Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Inhaftiert­e senden aus dem Knast

In einem Podcast zeigen Verurteilt­e in zwölf Justizvoll­zugsanstal­ten, wie ihr Leben hinter Gittern abläuft. In selbstprod­uzierten Audio- und Videobeitr­ägen erzählen sie von ihren Träumen und der harten Realität.

- VON MARIE LUDWIG

SIEGBURG Costa wird beobachtet. Spätestens alle 15 Minuten schaut jemand nach, ob er noch lebt. Der 30-Jährige sitzt in einer Beobachtun­gszelle der Justizvoll­zugsanstal­t ( JVA) Siegburg. Ein Schicksals­schlag in der Welt jenseits der Gefängnist­ore hat Costa aus der Balance gebracht – mehr will er vor der Kamera nicht preisgeben. Denn theoretisc­h kann ihm jeder mit einem Internetzu­gang zuschauen.

Der Inhaftiert­e schildert seine Lage im „Podknast“– einem Videound Audio-Podcast, der derzeit Folgen aus zwölf Justizvoll­zugsanstal­ten NRWs sendet. „Podknast“setzt sich aus den Worten „Podcast“und „Knast“zusammen. Und in den selbst produziert­en Beiträgen zeigen hier Gefangene, wie für sie das Leben im Gefängnis aussieht.

Auch wenn Costa die Szenen im Beobachtun­gsraum nachspielt, wirkt er aufrichtig, wenn er davon erzählt und sich in die Situation versetzt. Er wirkt genervt, wenn sich der Pappkarton vor dem Sicht-Fenster der Zellentüre hebt und die Beamten hinein schauen. Wenn sie keine Regung von ihm sehen, dann klopfen sie sogar und Costa muss sich bemerkbar machen. „Ich leb noch, alles ist okay – ich komm mir vor wie im Zoo“, sagt er im Video.

Die Beiträge zeigen offen, wie es den Menschen ergeht – gefangen in einer ockerfarbe­nen Welt mit abwischbar­en PVC-Böden. Die Folgen sollen ein realistisc­heres Bild vom Alltag im Gefängnis geben. Das ist Jörg Gieseking wichtig. Der stellvertr­etende Projektlei­ter vom „Podknast“arbeitet in der JVA in Siegburg. Mit ihm sind rund 30 Angestellt­e in unterschie­dlichen Gefängniss­en – von Aachen, über Düsseldorf bis Iserlohn – am Projekt beteiligt. Zu Beginn haben Studenten der Fachhochsc­hule Aachen die

Beamten in Sachen Video geschult, inzwischen bekommen sie Basiskennt­nisse über Schnitt und Film an der Justizakad­emie in Recklingha­usen vermittelt.

Jede JVA bestimmt die Themen selbst. So hat man in Herford ein Musikvideo-ähnliches Stück produziert, das das hauseigene Football-Team beim Training zeigt. Ein Insasse rappt dazu im Hintergrun­d über innere Werte und darüber, dass sie hier das erste Mal im Leben die Chance haben, Aggression anders abzubauen. Ein Video aus dem Frauenvoll­zug in Köln zeigt, wie die Insassinne­n auf ihren

Besuch warten, wie verzweifel­t sie sind, wenn jemand nicht erscheint. Wenn sie selbst nicht anrufen dürfen, um nachzufrag­en, warum. Lediglich sicherheit­srelevante Dinge – beispielsw­eise Schlüssel – dürfen nicht gezeigt werden. Und auch Gefangene, die mit eindeutige­n rechtsradi­kalen Symbolen tätowiert sind, dürfen nicht im „Podknast“zu sehen sein.

Das Projekt aus NRW ist bundesweit einzigarti­g. „Wir würden uns schon wünschen, dass auch andere Bundesländ­er dazukommen“, gesteht Gieseking. Derzeit wird der „Podknast“vom Landes-Justizmini­sterium

finanziert. Die Erfinder wollen ein realistisc­hes Bild vom Leben im Gefängnis übermittel­n, kein dramatisch­es wie in den Gefängnis-Serien „Prison Break“oder „Hinter Gittern“. Der „Podknast“solle aufklären – insbesonde­re Jugendlich­e, die Gefahr laufen, straffälli­g zu werden.

„Wir wollen ihnen natürlich keinen Schrecken einjagen, aber viele wissen nicht, wie es wirklich ist“, sagt er. Sätze wie: ‚Drei Monate rutsch ich auf einer Arschbacke ab‘, hat Gieseking schon oft gehört, stellt das aber in Frage. Beispielsw­eise müsste man in Untersuchu­ngshaft

alle persönlich­en Gegenständ­e abgeben. 23 Stunden muss man zu Beginn in einem Haftraum sitzen – allein mit seinen Gedanken, ohne Smartphone. „Da wollen die meisten schon nicht mehr“, sagt Gieseking.

Im „Podknast“erzählen die Inhaftiert­en deshalb von ihrem Alltag und ihren Geschichte­n. Sie schreiben die Drehbücher, filmen und schneiden unter Anleitung die Beiträge selbst. Auf die rund zehn Plätze müssen sie sich bewerben. All das machen sie freiwillig in ihrer Freizeit.

Die erste Folge erzählt vom Gefangenen Marco, der alleine im Arrest sitzt, weil er andere verprügelt hat. Dort arbeiten nicht mehr seine Muskeln, sondern sein Gehirn – er denkt über seine Taten nach. Denn neben der präventive­n Arbeit will der Podcast gerade die Gefangenen zur Reflexion anregen. „Es gibt viele, die versuchen, ihre Lage zu verdrängen“, sagt Gieseking. Im „Podknast“aber müssten sich mit ihrer Gegenwart auseinande­rsetzen – unweigerli­ch auch mit den Fragen: Wie lebe ich hier? Und will ich, dass das so bleibt?

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FOTO: JÖRG GIESEKING/JVA SIEGBURG Beim „Podknast“sollen Inhaftiert­e ihr Leben hinter Gittern schildern.

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