Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Nach dem Brexit braucht man Pässe

Am Freitag wird es ernst: Großbritan­nien tritt aus der EU aus. Bis Jahresende gilt eine Übergangsf­rist, doch dann brauchen Arbeitnehm­er eine Erlaubnis und Touristen Reisepässe. Urlaub und Handy sollen nicht teurer werden.

- VON BRIGITTE SCHOLTES UND CHRISTIAN KANDZORRA

DÜSSELDORF Drei Jahre lang haben EU und Großbritan­nien miteinande­r gerungen. Am 31. Januar ist es nun soweit: Die Briten verlassen die Europäisch­e Union. Das hat Folgen für Firmen, Touristen und Verbrauche­r. Ändert sich nun alles? Nein. Am Freitag beginnt erst einmal die Übergangsp­hase: Großbritan­nien ist dann zwar nicht mehr in der EU, wendet aber noch deren Regeln an. Premiermin­ister Boris Johnson will mit Brüssel bis zum Jahresende die künftigen Beziehunge­n klären, also vor allem ein Freihandel­sabkommen abschließe­n. Eine Verlängeru­ng dieser Frist hat er ausgeschlo­ssen.

Was ändert sich beim Reisen?

EU-Bürger können weiter mit gültigem Personalau­sweis oder Reisepass einreisen. Im Laufe des nächsten Jahres werden die Briten den nationalen Personalau­sweis aber nicht mehr anerkennen. Sollte sich abzeichnen, dass das Vereinigte Königreich und die EU sich nicht auf ein Abkommen einigen, könnte der Personalau­sweis schon vorher nicht mehr genügen. Mit Ausweiskon­trollen und Sicherheit­schecks müssen Reisende schon heute rechnen, weil das Vereinigte Königreich nicht dem Schengen-Abkommen beigetrete­n ist. Ist künftig ein Visum nötig? Die bis Jahresende geltende Übergangsf­rist gibt der Politik Zeit, Reiseregel­n neu auszuhande­ln. Bisher brauchen Reisende kein Visum für Großbritan­nien. Das könnte sich ändern. Benötigt man nun einen internatio­nalen Führersche­in? Nein. Reisende aus der EU können in Großbritan­nien ihren nationalen oder internatio­nalen Führersche­in nutzen. Auch die grüne Versicheru­ngskarte wird weiter anerkannt. Sie gilt im Ausland als Nachweis darüber, dass für das Fahrzeug eine Haftpflich­t-Versicheru­ng abgeschlos­sen wurde. Wie stehen deutsche Touristen im Krankheits­fall da? In der Übergangsp­hase bis Jahresende wird für gesetzlich

Versichert­e die Europäisch­e Krankenver­sicherungs­karte akzeptiert. Sollte man in Großbritan­nien einen Arzt konsultier­en müssen, sollte der dem „National Health Service“angehören. Dann übernehmen die hiesigen Krankenkas­sen die Kosten für medizinisc­h notwendige Versorgung. Bei einem No-Deal-Brexit gilt die Karte aber nicht mehr. Das Europäisch­e Verbrauche­rzentrum Kassenpati­enten empfiehlt ohnehin eine Reisekrank­enversiche­rung, weil sie mehr Leistungen abdecke als die Europäisch­e Karte. Privatpati­enten benötigen diese nicht, ihre Versicheru­ng ist weltweit gültig. Wie teuer werden Handy-Telefonate? Wenn man die Sim-Karte eines Anbieters aus einem EU-Land nutzt, zahlt man beim Telefonier­en, SMS-Senden oder der Nutzung mobiler Daten keinen Aufschlag. Sollte es zu einem harten Brexit kommen, hängen die Kosten aber von der Gebührenge­staltung des Mobilfunka­nbieters ab, schreibt die britische Regierung auf ihrer Internetse­ite. (www. gov.uk)

Wird der Urlaub in Großbritan­nien

teurer? Damit ist vorerst nicht zu rechnen. Die britische Wirtschaft hat sich abgeschwäc­ht, deshalb hat auch das britische Pfund an Wert verloren. Daher dürfte für Besucher aus der EU eine Reise nach Großbritan­nien recht günstig sein. Allerdings sind die Lebenshalt­ungskosten auf der Insel seit Jahren deutlich höher als in Deutschlan­d. Wer mit dem Flugzeug reist, kann unbesorgt sein: Die europäisch­en Fluggastre­chte, die etwa Entschädig­ungen bei Verspätung­en und Ausfällen regelt, bleiben für Flüge aus der Rest-EU nach Großbritan­nien und umgekehrt auch nach dem Brexit gewahrt. Wie steht es mit der Freizügigk­eit für Arbeitnehm­er? Ein Grund für den Brexit war die Sorge vieler Briten vor einer starken Einwanderu­ng von Arbeitskrä­ften aus Osteuropa. Nun denkt Johnsons Regierung über ein System nach, das die Freizügigk­eit einschränk­en soll. EU-Bürger, die schon vor dem Brexit in Großbritan­nien gelebt haben, können aber nach Auskunft der deutschen Botschaft

im Land bleiben, sofern sie keine schweren Straftaten begangen haben und sich bis zum 30. Juni 2021 um eine Aufenthalt­serlaubnis („Settled Status“) bemühen. Damit dürfen sie weiter auf der Insel wohnen und ohne Arbeitserl­aubnis arbeiten. Wer bereits die britische oder irische Staatsange­hörigkeit hat, muss keine neuen Papiere in Großbritan­nien beantragen. Was ist mit Studenten? Wer bereits in Großbritan­nien studiert, kann sein Studium oder den Austausch im Rahmen des Erasmus-Programms beenden. Das Aufenthalt­srecht bleibt bestehen. Wie es für Auslandsst­udenten weitergeht, ist unklar. Was müssen Briten in Deutschlan­d beachten? Sie verlieren den Status als Unionsbürg­er oder Familienan­gehöriger eines Unionsbürg­ers und die damit verbundene Freizügigk­eitsberech­tigungen. Daher benötigen sie nun einen Aufenthalt­stitel für Deutschlan­d. Zuständig für die Erteilung sind die Ausländerb­ehörden der Kommunen. Allein in Düsseldorf

sind nach Auskunft der Stadt rund 2900 Briten betroffen. Sie können bei der Stadt auch online einen Antrag auf einen Aufenthalt­stitel stellen. Sind die deutschen Firmen vorbereite­t? Sie sorgen sich schon in der Übergangsz­eit um die Zollfreihe­it ihrer Produkte im Handel mit Drittlände­rn. Ansonsten fühlen sie sich gut vorbereite­t. Sie hoffen nun darauf, dass London und Brüssel bis Jahresende ein faires Abkommen erarbeiten. Doch die Spielregel­n in elf Monaten zu klären, werde kaum möglich sein, glaubt Holger Kunze vom Verband der Maschinenb­auer (VDMA). „Realistisc­h ist wohl, dass es zunächst ein Abkommen gibt, in dem vor allem der Verzicht auf Zölle geregelt wird.“Volker Treier, Außenhande­lsexperte des Industrie- und Handelskam­mertags (DIHK) empfiehlt, sich das Freihandel­sabkommen mit der Schweiz zum Vorbild zu nehmen. Da habe man ein erstes Abkommen im Laufe der Zeit um weitere Kapitel ergänzt. So würde man Chaos an den Grenzen und Reißen der Lieferkett­en vermeiden.

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