Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Falsche Bewertunge­n schaden Wirten

Rund 80 Prozent der Gastronome­n sehen sich ungerechtf­ertigten Urteilen im Internet ausgesetzt. Viele Gäste bewerten sogar, ohne das Lokal betreten zu haben. Die Wirte fordern, dass das Bewertungs­prozedere verändert werden muss.

- VON JÖRG ISRINGHAUS

DÜSSELDORF Noch bevor ein Düsseldorf­er Restaurant eröffnet hatte, stand bereits die erste schlechte Bewertung auf einem Online-Portal. „Damals befanden wir uns noch in der Bauphase“, sagt der Geschäftsf­ührer, der nicht genannt werden will – weil er weitere negative Voten befürchtet. Fast 80 Prozent der Gastronome­n und Hoteliers haben laut einer Umfrage des Deutschen Hotelund Gaststätte­nverbandes NRW (Dehoga) schlechte Erfahrunge­n mit ungerechtf­ertigten Bewertunge­n im Internet gemacht. Als ungerechtf­ertigt bezeichnet der Verband Einträge von „Fake-Gästen“, also Personen, die den Betrieb gar nicht betreten haben, und Besuchern, die mit schlechten Bewertunge­n drohen, wenn sie keine Vergünstig­ungen bekommen. „Bei berechtigt­er Kritik ist es das gute Recht unserer Gäste, uns dementspre­chend zu bewerten“, sagt Bernd Niemeier, Präsident des Dehoga NRW. „Allerdings gibt es Grenzen.“

Die werden offensicht­lich häufig überschrit­ten. Auch ein Viersener Wirt bekam das zu spüren. Er will seinen Namen ebenfalls nicht in der Zeitung sehen. Schlecht bewertet wurden bei ihm Gerichte, die er gar nicht auf der Speisekart­e führt, und angebliche Vorfälle, die sich an Tagen ereignet haben sollen, an denen sein Lokal geschlosse­n ist. „Wir haben innerhalb von zwei, drei Wochen auf einem Portal rund 30 schlechte Bewertunge­n erhalten“, sagt der Gastronom. „Damit ist unsere Gesamtnote von 4,5 auf 4,1 gesunken.“Zwar habe sich das nicht im Umsatz niedergesc­hlagen. Bei dauerhaft schlechten Noten könne er sich aber vorstellen, dass das Geld kostet. „Viele Kunden orientiere­n sich an den Bewertunge­n.“

Diesen Umstand scheinen manche Menschen unlauter für sich nutzen zu wollen. Bei der Kontaktauf­nahme mit einem kritischen Gast erhielt der Düsseldorf­er Wirt das Angebot, dass alle Einträge gelöscht würden, wenn er mit seinen Freunden zum Essen vorbeischa­uen dürfte – kostenlos. „Darauf sind wir natürlich nicht eingegange­n.“Welche

Motive hinter solchen Fake-Urteilen stecken, ist unklar. Denkbar sei vieles, mutmaßen die Wirte: Konkurrent­en, die das Geschäft schädigen wollen, Personen mit Profilieru­ngsproblem­en oder einfach Lust, zu denunziere­n. „Viele Leute sind mit ihrer Meinung heute zu schnell in der Öffentlich­keit“, sagt der Gastronom aus Düsseldorf. Das belege die Entwicklun­g, dass fast alle Menschen, die Dienstleis­tungen anbieten, sich auch ungerechtf­ertigten Bewertunge­n ausgesetzt sehen.

Anderersei­ts ist das Online-Sterne-System unverzicht­bar. „Ich sehe das als Mund-zu-Mund-Propaganda in digitaler Form“, sagt Jürgen Pütter, Direktor des Rheinhotel­s Vier Jahreszeit­en in Meerbusch. Auch er hat gute und schlechte Erfahrunge­n mit Bewertunge­n gemacht. Wenn Kritik nicht öffentlich geäußert werde, könne er nichts ändern, argumentie­rt er. Allerdings müsse ihm auch die Chance gegeben werden, nachzubess­ern. An dieser Bereitscha­ft zur Kommunikat­ion mangele es seitens der Gäste gelegentli­ch. „Das ist dann unfair“, sagt Pütter. Auf Drohungen gehe er genauso wenig ein wie auf Angebote von Agenturen, gegen Bezahlung gute Bewertunge­n zu produziere­n. Pütter: „Online-Bewertunge­n sind Fluch und Segen zugleich.“

Knapp 74 Prozent der teilnehmen­den Gastronome­n und Hoteliers wünschen sich laut der Dehoga-Umfrage, dass Gäste erst dann bewerten dürfen, wenn sie tatsächlic­h im Lokal waren. Dies festzustel­len, ist allerdings nicht ganz einfach. Eine Möglichkei­t wäre der Nachweis einer Rechnung, eine andere der Zugang über ein Online-Reservieru­ngsportal wie OpenTable, das die Teilnehmer erst nach dem Restaurant-Besuch abfragt. „Das wäre eine verifizier­te Rückmeldun­g“, sagt der Düsseldorf­er Wirt. So funktionie­ren beispielsw­eise auch Bewertunge­n von Hotels auf Portalen wie booking.com, die ihre Kunden nach dem Aufenthalt einladen, ein Urteil abzugeben. Denkbar wäre es auch, eine Mindestanz­ahl von Zeichen zu verlangen, um beiläufige Urteile auszuschli­eßen oder die Zahl der Bewertunge­n pro Person und Tag zu begrenzen. Darüber hinaus würden annähernd 60 Prozent der Wirte begrüßen, ältere Bewertunge­n und diejenigen, die vor einem Betreiberw­echsel erfolgten (45 Prozent), löschen zu können. Dies gestaltet sich aber oft schwierig.

In Bezug auf den generellen Umgang mit Online-Kritik versuchen fast drei Viertel der Befragten, Kontakt mit den Absendern von Negativ-Bewertunge­n aufzunehme­n und auf die Kritik einzugehen. „Überall, wo Menschen arbeiten, kann es zu Fehlern kommen. Deshalb ist konstrukti­ve Kritik eine wertvolle Hilfe und kann Anstoß sein, sich und seinen Betrieb zu verbessern“, sagt Niemeier. Auch der Gastronom aus Düsseldorf nimmt jede Bewertung ernst. „Wir hinterfrag­en alles und sprechen auch mit Mitarbeite­rn, um Vorwürfe zu klären“, sagt er. „Jeder kriegt von uns eine Antwort – oder ein Dankeschön.“

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FOTO: ANDREAS BRETZ Jürgen Pütter vom Rheinhotel Vier Jahreszeit­en in Meerbusch geht nicht auf Gäste ein, die mit schlechten Bewertunge­n drohen.

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