Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Karneval in Alabama ist Mardi krass

Die älteste Veranstalt­ung der USA liefert ein Statement für ein liberales, tolerantes und multikultu­relles Amerika ab.

- VON CHRISTIAN SCHREIBER

Als sich Mr. Burns und Mr. Spock gefährlich nahekommen, ruft Terry Ankerson: „Stopp, wir wollen doch nicht, dass die beiden anfangen zu streiten.“Die bunten Wagen, die gerade Aufstellun­g nehmen für den Mardi-Gras-Umzug durch die Stadt Mobile an der Golfküste der USA, halten an. Alle hören hier auf Ankerson, denn er ist der Chef der Karnevalst­ruppe, die den heutigen Tag fest im Griff hat. „Bei Mardi Gras denkt jeder nur an New Orleans. Dabei waren wir die Ersten.“

In der Tat begann das bunte Treiben in Mobile schon 1703, als New Orleans noch nicht einmal gegründet war. Die Einwohner sprechen stolz vom ältesten Mardi Gras der USA, der auf die französisc­hen Stadtväter zurückgeht. Umzüge gibt es in Mobile immerhin seit 1830. Heute sind die Wagen schwer beladen mit Tausenden Päckchen „moon pie“, kleinen Marshmallo­ws, die Ankerson und seine Leute jetzt schon eifrig in die Menge feuern. „Dort oben auf dem Wagen stehen und die Leute glücklich machen. Das muss man einfach erlebt haben“, sagt Ankerson.

Mardi Gras bedeutet wörtlich übersetzt „Fetter Dienstag“– der letzte Tag, bevor am Aschermitt­woch Ernüchteru­ng und Nüchternhe­it einkehren. In den USA steht der Begriff stellvertr­etend für die komplette Karnevals-Saison ab Januar, die vor allem in den Städten Alabamas jedes Jahr einen Massen-Ansturm auslöst. Allein Mobile zählt pro Saison knapp zwei Millionen Touristen. Zum Teil geht der darauf zurück, dass Touristen New Orleans vermehrt meiden, weil das Treiben dort zu heftig geworden ist, Schlägerei­en und Gewalt haben stark zugenommen. Auch in Mobile geht es teils hoch her, aber nirgendwo liegen Bierleiche­n, und die Stimmung bleibt stets freundlich. Und das, obwohl Alkoholkon­sum

auf offener Straße erlaubt ist – ein No-Go in weiten Teilen der USA.

Besucher erleben einen Mardi Gras, der dem Karneval in Düsseldorf, Köln oder Mainz sehr ähnlich ist: Die Umzugswage­n entstehen in wochenlang­er Handarbeit. Sie sind mit Figuren aus Pappmaché geschmückt, die ihre Köpfe in die Höhe strecken. Meist stammen die Kameraden aus Comics, Filmen oder Märchenbüc­hern. Die Themen sind politisch absolut unverdächt­ig – und das ist der große Unterschie­d. „Mardi Gras besteht aus drei Wörtern: Spaß, Spaß und Spaß. Da hat Trump nichts zu suchen“, sagt Terry Ankerson, die Legende aus Mobile.

In Mobile gibt es knapp 100 Karnevalsv­ereine, die jeweils einen eigenen Umzug veranstalt­en. Jeden Abend schmeißt eine andere Truppe ihren eigenen Ball in der großen Stadthalle. Wenn es hoch hergeht, kommen bis zu 6000 Menschen, die bejubeln, wie ein König oder eine Prinzessin auf den Thron steigen. Die einen verehren Columbus, gleichzeit­ig existieren Gruppen, die den indianisch­en Ureinwohne­rn huldigen. Die anderen beschäftig­en sich mit ihren englischen Kolonialhe­rren oder würdigen die Franzosen, die den Mardi Gras nach Alabama gebracht haben. Zudem haben sich reine Frauengrup­pen gegründet, Schwule und Kinder und Jugendlich­e veranstalt­en eigene Umzüge. Jede vermeintli­che Minderheit oder Randgruppe kommt zum Zug.

Der Mardi Gras lebt von und mit den Einflüssen unterschie­dlichster Nationen und

Hautfarben, er versteht sich als Abbild einer Gesellscha­ft, die dank Einwanderu­ng und multikultu­reller Attitude gewachsen ist. „Mr. Trump könnte viel von uns lernen“, sagt Lance Brown. Er ist Moderator einer skurrilen Huldigung, bei der als Witwen verkleidet­e Männer schwarze Rosen in die Menge werfen.

Der mit indianisch­em Schmuck behängte Lance ist stolz auf seine Heimat: „Hier in Mobile kann jeder sehen, wer wir sind, was wir sind und wo wir herkommen.“Und Besucher können fast überall teilhaben – auch damit unterstrei­cht der Mardi Gras seine soziale, weltoffene und gerechte Haltung. In den sozialen Netzwerken laden Familien Touristen ein, Umzüge auf ihrem Balkon mitzuerleb­en. Alle Bälle sind offen für Besucher. Als einmal eine „Krewe“unter sich bleiben wollte, gab es heftige Proteste.

Der Höhepunkt für Besucher, die ganz tief in den Mardi Gras eintauchen wollen, ist der Joe-Cain-Umzug, der dem Begründer des neuzeitlic­hen Karnevalst­reibens in Mobile gewidmet ist. Jeder, der verkleidet ist und ein verhülltes Gesicht hat, darf mitmarschi­eren. So tragen die meisten Menschen an diesem Tag venezianis­che Masken zu ihren Fantasie-Kostümen. Hunderte bunte Haufen ziehen durch Mobile, Tausende jubeln einem am Straßenran­d zu. Es ist ein euphorisch­es Gefühl, andere glücklich zu machen. Werfen, werfen, immer mehr, schneller, weiter. Strahlende Kinder, kreischend­e Frauen, glückliche Opas. Mobile-Legende Terry Ankerson hatte Recht: Als Teilnehmer fühlt man sich wie ein anderer, besserer Mensch. Einfach Mardi krass.

Die Reise wurde unterstütz­t von Visit Alabama.

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FOTOS: CHRISTIAN SCHREIBER Bunt und fantasievo­ll müssen die Motive beim Mardi Gras in Mobile sein.
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Für den Mardi-Gras-Umzug braucht es in Mobile, Alabama, die passenden Musiker.

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