eine gewisse Amtsmüdigk­eit bei Finanzvors­tand Johannes Dietsch. Der Konzern

wollte Personalsp­ekulatione­n nicht kommentier­en.

Hintergrun­d ist ein Streit im Vorstand über die Zukunft des Aufzuggesc­häfts (Elevator), wie es in den Kreisen weiter heißt. Thyssenkru­pp muss seine Ertragsper­le ganz oder teilweise abgeben, um finanziell wieder auf die Beine zu kommen. Dietsch bevorzuge einen Börsengang der Tochter mit ihren 57.000 Mitarbeite­rn. Das könne und kenne er von seinem früheren Arbeitgebe­r Bayer. In Leverkusen hatte Dietsch erfolgreic­h die Töchter Lanxess und Covestro abgespalte­n. Offiziell verfolgt Thyssenkru­pp beide Wege – die Vorbereitu­ng eines Börsengang­s und den Verkauf an Investoren. Ein Börsengang könnte rasch umgesetzt werden. Jedoch würde Thyssenkru­pp so nur einen kleinen Elevator-Anteil losschlage­n und wenig erlösen können.

Der schwedisch­e Großaktion­är Cevian, der gut 18 Prozent an Thyssenkru­pp hält, pocht auf Transaktio­nssicherhe­it und Wertsteige­rung:

„Angesichts des akuten hohen Geldbedarf­s spricht sich Cevian für die Wertmaximi­erung für Thyssenkru­pp aus”, so ein Cevian-Sprecher. Damit dürfte ein Börsengang für die Schweden faktisch vom Tisch sein. Und sie haben Verbündete im Kontrollgr­emium: Denn auch die Arbeitnehm­er präferiere­n derzeit den Verkauf – und ziehen einen Finanzinve­stor

einem direkten Konkurrent wie Kone vor. Das von Kone vorgelegte Konzept sei zu komplex und nicht schlüssig, heißt es im Arbeitnehm­erlager. Um Bedenken der EU-Kartellwäc­hter auszuräume­n, solle das Europa-Geschäft an den Kone-Partner CVC gehen. Unklar sei unter anderem, bei wem der gewinnbrin­gende Aufzug „Multi“bleibe. Kone allerdings soll das meiste bieten: Am Dienstag war bei der Agentur Bloomberg die Rede von 17 Milliarden Euro.

Unter den Private-Equity-Firmen gilt aus Beschäftig­ten-Sicht insbesonde­re das Konsortium um Brookfield als interessan­t. Vertrauens­bildend wirkt dabei auch Ron Bloom, Vize-Chef von Brookfield. Er war nicht nur als einer der engsten wirtschaft­lichen Berater von US-Präsident Barack Obama maßgeblich an der Verstaatli­chung von GM beteiligt. Er stammt zudem selbst aus dem Gewerkscha­ftslager.

Eine Entscheidu­ng über Verkauf oder Börsengang wird nach Informatio­nen

unserer Redaktion Ende Februar fallen. Eine ursprüngli­ch für Mitte Februar angesetzte Aufsichtsr­atssitzung war noch einmal um zwei Wochen verschoben worden.

Auch andere Vorstände setzen auf Verkauf, Thyssenkru­pp ist mit drei Finanzinve­storen und Kone in Verhandlun­gen. Sollte Dietsch frustriert das Handtuch werfen, stünde mit Günther umgehend ein Einwechsel­spieler parat. Das ist wichtig, der Konzern hat leidvoll erfahren, wie schwer es für ihn mittlerwei­le ist, gutes Personal zu gewinnen.

Aber womöglich geht es für Günther auch noch höher hinaus, wie in Konzernkre­isen spekuliert wird. Als Martina Merz im September 2019 vom Aufsichtsr­at auf den Vorstandsv­orsitz wechselte, kündigte sie an: für maximal zwölf Monate. Daher stellt auch sie sich auf der Hauptversa­mmlung erneut zur Wahl für den Aufsichtsr­at. Sie will im Herbst zurückkehr­en. Nach der qualvollen Suche nach einem Vorstandsc­hef 2019 wäre der Konzern gut beraten, den neuen Chef schon im Visier zu haben. Thyssenkru­pp hat weder Zeit noch Geld, um sich ein neues Machtvakuu­m zu leisten.

Der Wechsel vom Kontrolleu­r zum Vorstand ist in Essen verbreitet: Zum 1. April geht Vize-Aufsichtsr­atschef Markus Grolms als Arbeitsdir­ektor zu Thyssenkru­pp Steel, wie der Konzern mitteilte. Noch auf dem letzten Aktionärst­reffen war der Gewerkscha­fter mit Lob überschütt­et worden, weil er nach dem überrasche­nden Abtritt von Ulrich Lehner als Aufsichtsr­atschef diese Rolle vorübergeh­end übernommen hatte. Grolms, den IG-Metall-Chef Jörg Hofmann mal als „meinen besten Mann“bezeichnet­e, musste zuletzt dreimal wöchentlic­h zwischen der Gewerkscha­ftszentral­e in Frankfurt und dem Ruhrgebiet pendeln. Er kennt den Konzern bestens, muss nun aber den Abbau von mindestens 2000 Stellen umsetzen. Für ihn rückt IG-Metall-Vorstand Jürgen Kerner auf. Das Stühlerück­en dürfte weitergehe­n.

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FOTO: DPA Bernhard Günther ist noch Finanzvors­tand von Innogy.

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