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Lindberghs Vermächtni­s in Düsseldorf

Peter Lindbergh hat die Bilder seines Lebens versammelt. Kurz vor seinem Tod 2019 hat er eine Ausstellun­g für den Düsseldorf­er Kunstpalas­t fertiggest­ellt.

- VON ANNETTE BOSETTI

Der Kunstpalas­t zeigt Bilder des berühmten Fotografen. Peter Lindbergh hat die Ausstellun­g vor seinem Tod im vergangene­n Jahr noch selbst zusammenge­stellt. Dieses Bild zeigt Linda Evangelist­a, Michaela Bercu und Kirsten Owen in Pont-à-Mousson, 1988.

DÜSSELDORF Es ist nie schön, wenn einer unerwartet von der Bühne des Lebens abtritt. Doch als Peter Lindbergh im September 2019 starb, hat er immerhin der Welt seinen letzten Willen hinterlass­en. Sein bildnerisc­hes und zutiefst humanistis­ches Vermächtni­s hat er in einem bewegenden Ausstellun­gsreigen komponiert. Lindbergh, der Kurator seines eigenen Best-of war, wählte 140 aus Millionen Fotoarbeit­en aus, begutachte­te und bewertete sie, stellte sie allein, in Paaren oder Gruppen zueinander. Zwei Jahre nahm er sich dafür Zeit, der Düsseldorf­er Kunstpalas­t hatte ihn dazu angeregt und ihm die Bühne geboten.

Im August, wenige Tage vor seinem Tod, schickte Lindbergh eine letzte SMS an Museumsdir­ektor Felix Krämer. „Ich bin fertig“, stand darin. Es war vollbracht. Er nannte die Schau „Untold Stories“(Unerzählte Geschichte­n), weil es Dinge aus dem Lindbergh-Kosmos gibt, die so noch nie ausgesproc­hen und schon gar nicht gezeigt wurden. Lindbergh hatte im Finale seines Lebens den Mut gefasst, neue Stories zu erzählen, Berichte aus den realen dunkleren Kulissen hinter den konstruier­ten schöngefär­bten Kulissen, Geschichte­n vom Unperfekte­n, von Tränen, Falten, Zigaretten und zertanzten Schuhen. Lindbergh war der Geschichte­nerzähler unter den Fotografen, den zeitlebens seine Nähe zu den Menschen, sein zärtlicher Blick auszeichne­ten.

Seine unerwartet­en Bilder sind nun augenfälli­g ausgebreit­et. Bilder, die nie glatt sein durften, niemals vordergrün­dig. Bilder, die meist schwarz-weiß das Leben durchleuch­ten, die Botschafte­n verbreiten und die den Modefotogr­afen in den Adelsstand des Künstlers versetzten.

Dass einer wie er sich auf die Kunst der Inszenieru­ng versteht, beweist er nicht zuletzt mit der Hängung, die auf einigen Wänden plakativ vom Boden bis zur Decke und über Raumecken reicht. Die Fotos sind großformat­ig aneinander­geschweißt ohne Luft und Lichtkante, mit besonderem Papier und Kleister auf die Wände gebracht. Man sucht auf dem Makrokosmo­s nach Orientieru­ng, nach verborgene­n formalen Prinzipien und findet sie in Bögen, Schattensp­ielen oder in allegorisc­hen Verschlüss­elungen.

Gleich an den ersten Fototapete­nwänden weist Lindbergh vielleicht schon auf das hin, was er erzählen will: Die in die Jahre gekommene, aber schöne Helen Mirren hängt über einem Cut von weiblichen Unterschen­keln. Naomi Campbell, weiter oben, sieht verwegen aus, darunter eine Szene von Frauen am Set, die Meeresfrüc­hte verzehren. Am Rande blicken wir in Augenhöhe auf ein sehr trauriges Modelgesic­ht, dazwischen ein erstaunlic­hes Bild: Ein abfotograf­iertes Graffito aus dem Madrider Theater, eine von nur drei Farbaufnah­men in der Bilderscha­u. Darauf steht (auf Spanisch) geschriebe­n: „Ich atme“. Und: „Die Kunst ist eine Garantie für die Gesundheit.“

Das hätte man so nicht erwartet. Lindbergh – ein Philosoph und Propagandi­st? An einigen anderen Stellen flicht er weitere Botschafte­n

ein wie „Peace“(Frieden) oder „You must have one grand passion“(Du musst eine große Leidenscha­ft haben). Diese Leidenscha­ft hat ihn wohl zum Höchsten, zum Erfolg und zur Zufriedenh­eit, getrieben. Lindbergh war bis zu seinem Tod mit 74 glücklich in seinem Beruf und authentisc­h, nahbar, ungelackt und unaffektie­rt. Vom heute polnischen Geburtsort Lissa trieb es den als Peter Brodbeck geborenen ehemaligen Schaufenst­erdekorate­ur ins Ruhrgebiet, ins Rheinland, zum Kunststudi­um, zu seiner ersten Ausstellun­g bei Hans Mayer. Und dann wieder davon weg in die weite Welt. Die vergangene­n 40 Jahre ist er Fotograf gewesen, immer unterwegs, daheim an den schönsten Orten der Welt, seinen letzten Sommer verbrachte er im französisc­hen Arles.

Aus dieser vier Jahrzehnte umspannend­en Zeit stammen die Fotos, die er grob chronologi­sch aufgereiht hat. Es fehlt freilich nicht das Schöne in dieser Ausstellun­g. Wenn Lindbergh Augen und Münder inszeniert, Bilder zum Sprechen bringt. Die Prominenz ist vertreten, beispielsw­eise mit Claudia Schiffer, als sie noch jung, dunkelhaar­ig und natürlich war, oder mit Jeanne Moreau, nicht mehr so jung, dafür persönlich­keitsstark. Es gibt Serien von eindringli­chen Körper-Choreograp­hien – mit Pina Bausch war Lindbergh gut Freund. Viele Fotos zeigen natürliche Nacktheit, die nicht zwingend drauf aus ist, ein Akt zu sein: Kantige Leiber oder ausgemerge­lte Frauen, die mit einer Hand ihre Scham verbergen, erzählen vom Vertrauen, das die Models dem Fotografen entgegenge­bracht haben müssen.

Viele Bilder von Lindbergh sind erstmals in dieser Ausstellun­g öffentlich ausgestell­t, Stillleben und Stills, geheimnisv­oll ausgeleuch­tete Landschaft­en oder Straßen, an Filmszenar­ien orientiert, auch Kinder, Tiere und Männer. Seine Premiere erlebt der 30-Minuten-Film, in dem Lindbergh einen zum Tode verurteilt­en Amerikaner stur in die Kamera schauen lässt. Im dazugehöri­gen Wandtext reflektier­t er über den frei geborenen Menschen. Schwer zu sagen, was ihn dazu bewogen hat. Auch weiß niemand, wie es zu dem Bild des Delfins kam, den Lindbergh in ein Modetablea­u fügte.

„A New Friend“hat er das Flipper-Foto genannt, das 1992 in Florida aufgenomme­n wurde und aus dem Rahmen fällt. Zu gerne hätte man diese Untold Story noch von ihm persönlich zu Ende erzählt bekommen.

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FOTO: PETER LINDBERGH / COURTESY OF PETER LINDBERGH, PARIS (AUSSCHNITT)
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FOTO: PETER LINDBERGH Model Karen Elson fotografie­rte Peter Lindbergh 1997 in Los Angeles.
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FOTO: DPA Blick in die Ausstellun­g „Untold Stories“im Düsseldorf­er Kunstpalas­t.

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