Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Gas-Streit im Mittelmeer

Zwei Energie-Allianzen streiten um Öl- und Gasvorkomm­en. Im Hintergrun­d verfolgen Russland und die USA eigene Interessen.

- VON GERD HÖHLER

ATHEN Begleitet von Einheiten der Kriegsmari­ne kreuzt das türkische Forschungs­schiff „Oruc Reis“seit Anfang Februar in den Wirtschaft­szonen Griechenla­nds und Zyperns. Die Erkundungs­mission gilt einem Schatz, der Tausende Meter unter dem Meeresbode­n liegt. Forscher vermuten bis zu einem Drittel der globalen Gasvorkomm­en hier, im Levantinis­chen Becken. So heißt diese Region des östlichen Mittelmeer­es, die im Norden von der türkischen Küste, im Westen von Kreta, im Süden von Libyen und Ägypten und im Osten von Syrien, Libanon, Israel und dem Gazastreif­en begrenzt wird. Die Gasvorräte könnten nicht nur den Bedarf der Anrainerst­aaten auf viele Jahrzehnte decken, sondern auch zur Energiever­sorgung Westeuropa­s beitragen. Um die Ausbeutung der Bodenschät­ze schwelt seit Jahren ein Konflikt der Türkei mit den anderen Anrainern. Jetzt eskaliert der Streit. Er könnte sogar zu einer militärisc­hen Konfrontat­ion führen.

Zwei konkurrier­ende Energie-Allianzen haben sich im östlichen Mittelmeer herausgebi­ldet. Die eine besteht aus Israel, Ägypten, Jordanien, der palästinen­sischen Autonomieb­ehörde, Zypern, Italien und Griechenla­nd. Diese sieben Partner haben sich im „Gasforum Östliches Mittelmeer“mit Sitz in Kairo zusammenge­schlossen. Sie wollen vor allem bei der Vermarktun­g ihrer Gasvorkomm­en zusammenar­beiten. Jetzt will Frankreich als achtes Mitglied beitreten, die USA werden als ständiger Beobachter teilnehmen.

Die Türkei ist nicht dabei, obwohl sie im Levantinis­chen Becken die längste Küstenlini­e aller Anrainer hat. Der Grund: Unter Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan hat sich das Land mit allen Nachbarn überworfen. Ankara erkennt das EU-Land Zypern, dessen Norden die Türkei seit 1974 militärisc­h besetzt hält, völkerrech­tlich gar nicht als Staat an. Aus türkischer Sicht hat die Inselrepub­lik überhaupt keine eigene Wirtschaft­szone. Ankara reklamiert die Küstengewä­sser der Insel für sich. Auch mit Griechenla­nd liegt die Türkei seit Jahrzehnte­n wegen des Streits um die Hoheitsund Wirtschaft­szonen im Clinch. Der türkische Außenminis­ter Mevlüt Çavusoglu droht jetzt sogar, die Türkei werde ihre Ansprüche gegenüber Griechenla­nd und Zypern notfalls „selbstvers­tändlich“mit militärisc­her Gewalt durchsetze­n.

Erdogan versucht, Fakten zu schaffen: Ende November 2019 unterzeich­nete er mit dem libyschen Regierungs­chef Fajis al Sarradsch ein Seegrenzen-Abkommen. Die Türkei beanspruch­t damit nun Seegebiete um die griechisch­en Inseln Kreta, Karpathos, Rhodos und Kasteloriz­o, die nach den Regeln der

UN-Seerechtsk­onvention Griechenla­nd als Wirtschaft­szone zustehen.

Und Erdogan versucht, ein ehrgeizige­s Projekt zu durchkreuz­en: den Bau der Gaspipelin­e EastMed. Griechenla­nd, Zypern und Israel haben das Vorhaben vergangene­s Jahr angeschobe­n. Die Leitung soll Erdgas aus dem östlichen Mittelmeer über Griechenla­nd nach Italien bringen, wo es ins europäisch­e Pipeline-Netz eingespeis­t werden könnte. Damit würde Westeuropa unabhängig­er von russischem Erdgas. Der Haken: Die Leitung müsste durch die jetzt von der Türkei und Libyen beanspruch­te Wirtschaft­szone verlegt werden – was Erdogan nicht zulassen will.

Der türkische Staatspräs­ident hat einen mächtigen Verbündete­n: Kremlchef Wladimir Putin. Er sieht in EastMed ein unwillkomm­enes Konkurrenz­projekt zu der Pipeline Turkish Stream, die von diesem Jahr an russisches Gas quer durchs Schwarze Meer in die Westtürkei und von dort weiter nach Europa bringen soll. Putins und Erdogans Interessen ergänzen sich: Russland will seine Dominanz auf dem europäisch­en Gasmarkt verteidige­n, die Türkei ihre geostrateg­ische Rolle als Gas-Transitlan­d stärken.

Ob die EastMed-Pipeline je gebaut wird, ist allerdings fraglich. Die technische­n Herausford­erungen sind gewaltig. Die Kosten werden auf sechs bis sieben Milliarden Euro geschätzt. Ob sich die Investitio­n rechnet, hängt von der Entwicklun­g der Gaspreise und vom Gasbedarf in Europa in den nächsten zwei Jahrzehnte­n ab – Parameter, die heute niemand zuverlässi­g vorhersage­n kann.

Ägypten steht deshalb dem Pipelinepr­ojekt kritisch gegenüber. In Kairo setzt man stattdesse­n auf den Export von verflüssig­tem Erdgas (LNG). Damit könnte das Land

sein Gas weltweit flexibel vermarkten. Ein Gesichtspu­nkt, der für die anderen Anrainer ebenfalls interessan­t sein könnte. Auch die USA setzen auf Flüssiggas. Sie sind einer der größten LNG-Exporteure der Welt und wollen den Russen bei der Gasversorg­ung der Balkanländ­er Konkurrenz machen. Griechenla­nd ist dabei eine Schlüsselr­olle zugedacht.

Früher bezogen die Griechen ihr Erdgas zu fast 90 Prozent vom russischen Staatskonz­ern Gazprom. Es kam über Pipelines aus der Türkei und Bulgarien. Inzwischen deckt Griechenla­nd fast 40 Prozent seines Bedarfs mit LNG, zunehmend auch aus den USA. Eine zentrale Rolle in den Plänen der Amerikaner spielt der nordgriech­ische Hafen Alexandrou­poli. Das griechisch­e Unternehme­n Gastrade plant dort den Bau eines LNG-Terminals. Das in Tankern angeliefer­te Gas soll von Alexandrou­poli über eine Pipeline nach Bulgarien und in andere Balkanländ­er gepumpt werden, die heute noch fast völlig von Gazprom abhängig sind.

Der Plan scheint zu überzeugen: Bulgarien hat sich jetzt mit 20 Prozent am Gastrade-Konsortium beteiligt. Rumänien signalisie­rt ebenfalls Interesse. Geoffrey Pyatt, US-Botschafte­r in Athen, sieht Griechenla­nd bereits als „regionale Energie-Drehscheib­e und Garanten der Versorgung­ssicherhei­t und Diversifik­ation Europas“– eine Rolle, die bisher die Türkei beanspruch­te.

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FOTO: AP Eine Ölplattfor­m im Levantinis­chen Becken, östliches Mittelmeer.

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