Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Jonathan Franzen: Klimawandel ist nicht zu stoppen
Der amerikanische Bestseller-Autor plädiert dafür, dass wir uns nichts mehr vormachen sollen – und kassiert dafür viel Kritik.
DÜSSELDORF Nehmen wir einmal an, wir wären ehrlich zu uns und würden uns die Frage stellen: Glauben wir, dass die Menschheit den Klimawandel nachhaltig abwenden kann? Dass Vieles wieder gut und Manches so wie „früher“wird? Oder gleichen wir insgeheim manchmal nicht doch unser Lebensalter mit den finsteren Prognosen der Forscher ab und versuchen auf diese Weise zu errechnen, ob wir selbst noch vom Gröbsten verschont bleiben?
Irgendwann hat sich der preisgekrönte US-amerikanische Autor Jonathan Franzen das auch gefragt. Und er hat sich geweigert, weiterhin optimistisch zu sein. Franzen hat sich die Zahlen angeschaut, was weltweit getan werden müsste, um wenigstens die Zwei-Grad-Erwärmung doch noch zu verhindern. Und dann hat er den Blick auf seine Landsleute gewendet und sich gefragt, ob diese „hohe Steuern und erhebliche Einschränkungen ihres gewohnten Lebensstils hinnehmen würden, ohne dagegen zu rebellieren?“Vor allem müssten sie erst einmal den Klimawandel wirklich als Realität begreifen und sofort dazu bereit sein, Opfer auch für entfernte Nationen und künftige Generationen zu bringen. Weitere drakonische Maßnahmen wären unabdingbar.
Franzen selbst ist ein großer und leidenschaftlicher Vogelbeobachter, ein kämpferischer Wildvögelschützer
und Naturfreund. Er ist dafür vor fünf Jahren mit dem Euro-Naturpreis ausgezeichnet worden. Der 60-Jährige hat aber auch den Mut, darüber nicht in falsche Romantik zu verfallen: „Gestehen wir uns ein, dass wir die Klimakatastrophe nicht verhindern können“, hat er in einem Essay geschrieben, der 2019 im „New Yorker“erstmals erschienen ist und jetzt auch ins Deutsche übertragen wurde. Diese Position hat ihm nicht nur unter Klimaaktivisten reichlich Kritik beschert: Fatalismus wird ihm attestiert oder sogar das Leugnen des Klimawandels vorgeworfen. Wer aber Maßnahmen gegen den Klimaschutz für wenig sinnvoll erachtet, wird reflexhaft in die rechte Ecke des politischen Spektrums gestellt.
Dabei stellt Jonathan Franzen seine Leser nur vor diese Wahl: „Entweder wir hoffen weiter, dass sich die Katastrophe verhindern lässt, und werden angesichts der Trägheit der Welt nur immer frustrierter und wütender. Oder wir akzeptieren, dass das Unheil eintreten wird, und denken neu darüber nach, was es heißt, Hoffnung zu haben.“Hoffnung aber worauf? Auf eine Welt, die sich ums Klima zu kümmern versucht, die sich aber verstärkt auch darüber Gedanken macht, wie man sich auf große Waldbrände besser vorbereiten kann, auf Überschwemmungen, auf Flüchtlinge. Weil bei Chaos Menschen vermehrt Schutz in Waffengewalt statt in Rechtsstaatlichkeit suchten, gelte es, funktionierende Demokratien zu bewahren. Diese Hoffnung ist es, die Franzen hegt.
Info Jonathan Franzen: „Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen?“. Rowohlt, 64 Seiten, acht Euro.