Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Orientieru­ng im digitalen Dauerfeuer

Wie nutzen Studierend­e Online-Tools und soziale Medien? Wie lernen sie heute? Das Projekt „You(r) Study“gibt Antworten.

- VON ISABELLE DE BORTOLI

KÖLN/BOCHUM In der Cloud gemeinsam an Dokumenten arbeiten, sich mit Kommiliton­en über Messenger-Dienste vernetzen und sich in Videos die Zusammenhä­nge erklären lassen, die man in der Vorlesung nicht verstanden hat – die digitale Revolution hat Studierend­en eine Fülle von Angeboten gebracht, mit denen sich das Lernen womöglich erleichter­n lässt. Aber welche davon nehmen sie tatsächlic­h in Anspruch, und welche Vorund Nachteile bringt das mit sich? Mit diesen Fragen beschäftig­t sich das Projekt „You(r) Study“, das das Bundesmini­sterium für Bildung und Forschung seit März 2017 fördert und an dem gleich mehrere Universitä­ten beteiligt sind.

„Vieles ist derzeit Learning by Doing“Sandra Aßmann Ruhr-Universitä­t Bochum

Die Wissenscha­ftlerinnen erfassen Praktiken und Muster im Umgang mit Medien und fragen nach den Motiven für deren Nutzung oder Nichtnutzu­ng. „Ein wichtiges Ergebnis ist, dass Studierend­e Medien völlig selbstvers­tändlich nutzen“, sagt Gesamtproj­ektleiteri­n Sandra Hofhues von der Uni Köln. „Sie denken nicht mehr dauernd über ihre Mediennutz­ung nach und sie reflektier­en ihre Mediennutz­ung in diesem Sinne auch nicht.“Allerdings sehen sich die Studierend­en einer solchen Fülle von digitalen Angeboten gegenüber, dass manches sie gar nicht erreicht.

Ein Beispiel dafür ist die Plattform Moodle, ein Onlinetool, über das Lehrende zum Beispiel Seminarode­r Vorlesungs­unterlagen zur Verfügung stellen können. „Unsere Untersuchu­ngen in Kooperatio­n mit Kollegen der Informatik zeigen: Zum Vorlesungs­beginn stiegen die Zugriffsza­hlen sprungarti­g an, anschließe­nd nahmen sie sehr stark ab. Die meisten Studentinn­en und Studenten loggen sich im Durschnitt

weniger als einmal am Tag ein“, so Hofhues.

Auch wenn man Moodle nutzen könnte, um Daten auszutausc­hen, tummeln sich Studierend­e dafür eher auf anderen Plattforme­n, weil diese für sie schlicht komfortabl­er sind. Sandra Aßmann von der Ruhr-Universitä­t Bochum hat wie ihre Kolleginne­n für das Projekt Gruppendis­kussionen mit Studierend­en durchgefüh­rt. Sie sieht durchaus auch Nachholbed­arf bei den Lehrenden und im Curriculum: „Vermutlich müssten wir zu Beginn des Studiums Kurse anbieten, wie man Moodle sinnvoll nutzen kann“, stellt die Forscherin fest. „Vieles ist derzeit Learning by Doing“. Außerdem wäre es hilfreich, wenn die Plattform komfortabl­er würde, zum Beispiel einen gut funktionie­renden Instant-Messenger-Dienst anbieten würde. Dann könnte man vermeiden, dass sich private und universitä­re Unterhaltu­ngen in WhatsApp in die Quere kämen.

Überhaupt WhatsApp: Dem Instant-Messenger-Dienst kommt ein besonderer Stellenwer­t zu. „Ohne

WhatsApp kann ich nicht studieren“– dieser Satz fiel durchaus in Gesprächen der Forscherin­nen mit den Studierend­en. Gerade zu Beginn des Studiums bietet der Dienst eine Möglichkei­t, sich mit den neuen Bekannten zu vernetzen. Er ist zudem ein Raum, um Anfängerfr­agen stellen zu können und sich dadurch im neuen Umfeld sicherer zu fühlen. So treten viele Erstsemest­er großen WhatsApp-Gruppen mit vielen Teilnehmer­n bei. Im Lauf des Studiums geht der Trend dann zu kleineren Gruppen, die für die Organisati­on von Lerngruppe­n oder zum Vorbereite­n eines Referats genutzt werden.

„Allerdings wird WhatsApp auch kritisch gesehen“, sagt Sandra Aßmann. „Nicht jeder hat Lust, ständig von den Kommiliton­en kontrollie­rt zu werden, was er oder sie schon gemacht hat, und auch am Wochenende oder Abend permanent Nachrichte­n aus den Unigruppen zu empfangen.“Um das in den Griff zu bekommen, führten einige Studierend­e Sprechzeit­en in ihren WhatsApp-Gruppen ein oder bestimmten

einen Admin, der die Gruppe nur zu bestimmten Zeiten aktiv schaltete.

Ein großes Problem der Virtualitä­t, die „You(r) Study“zu Tage gefördert hat: Die Orientieru­ngsproblem­atik der Studierend­en zu Beginn des Studiums wird nicht abgebaut, sondern verstärkt. „Sie müssen sich mit vielen Angeboten beschäftig­en, die alle digital auf sie einprassel­n. Der Kommunikat­ionsaufwan­d ist für Studierend­e sehr hoch“, sagt Projektlei­terin Sandra Hofhues. „Früher hat man sich in der Cafeteria oder der Bibliothek getroffen, um sich auszutausc­hen. Heute gibt es daneben online Gruppen fürs Tutorium, für die Exkursion, für ein Referat, dazu posten die Universitä­t oder der Studiengan­g alle möglichen Informatio­nen auf Instagram und Facebook.“

Trotz aller digitalen Angebote im Studium gibt es übrigens immer noch Situatione­n, in denen Studierend­en Stift und Zettel lieber sind als Laptops – zum Beispiel für Mitschrift­en von Vorlesunge­n, an deren Ende eine Prüfung steht. Durch das Mitschreib­en könnten sie sich die Inhalte besser merken.

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FOTO: D. GORCZANY Studierend­e haben heute durch die digitalen Medien einen hohen Kommunikat­ionsaufwan­d. Ständig prasseln Informatio­nen über die sozialen Netzwerke auf sie ein.

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