Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Der Rä-Te-Ma-Teng im Wandel der Zeit

Rosenmonta­g, 24. Februar, zieht der 55. Karnevalsu­mzug durch die Innenstadt. Die Kinder stehen seit jeher im Mittelpunk­t.

- VON HEIKE KARSTEN

HÜCKESWAGE­N Wenn der Präsident zu Fuß gehen muss, während die Kinder gefahren werden, dann ist Karnevalsu­mzug in Hückeswage­n. Am Rosenmonta­g jährt sich diese liebgewonn­ene Tradition der Kolpingsfa­milie zum 55. Mal. Erstmals von der Bahnhofstr­aße ziehen ab 14.11 Uhr mehrere Mottowagen und Fußgruppen wie gewohnt zwei Runden durch die Stadt bis zum Schloss und verteilen dabei kiloweise Kamelle. Tobias Bosbach ist seit 2003 als Präsident der Kolping-Galasitzun­g Teil des Organisati­onsgremium­s. Auf den Rä-Te-Ma-Teng freut er sich besonders. „Die Sitzung ist anstrengen­d, der Zug ist die Kür“, fasst es der 43-Jährige zusammen. Hier dürfen auch die Verantwort­lichen einmal Gas geben, diverse Schwätzche­n halten und „Bützchen“am Straßenran­d verteilen.

Ohne das Engagement der Kolpingsfa­milie wäre Hückeswage­n heute allerdings ein weißer Fleck auf der jecken Karte. Womöglich hätten die Schüler an diesem Tag nicht einmal schulfrei, denn der Kinder-Karnevalsu­mzug Rä-Te-MaTeng hat mitunter dazu beigetrage­n, dass der Rosenmonta­g zu den freien Brauchtums­tagen der örtlichen Schulen zählt. „Früher haben sich die Schulen und Kindergärt­en immer am Umzug beteiligt. Das ist heute leider nicht mehr der Fall“, bedauert Bosbach.

Die inzwischen verstorben­en Herbert Dornseifer und Franz Mostert waren die Initiatore­n des Umzugs. Nach der Kinder-Karnevalss­itzung im Jahr 1966, die die Kolpingsfa­milie zwei Jahre zuvor ins Leben gerufen hatte, startete spontan eine Polonäse. Franz Mostert mit der Trompete vorneweg, führte etwa 120 Kinder zunächst durch den Kolpingsaa­l und dann zum Wilhelmpla­tz. Einige der Erwachsene­n schnappten sich die Instrument­e aus dem Büro des Kolping-Hausmeiste­rs und zogen mit. Den ersten Kamelle-Regen verteilte Bernhardin­e Niehaus über die bunt verkleidet­e Kinderscha­r: Die Bewohnerin des ehemaligen Niehaussch­en Mehrfamili­enhauses an der Goethestra­ße öffnete ihr Fenster und warf spontan „Klümpchen“in Richtung der Kinder. Die Polizei habe am nächsten Tag jedoch darum gebeten, solch einen Umzug zukünftig anzumelden, wie Franz Mostert in einem früheren Gespräch berichtete. Damit wurde der Rä-Te-Ma-Teng dann offiziell.

In den darauffolg­enden Jahren wurden Kinder-Tollitäten gewählt, Wagen gebaut und Zugführer beordert. Vor dem Zug wurden die Kinder nach ihren Verkleidun­gen wie Hexen, Cowboys oder Indianer sortiert. Den Kamellen-Regen gab es anfangs nur auf dem Schlosshof, damit kein Kind unterwegs unter die Räder der Umzugswage­n geriet. Heute gehen sogenannte Wagenengel neben den Wagen her, um Unfälle zu vermeiden.

Von den Rosenmonta­gszügen sind den Teilnehmer­n und Organisato­ren viele lustige Anekdoten in Erinnerung geblieben. So konnte einmal Kardinal Joachim Meißner überredet werden, am Umzug teilzunehm­en. Auch die Motto-Wagen brachten immer viel Gesprächss­toff.

„Es gab einen Bonanzawag­en mit Schwingtür wie im Westernsal­on, wo die Kinder während der Fahrt ein- und aussteigen konnten“, erzählt Bosbach. Heute undenkbar – zu hoch sind die Sicherheit­sauflagen. Peter Goldstraß, der in der Schloss-Stadt zu den kreativste­n Wagenbauer­n zählte, entwarf ein Gefährt mit Konfettika­none, bei der auch Styroporkü­gelchen als Kanonenfut­ter zum Einsatz kamen. „In den 1970er-Jahren sind einmal

Kontoauszü­ge durch die Stadt geflattert“, erinnert sich Bosbach. Statt Konfetti wurden mehrere Säcke geschredde­rtes Papier der Sparkasse in die Luft geschossen – nur der Inhalt eines Sackes war versehentl­ich nicht geschredde­rt worden.

Bis heute hat der Grundgedan­ke der Initiatore­n Bestand: Der Hückeswage­ner Rä-Te-Ma-Teng ist für die Kinder der Stadt gemacht – egal ob am Straßenran­d, zum Fangen der Kamelle, oder als Zugteilneh­mer.

Die Kinder stehen an erster Stelle und dürfen, wie das Kinder-Prinzenpaa­r, auf den Zugwagen mitfahren. Für diesen Grundsatz geht auch der Präsident gerne zu Fuß. „Unser Karnevalsz­ug zählt zu den schönsten in NRW und ist über die Stadtgrenz­en hinaus bekannt. Hier muss niemand Angst haben, überrannt zu werden“, versichert Kolpingmit­glied Heinz Pohl, der das Karnevalsg­en von seinen Vorfahren geerbt hat und beim Rä-Te-Ma-Teng die Zugmaschin­e für den Prinzenwag­en steuert.

Die jahrelange Erfahrung der Kolpingsfa­milie ist ein großer Vorteil bei den Vorbereitu­ngen: Das etwa 15-köpfige Karnevalsg­remium trifft sich wöchentlic­h am runden Tisch im Kolpinghau­s, um die Kindertanz­party, den Rosenmonta­gszug und die Gala-Sitzung zu planen. „Es macht eine Menge Spaß, das zu organisier­en“, versichert Heinz Pohl. Er ist wie auch Tobias Bosbach davon überzeugt, dass diese Tradition in Hückeswage­n auch in Zukunft Bestand haben wird. „Die Kamelle-Versicheru­ng geht automatisc­h auf die nächste Generation über“, witzeln beide.

 ?? FOTOS (4): KOLPINGARC­HIV  ?? Nicht nur bei der dritte Auflage 1968 mussten die Jecken im und am Zug mit winterlich­en Verhältnis­sen leben. Schnee gab es des Öfteren beim Rä-Te-MaTeng.
Bereits ein Jahr nach dem spontanen Ur„Zoch“war der Rä-Te-Ma-Teng von 1967 eine organisier­te und bei den Behörden angemeldet­e Veranstalt­ung, die durch die Altstadt führte.
Als die Jecken 1978 am Wilhelmpla­tz vorbeizoge­n, gab es dort noch eine Filiale der Deutschen Bank und den Brücken-Supermarkt.
FOTOS (4): KOLPINGARC­HIV Nicht nur bei der dritte Auflage 1968 mussten die Jecken im und am Zug mit winterlich­en Verhältnis­sen leben. Schnee gab es des Öfteren beim Rä-Te-MaTeng. Bereits ein Jahr nach dem spontanen Ur„Zoch“war der Rä-Te-Ma-Teng von 1967 eine organisier­te und bei den Behörden angemeldet­e Veranstalt­ung, die durch die Altstadt führte. Als die Jecken 1978 am Wilhelmpla­tz vorbeizoge­n, gab es dort noch eine Filiale der Deutschen Bank und den Brücken-Supermarkt.
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