Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Der Weg ins Oval Office führt über Iowa
In dem kleinen Agrarstaat beginnt am Montag der Marathon der US-Vorwahlen. Nie war das Ringen der Kandidaten um Stimmen härter als dieses Mal.
DES MOINES Der Weg in die Zukunft führt zunächst einmal in den Keller. Im Souterrain eines Lokals namens „The Port“hat Andrew Yang zum Bürgerforum geladen, in Panora, an einem zugefrorenen Stausee mitten in Iowa. An der Wand hängt ein drei Meter breites Stück Stoff. „A New Way Forward“ist darauf zu lesen, was so beliebig klingt, als hätte eine Werbeagentur den Auftrag bekommen, sich einen Spruch auszudenken, mit dem man bei keinem, wirklich keinem, anecken kann.
„Wenn ich Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika bin“, beginnt Yang Sätze, in denen er seinen Politikentwurf skizziert. Wenn, sagt er, nicht falls. Als wäre jetzt schon klar, dass der nächste Präsident nur Andrew Yang heißen kann. Der selbstsichere Optimismus gehört zum Standardrepertoire der Kandidaten fürs Weiße Haus, so wie es zum Standardprogramm gehört, im Winter kreuz und quer durch das verschneite Iowa zu fahren. Durch eine öde, flache Landschaft, aus der hier und da Getreidesilos aufragen oder Windräder, deren Rotorblätter bisweilen im Nebel verschwinden. Bei Yang stehen an diesem Tag auf dem Programm: Creston, Panora, Jefferson, Laurens, Storm Lake. Orte, die jenseits von Iowa kaum einer kennt. Orte, die man mindestens einmal besucht haben sollte, wenn man ins Oval Office einziehen will.
Alle vier Jahre wird Iowa zum Nabel des nationalen Politikbetriebs. Seit 1972 beginnt hier, in einem Agrarstaat mit inzwischen drei Millionen Einwohnern, der Marathon der Vorwahlen, an dessen Ende ein Präsidentschaftskandidat gekürt wird. 1976 gewann hier ein kaum bekannter Gouverneur namens Jimmy Carter, womit er sich einen Schwung holte, der ihn bis ins Weiße Haus trug. Mit Ausnahme Bill Clintons (1992) hat seither kein Demokrat das Rennen um die Nominierung gewonnen, wenn er nicht entweder in Iowa oder in
New Hampshire, auf der zweiten Etappe, als Erster durchs Ziel ging. Das alles begründet eine Sonderrolle, die viele als ungerecht empfinden, ist doch der „Hawkeye State“gewiss kein Spiegelbild des Landes – weniger urban, weniger industriell, mit einer Bevölkerung, die zu 87 Prozent aus Weißen besteht.
Michael Moore schiebt sich die Baseballkappe aus der Stirn, um sich, zumindest ansatzweise, die Haare zu raufen. In einem Kinosaal der Universitätsstadt Ames ruft er mit theatralischer Geste in Erinnerung, wie ihm manche Parteifreunde seine Prognose verübelten. Damals, im Sommer 2016. Der filmemachende Provokateur prophezeite einen Sieg Trumps, mit der Begründung, dass der Tycoon im Rust Belt die Nase vor Hillary Clinton haben werde. „Wisst ihr es noch? Die eigenen Leute haben mich ausgebuht. Niemand wollte die Wahrheit hören.“Und heute, sagt der füllige Mann im dunklen Anorak, müsse man, um Trump zu besiegen schon die eigenen Anhänger begeistern, sagt Moore. Keiner könne das so gut wie Bernie Sanders.
Als Sanders schließlich die Bühne betritt, wird er gefeiert wie ein Rockstar. Der Senator aus Vermont ist 78. Im Oktober erlitt er einen Herzinfarkt, aber statt kürzer zu treten, stürzte er sich danach erst recht ins Gewühl. In Iowa jedenfalls ist von physischer Schwäche nichts zu spüren. Sanders‘ Themen sind dieselben wie vor vier Jahren, als er der Favoritin Clinton im parteiinternen Zweikampf kräftig zusetzte. Wachsende Ungleichheit bei den Einkommen, eine Lawine von Studienschulden, ein Gesundheitssystem, das sowohl das teuerste der Welt als auch chronisch ineffizient ist. Dazu die Erderwärmung. Ein Präsident Sanders, ruft er, werde auf alle Nationen zugehen, Russen, Chinesen, Inder eingeschlossen, um etwas gegen den Klimawandel zu tun.
Der Senior des Pulks kann sich auf die jüngste Anhängerschaft stützen. Adam Day, ein Student Anfang 20, erklärt es mit zwei Stichworten: Sozialismus und Authentizität. „Ich weiß, für Generationen von Amerikanern war Sozialismus ein Schimpfwort, für meine Generation klingt es cool. Wir denken nicht an die Sowjetunion, wir denken eher an Dänemark.“Wenn also einer wie Sanders sage, er sei Sozialist, dann schrecke es seine Generation keineswegs ab. „Der Mann ist authentisch, der macht dir nichts vor.“
„Es ist schon verdammt schwer in diesem Jahr“, stöhnt Janet Wahl. Die Lehrerin hat ein halbes Dutzend Bewerber aus nächster Nähe studiert, jetzt steht sie in Ames in dichtem Gedränge im Hinterzimmer des Grillrestaurants „Jethro’s BBQ“. Was Janet Wahl am meisten umtreibt, umschreibt sie mit einer sperrigen Vokabel: Electability. Wählbarkeit. Das E-Wort, wie manche es der Einfachheit halber nennen. Damit verbindet sich die Frage, ob der Sieger des Wettlaufs der Demokraten im Herbst auch in der gesellschaftlichen Mitte punkten kann. Wegen der Wählbarkeit, sagt Janet Wahl, müsse sie wohl ihre Ideale herunterschlucken. Ihr Herz schlage eher links, eher für Elizabeth Warren, die Senatorin aus Massachusetts. Doch zu weit nach links dürfe es nicht gehen, sonst verliere man gegen Trump.
Das E-Wort ist ein Problem für Elizabeth Warren, die Senatorin aus Massachusetts, die seit sieben Jahren im Senat in Washington sitzt, nachdem sie sich als Mahnerin vor den Exzessen der Wall Street einen Namen gemacht hatte. Auf Wahlkampfbühnen wirbt Warren für einen Strukturwandel, wie ihn auch Sanders predigt, nur dass ihre Programme präziser sind. „Big structural change“– die Parole wurde zu ihrem Markenzeichen. Nun aber, da die Stunde der Wahrheit schlägt, da sie in den Umfragen zurückgefallen ist auf den vierten Platz, geht es vor allem um das E-Wort. Bürger in Iowa, die wie Janet Wahl an der Wählbarkeit einer Elizabeth Warren zweifeln, versucht sie für sich einzunehmen, indem sie den Kampf für den Wandel zu einer uramerikanischen Tugend erklärt. „Wir haben gegen den britischen König gekämpft, um dieses Land aufzubauen. Wir haben gegen die Sklaverei gekämpft, um dieses Land zu retten. Wir haben die Große Depression bekämpft, um dieses Land ein zweites Mal aufzubauen. Wir haben gegen die Faschisten gekämpft, um dieses Land zu schützen. Wir sind immer dann am besten, wenn wir große Probleme lösen. Wenn wir kämpfen.“
Joe Biden setzt ein Zahnpasta-Lächeln auf, nachdem er in Marshalltown, einer Kleinstadt mit großen Schlachthöfen, aus seinem Wahlkampfbus gestiegen ist. „The Battle for the Soul of the Nation“, „Die Schlacht um die Seele der Nation“, steht in Großbuchstaben auf dem Gefährt. Was sein Programm mit einer Zeile skizziert: die Rückkehr zur alten Ordnung, zu Anstand und Würde nach dem gehässigen Grundton der Trump-Jahre. „Fired up and ready for Joe“(startklar und bereit für Joe), hat jemand auf ein Blatt Papier geschrieben, das nun neben der Bühne an der Wand hängt. Von Begeisterung, wie das Plakat sie beschwört, ist allerdings nichts zu spüren. Bidens Helfer haben gerade mal 150 Stühle in die Halle getragen, obwohl mindestens dreimal so viele hineinpassen würden. Doch als der 77-Jährige vom wahren Charakter Amerikas spricht, von Irrwegen und überfälligen Korrekturen, hängen die Leute an seinen Lippen. „Ich weigere mich zu glauben, dass wir dieses düstere, zornige Land sind, das Trump mitten in der Nacht in seinen Tweets beschreibt“, sagt Biden. „Im Weißen Haus brauchen wir einen, der sich aufs Heilen von Wunden versteht.“