Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Verabredung zum Mord
Zwei Schüler und ein ehemaliger Schüler einer Dortmunder Gesamtschule sollen geplant haben, einen Lehrer zu erschlagen. Nun stehen sie vor Gericht. Der Lehrer nimmt als Nebenkläger teil – auch um zu zeigen, dass er sich nicht einschüchtern lässt.
Nur die drei Verteidiger sitzen am Dienstagmorgen auf der Anklagebank in Saal 24 des Dortmunder Landgerichts. Erst als alle Kamerateams und Fotografen den Saal verlassen haben, lässt der Vorsitzende Richter die drei Angeklagten hereinbringen. Zwei von ihnen sind minderjährig, zu ihrem Schutz hatte das Gericht schon am Montag angeordnet, dass sie weder gefilmt noch fotografiert werden dürfen.
Nacheinander kommen die 17, 18 und 19 Jahre alten Angeklagten herein. Vor allem die beiden Jüngeren sind dem ersten Eindruck nach noch mehr Kinder als Jugendliche. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen Mordversuch und die Verabredung zu einem Verbrechen vor. Sie sollen sich im Mai vergangenen Jahres an einer Gesamtschule in Dortmund getroffen haben, um einen Lehrer zu töten. Das Motiv: Wut über schlechte Noten.
Initiator soll der 17-jährige Serkan S. gewesen sein. Seine Noten waren mies, er hätte die 11. Klasse vermutlich nicht geschafft. Wolfgang W. war sein Chemielehrer. Auch der 18-jährige Arian S. war Schüler der Gesamtschule, der älteste Angeklagte, Maximilian R., soll ein ehemaliger Schulkamerad sein. Serkan S. ist ein schmaler, kleiner Kerl, unter dem Strickpullover trägt er ein kariertes Hemd. Mit gefalteten Händen steht er neben seinem Verteidiger.
Die Vorwürfe der Anklage waren bereits vor dem Prozessstart bekannt. Zwei der Angeklagten sollen bei der Polizei Teilgeständnisse abgelegt haben. Am Dienstag lässt der Vorsitzende die Öffentlichkeit noch vor Verlesung der Anklage ausschließen. Zehn Minuten nach Beginn müssen alle Zuschauer den Saal verlassen. Wie zu erwarten war, wird die komplette Hauptverhandlung in dem Jugendschwurgerichtsverfahren hinter verschlossenen Türen geführt. Später wird ein Sprecher des Gerichts mitteilen, dass ein Angeklagter die Vorwürfe abstreitet.
Am 9. Mai vergangenen Jahres sollen die drei Angeklagten Wolfgang W. hinter dem Lehrerparkplatz auf einen Garagenhof gelockt haben – unter dem Vorwand, einer von ihnen habe einen Schwächeanfall erlitten. Zwei von ihnen wollten den Lehrer nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft mit Schlägen auf den Kopf töten, während er sich herunter beugte, um zu helfen – so der Plan. Die beiden hatten dazu je einen Hammer bei sich. Doch dem Lehrer kam die Situation „bedrohlich vor“, wie es in der
Anklage heißt. Schon auf dem Weg habe er deshalb zwei Schüler auf Abstand gehalten, ihnen nie den Rücken zugedreht – der dritte wartete auf dem Hof. Nach kurzem Überlegen habe er dann über das Sekretariat einen Krankenwagen alarmiert und sei zur Straße gegangen, um den Fahrer einzuweisen.
Der Tatplan soll aus diesem Grund gescheitert sein. Doch schon am Nachmittag chatteten laut Anklage zwei der Angeklagten über WhatsApp und hegten neue Mordpläne.
W. erfuhr ein paar Tage später von den bösen Absichten. Einer seiner Schüler hatte davon erfahren und sich seiner Mutter anvertraut. Er informierte die Polizei, die die drei Tatverdächtigen am 13. Mai festnahm, ihre Handys beschlagnahmte und ihre Zimmer durchsuchte. Die beiden Schüler der Gesamtschule wurden damals der Schule verwiesen.
Wolfgang W. nimmt als Nebenkläger teil. Der 52-Jährige ist nervös, wie er am Dienstagmorgen vor dem Saal sagt. „Die ganze Geschichte hat viel durcheinandergewirbelt an unserer Schule“, sagt er. „Es gab auf Facebook mal einen Kommentar mit dem Tenor: Was muss das für ein Lehrer sein, dass seine Schüler ihn umbringen wollen? Ich bin seit mehr als 20 Jahren an der Schule, ich bin gerne Lehrer und habe mir nichts zu schulden kommen lassen.“Er wolle auch deshalb am Prozess teilnehmen, um zu zeigen: „Das ist meine Schule.“Er habe im vergangenen Jahr eine „Welle der Zuneigung und Anerkennung“erfahren. Aber es gebe auch andere Reaktionen. „Es gab etwa eine Fotomontage mit einem Hammer und der Forderung: ‚Free Serkan!‘“, sagt er.
An dem Tag, an dem im Prozess Anfang Februar die Plädoyers geplant sind, ist Wolfgang W. eigentlich auf Klassenfahrt in Italien, wie er sagt. „Mit der Klasse, in der auch die beiden Angeklagten waren.“Er hofft, dass das Gericht den Termin verschiebt, damit er keinen Prozesstag verpasst.
Wolfgang W. hatte sich nach Bekanntwerden der Ermittlungen über Facebook an die Öffentlichkeit gewandt und klar gestellt, „nicht vom rechten Rand der Gesellschaft instrumentalisiert“werden zu wollen, nur weil der mutmaßliche Haupttäter einen Migrationshintergrund habe. Er verglich ihn damals mit einem kleinen Jungen, der bei Real Madrid spielen will, beim Ortsverein aber nur auf der Ersatzbank sitzt und „dem Trainer dafür die Reifen zersticht“. Das sei keine Frage der Religion oder der Herkunft, sondern des Charakters. Serkan S. soll in Chemie „eine seiner besten Noten“bekommen haben, schrieb W. damals. Er sei es aber gewesen, der dem Jungen mitteilen musste, dass er das Abitur mit seinem Notendurchschnitt voraussichtlich nicht schaffen werde. Vermutlich hat sich deshalb der Zorn des Schülers auf Wolfang W. konzentriert.
Das Gericht hat acht Verhandlungstage bis 6. April geplant. Den Angeklagten drohen bis zu zehn Jahre Haft.