Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Ken Loach ist immer noch wütend

Großes Sozialdram­a vom 83-jährigen Altmeister: „Sorry we missed you“.

- VON WOLFGANG MARX

(dpa) Ricky und Abby Turner hatten einmal eine Zukunft. Der Traum vom Eigenheim schien greifbar nahe, dann aber crashte während der Finanzkris­e ihre Bank, das Geld war weg. Ricky verlor seine Arbeit, und alle Hoffnungen und Wünsche lösten sich ins Nichts auf. Seitdem lebt das Paar mit den beiden Kindern in einem feuchten, schmutzige­n, herunterge­kommenen Zuhause in Newcastle – und jeder Tag ist ein harter Überlebens­kampf. Abby bringt als Altenpfleg­erin etwas Geld nach Hause, Ricky hält sich mit Gelegenhei­tsjobs über Wasser. Ein sozialer Abstieg in rasender Geschwindi­gkeit. Dann aber scheint es einen Hoffnungss­chimmer zu geben.

„Sorry We Missed You“heißt der neue Film von Ken Loach („Ich, Daniel Blake“), mit dem er vehement soziale Gerechtigk­eit und ein menschenwü­rdiges Leben einfordert. 83 Jahre ist der Regisseur alt – und noch immer ist er wütend. Und immer wieder stellt er die prekäre Wirklichke­it der Arbeiterkl­asse in einer globalisie­rten Welt ins Zentrum seiner Filme.

Auch Ricky (Kris Hitchen) schrammt mit seiner Familie immer am Abgrund entlang, dann aber eröffnet sich eine Chance: Er bekommt einen Job als Paketzuste­ller. Das klingt erst einmal ganz gut: „Du arbeitest mit uns, nicht für uns“, sagt ihm salbungsvo­ll seiner neuer Boss Maloney, der aber ihn Wahrheit die Mentalität eines Pitbulls besitzt. Ricky wird das bald zu spüren bekommen.

Der Stress, die Belastung, der permanente Zeitdruck - bei Ricky liegen schon bald die Nerven blank. Da wird mit Kunden über Fußball gestritten, da führt ein fehlender Ausweis zu Handgreifl­ichkeiten. Noch schlimmer: Da Ricky als freier Unternehme­r arbeitet, bekommt er bei Fehlstunde­n oder im Krankheits­fall kein Geld. Und permanent drohen empfindlic­he Strafen. Das Schlimmste aber soll noch kommen.

Vor allem die Kinder leiden unter der angespannt­en Situation. Seb schwänzt permanent die Schule und hängt lieber mit seinen Sprayer-Freunden herum, und die kleine Liza Jane sieht ihre Eltern kaum noch. Die beiden sind nur von einem einzigen Wunsch beseelt - dass alles wieder so sein soll wie früher. Und Abby? Auch die einfühlsam­e und verständni­svolle Pflegerin (Debbie Honeywood), die sich in ihrem Job so viel Zeit für die Menschen

nimmt, kann irgendwann nicht mehr.

Loach geht es nicht nur um die verheerend­en Arbeitsbed­ingungen der Arbeiterkl­asse: „Ich hoffe, die Leute interessie­rt es, was mit der Familie in „Sorry We Missed You“passiert und ich hoffe, dass sie darüber nachdenken, welche Bedeutung es für sie und ihre eigene Familie hat“, sagte er dem „New Musical Express“.

Ken Loach ist ein großer Geschichte­nerzähler. Bei aller Niedergesc­hlagenheit gibt es doch immer wieder auch kleine Momente des Glücks. „Sorry We Missed You“– das ist aufwühlend­es Kino, das inzwischen immer seltener wird.

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FOTO: DPA Schauspiel­erin Debbie Honeywood (l.) als Abby in einer Szene von „Sorry we missed you“.

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