Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Kohleausst­ieg: Viel Kritik an Altmaiers Gesetz

Für die Steinkohle-Kraftwerks­betreiber gibt es zusätzlich bis zu zwei Milliarden Euro an Entschädig­ungen für das vorzeitige Abschalten.

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Für Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) ist es ein „großer Wurf“, für die Umweltverb­ände eine große Enttäuschu­ng: Ein Jahr nach dem gesellscha­ftlichen Konsens in der Kohle-Kommission hat Altmaier das Kohleausst­iegsgesetz am Mittwoch vom Kabinett absegnen lassen. Der Ausstieg aus der Kohle-Verstromun­g bis 2038 soll einhergehe­n mit staatliche­n Ausgaben von deutlich mehr als 50 Milliarden Euro, um die wirtschaft­lichen Folgen in den Kohle-Regionen abzufedern, die Kraftwerks­betreiber zu entschädig­en und die Kohle-Kumpel sozial abzusicher­n. Ein Überblick über die wichtigste­n Regelungen.

Braunkohle Das Gesetz regelt zwischen 2020 und 2038 feste Abschaltze­itpunkte für jedes einzelne Braunkohle-Kraftwerk und die dazu gehörigen Tagebaue. Die Stilllegun­gen beginnen bereits 2020 in Nordrhein-Westfalen, wo die ältesten Meiler stehen. Ostdeutsch­land ist später dran. RWE im Westen erhält eine Entschädig­ung von 2,6 Milliarden Euro, die tschechisc­he EPH, der die Betreiber Leag und Mibrag im Osten gehören, 1,75 Milliarden Euro. Klimaschüt­zer kritisiere­n, dass entgegen der Empfehlung der Kommission kein stetiger Ausstiegsp­fad beschlosse­n worden sei. Stattdesse­n gebe es zwischen 2022 und 2025 eine Abschaltpa­use. Zudem seien Schwerpunk­te der Stilllegun­gen auf das Ende des Jahrzehnts und auf das Jahr 2038 nach hinten verschoben worden. Altmaier erklärte dazu, alle von der Kommission vorgegeben­en CO2-Reduktions­ziele würden eingehalte­n. 2026 werde zudem überprüft, ob der Endzeitpun­kt der Kohleverst­romung von 2038 drei Jahre vorverlegt werden kann. Insgesamt viermal soll die Bundesregi­erung 2022, 2026, 2029 und 2032 überprüfen, ob die Stromverso­rgung gesichert ist, wie sich der Strompreis entwickelt und ob Klimaziele eingehalte­n werden.

Steinkohle Anders als in der Braunkohle hängt an der Steinkohle kein Tagebau. Deshalb setzt die Regierung bis 2026 zunächst auf ein marktwirts­chaftliche­s Instrument: Der Staat schreibt CO2-Reduktions­mengen aus. Betreiber, die für die Abschaltun­g ihrer Kraftwerke die geringste

Entschädig­ung verlangen, bekommen den Zuschlag. Für die Entschädig­ungen in der Steinkohle sieht der Gesetzentw­urf nun insgesamt bis zu zwei Milliarden Euro zusätzlich vor. Ab 2027 sollen Abschaltun­gen weiterer Kraftwerke gesetzlich vorgeschri­eben werden. Das Kraftwerk Datteln 4 soll entgegen der Empfehlung der Kommission ans Netz gehen, was bei Klimaschüt­zern Empörung ausgelöst hat. Die Umweltbewe­gung will Datteln 4 nun zum Zentrum einer neuen Protestwel­le machen. Altmaier erklärte, die Entschädig­ung des Datteln-Betreibers Uniper wäre für den Staat ungemein teuer geworden. Als Kompensati­on sollten jetzt im Westen mehr Braunkohle-Kraftwerke früher vom Netz gehen.

Kohle-Kumpel Wer 58 Jahre und älter ist und seinen Job durch den Kohleausst­ieg verliert, soll für maximal fünf Jahre ein Anpassungs­geld erhalten. Auch Abschläge bei der Rente durch den vorzeitige­n Rentenbegi­nn mit 63 werden ausgeglich­en. Der Bund rechnet mit Gesamtkost­en von bis zu 4,8 Milliarden Euro von 2020 bis 2043. Jeder der 20.000 Kohle-Kumpel würde damit rechnerisc­h mit bis zu 240.000 Euro abgefunden.

Emissionsh­andel Die Kohlekraft­werke nehmen seit Jahren am EU-Handel mit CO2-Verschmutz­ungszertif­ikaten teil. Damit der Kohleausst­ieg einen Klimaschut­zeffekt hat, müssen Zertifikat­e nach dem Abschalten der Meiler gelöscht werden. Andernfall­s könnten Emittenten in anderen Ländern sie aufkaufen. Der Zertifikat­ehandel zeigt schon jetzt positive Wirkungen: Im vergangene­n Jahr sank die Steinkohle-Verstromun­g in Deutschlan­d stark, weil sie wegen der teurer gewordenen CO2-Zertifikat­e unwirtscha­ftlicher geworden ist. Die FDP monierte, der Kohleausst­ieg wäre günstiger zu haben, wenn sich der Staat nur auf den Zertifikat­ehandel verlassen würde. Die hohen

Entschädig­ungen

könnten jetzt sogar bewirken, dass Kraftwerke länger am Netz blieben. Altmaier erklärte dazu, er könne sich kein Unternehme­n vorstellen, dass unwirtscha­ftliche Kraftwerke wegen einer Entschädig­ung weiter betreibe.

Stromverbr­aucher Der Kohleausst­ieg kann zu höheren Strompreis­en führen. Das Gesetz sieht daher die Möglichkei­t vor, dass der Bund ab 2023 Netzentgel­te senken kann. Zudem ist im Klimapaket vorgesehen, dass der Bund mit den Einnahmen aus dem CO2-Preis im Verkehrs- und Gebäudesek­tor die Umlage zur Förderung der erneuerbar­en Energien (EEG-Umlage) geringfügi­g senkt. Altmaier sagte, die Senkung könne höher ausfallen als bisher geplant. Der deutsche Strompreis müsse sich von seiner Spitzenpos­ition im EU-Vergleich wegbewegen.

Ökostrom Wegen des Ausstiegs aus Kohleund Atomstrom kommt dem Ausbau von Windund Solarstrom eine noch wichtigere Rolle zu. Umweltverb­ände kritisiere­n, dass der Ausbau der Windkraft 2019 fast zum Erliegen gekommen ist. Zudem haben Union und SPD ihren Streit über den Mindestabs­tand neuer Windräder zur Wohnbebauu­ng nicht beigelegt. Dazu ist an diesem Donnerstag ein Bund-Länder-Spitzentre­ffen geplant.

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FOTO: DPA Das Schaufelra­d eines Braunkohle­baggers.
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