Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
„Der Klimawandel ist Stress für Pflanzen“
Der Gärtner von der Baumschule Bosman über milde Winter, trockene Sommer, und warum jetzt ein guter Zeitpunkt zum Pflanzen eines Baumes ist – nicht nur für private Gartenbesitzer, sondern auch für Städteplaner.
Der Frühling hierzulande beginnt Forschern zufolge rund zwei Wochen früher als vor zehn Jahren. Der Wermelskirchener Gärtnermeister René Essel braucht keine Studien für diese Erkenntnis – für ihn ist seine tägliche Arbeit Beweis genug.
Herr Essel, welche Gefahren bergen die momentan milden Temperaturen für die Pflanzen?
ESSEL Wenn Apfel- und andere Obstbäume schon jetzt Knospen schieben, blühen sie auch früher. Kommt dann im April, wie wir es in den vergangenen Jahren oft hatten, nochmal Frost, geht die Blüte kaputt – und es gibt keine Frucht. Das ist besonders für die Obstbauern sehr bitter, weil es nichts zu ernten gibt. Aber das noch größere Problem sind nicht die milden Winter, sondern die heißen Sommer. Nach langer Trockenheit kann man den Bäumen ansehen, dass sie Stress hatten.
Woran kann man das erkennen? ESSEL Blätter vertrocknen durch fehlenden Niederschlag oder verbrennen mechanisch aufgrund der starken Sonneneinstrahlung. Das ist vergleichbar mit der Haut des Menschen, die der Sonne ohne Schutz ausgeliefert ist. Die Blätter sind brüchig und zerrieseln. Frisch gepflanzte Bäume und Sträucher, die in der trockenen Phase zu wenig Wasser bekommen haben, bleiben tendenziell kleiner oder wachsen nicht richtig an.
In Ihrer Baumschule wächst alles im Freien, die sich verändernden Jahreszeiten können nicht künstlich über Gewächshäuser reguliert werden. Müssen Sie Ihre Arbeit an die gegebenen Bedingungen anpassen?
ESSEL Definitiv ja. Ein Beispiel ist das Einpflanzen neuer Bäume in der Baumschule. Das haben wir bis vor ein paar Jahren üblicherweise im März und April gemacht – jetzt ziehen wir das in den Herbst vor, um die Feuchtigkeit des Winters zu nutzen. Denn wenn junge Bäume im Frühjahr eingepflanzt werden und ein heißer Sommer mit wenig Niederschlag folgt, bedeutet das wieder Stress für die Pflanzen. Hier macht sich der Klimawandel unweigerlich bemerkbar.
Ist die Trockenheit das größte Problem, das der Klimawandel mit sich bringt?
ESSEL Es ist eins von zweien: Das andere sind die Schädlinge, deren Population sich durch die milden Witterungsbedingungen vergrößert. Bei uns im Bergischen Land ist das vor allem der Borkenkäfer, der Nadelgehölze wie Fichten und Tannen befällt. In unseren Gärten macht sich ein anderer Schädling breit: der Buchsbaumzünsler. Das ist ein Falter, der seine Eier im Inneren des Buchsbaumes ablegt. Aus den geschlüpften Larven entwickeln sich bis zu fünf Zentimeter
lange, grün-schwarz gepunktete Raupen, die die Blätter und die Rinde an den Ästen frisst und die Buchsbäume damit komplett zerstören kann. Mittlerweile befallen die Zünsler die Bäume schon sehr früh im Jahr, bevor die meisten Gartenbesitzer überhaupt auf die Idee kommen, ihre Pflanzen auf Schädlinge zu kontrollieren.
Das heißt, man sollte im eigenen Garten schon früher wachsam sein und Schädlinge auf dem Schirm haben. Was kann man sonst tun? ESSEL Es gibt entsprechende Pflanzenschutzmittel, was die meisten Kunden aber abschreckt, weil sie es mit giftigen Mitteln in Verbindung bringen. Es gibt jedoch biologische Mittel, die auch im Obst- und Gemüseanbau verwendet werden und gut gegen die Schädlinge wirken. Wenn die Raupe, die als Verpuppung im Buchsbaum überwintert, nicht rechtzeitig bemerkt wird, potenziert sich ihre Zahl und damit auch die Größe des Schadens. Die Reaktion vieler Kunden äußert sich jedoch eher darin, dass sie keine Buchsbäume mehr in ihren Gärten möchten.
Die Schädlinge sind das eine, die Trockenheit das andere Problem. Wie können wir Pflanzen im Garten helfen, heiße Sommer gut zu überstehen?
ESSEL Ausreichend und richtig gießen: Bei einem Baum mit drei Metern Höhe kann man auch mal den Schlauch anlegen und 100 Liter Wasser hineinlaufen lassen. Auch Mulch hilft gegen ein schnelles Austrocknen des Bodens. Wovon ich absolut abrate, sind Schottergärten – im Moment leider im Trend – in die man ein paar Alibi-Pflanzen setzt. Viele Menschen meinen, dass man sich dadurch Arbeit erspare, aber man macht es den Pflanzen damit viel schwerer. Die Fläche heizt sich um zwei bis drei Grad mehr auf als bepflanzte Fläche. Es wird kein Schatten gespendet und viel Lebensraum für Insekten genommen. Damit verändert man das Kleinklima um das eigene Haus herum. Generell gilt: Je mehr Fläche bepflanzt ist, desto weniger kann mit dem Boden passieren. Das gilt übrigens auch für die Städteplanung. Mehr Bäume, mehr Sauerstoff, mehr Schatten, kühlere Temperaturen.
Würden Sie also begrünte Wände in Großstädten, die mit Moosen, Stauden oder anderen Pflanzen bestückt sind, als positiv bewerten? Essel Auf jeden Fall. Das sieht nicht nur spektakulär aus, sondern wirkt
sich auch erheblich aufs Stadtklima aus. Aber fast noch wichtiger für eine Stadt sind Bäume: Sie spenden Schatten und Sauerstoff. Besonders Alleepflanzen eignen sich, um Straßen zu kühlen. Aufgabe der Städteplaner sollte es sein, eine Vielfalt an Bäumen zu pflanzen, nicht nur für die Optik. Denn in den kommenden Jahren wird sich zeigen, welche Arten mit dem Klimawandel zurechtkommen und welche nicht.
Gibt es Bäume oder andere Pflanzen, die sich in den vergangenen heißen Sommern bereits als beständig erwiesen haben?
ESSEL Besonders trockenheitsresistent sind die Bergische Stechpalme und der Schmetterlingsflieder. Aber genauso gibt es auch Unkräuter, die durch die milden Winter besser denn je zurechtkommen. Ein Beispiel ist der Japanische Knöterich, der früher die knackigen Winter nicht überlebt hat. Jetzt hat er hier sozusagen eine Heimat gefunden – und wir haben mit ihm zu kämpfen.
Was kommt auf Sie als Gärtner und auf Gartenbesitzer in Zukunft zu? ESSEL Es wird immer mehr Extreme geben – mit mehr Starkregen und Stürmen und eben auch Hitzephasen. Wenn Pflanzen das nicht aushalten, sind sie bei uns im nächsten Sortiment nicht mehr dabei. Das wird sehr komplex für uns alle und weder für unsere privaten Gärten noch die öffentliche Bepflanzung in Städten gibt es die eine Lösung, aber der Tenor sollte sein: Wenn wir jetzt nichts tun, wird uns das kalt erwischen. Der beste Zeitpunkt, einen Baum zu pflanzen, war vor 20 Jahren. Der zweitbeste ist jetzt.
DEBORAH HOHMANN FÜHRTE DAS GESPRÄCH