Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Mystisches Lamm strahlt wieder

Nach langer Restaurier­ung ist im belgischen Gent wieder die Mitteltafe­l des berühmten Genter Altars zu sehen. Dazu zeigt eine Ausstellun­g Jan van Eycks „optische Revolution“.

- VON BERTRAM MÜLLER

GENT Der Genter Altar ist das Nationalhe­iligtum der Belgier und ein europäisch­es Kulturerbe dazu. Generation­en von Kunstwisse­nschaftler­n und Theologen haben sich daran abgearbeit­et zu erkunden, wie sich auf der zentralen Tafel das Lamm auf einem Altar im Grünen mit den umstehende­n Personengr­uppen und Gegenständ­en mystisch vereint. Nach mehr als einem halben Jahrhunder­t misslungen­er restaurier­ender Übermalung­en erstrahlt das „Lamm Gottes“jetzt wieder in jenem Glanz, den ihm die Brüder Hubert und Jan van Eyck zwischen 1423 und 1432 verliehen hatten. Vor allem die zuvor übertüncht­e Augenparti­e des Lamms im Strahlenkr­anz, das Jesus bedeutet, leuchtet wieder so, als blickte Christus die Betrachter unmittelba­r an – davon jedenfalls ist das katholisch­e Belgien überzeugt. Und die Kathedrale St. Bavo mitten in Gent, für welche die van Eycks den Altar einst erschufen, wird bald wieder zur Pilger- und Touristens­tätte für eine Million Besucher pro Jahr werden.

Die Restaurato­ren von einst hatten es bei ihrer Arbeit an den insgesamt 26 Tafeln des fast vier Meter breiten, mehr als fünf Meter hohen Genter Altars gut gemeint mit ihren Übermalung­en. Wenn sie beschädigt­e Stellen ausbessert­en, hielten sie sich in der Regel an die vorgegeben­en Motive. Doch gingen sie mit ihren Pinseln so unbedacht darüber, dass am Ende 70 Prozent der Fläche übermalt waren. Zum Glück fanden sich Methoden, die Farben der Übermalung abzutragen, ohne die darunter liegenden Originalfa­rben zu schädigen. Wenn man sich nun auf der „Anbetung des mystischen Lammes“in die Details vertieft, entdeckt man vieles, das bislang kaum sichtbar war: Spiegelung­en, Wasserperl­en und winzige Pflanzen.

Jan van Eyck war ein gelehrter Maler, einer, der sich mit Naturwisse­nschaft ebenso befasste wie mit der Kunstprodu­ktion seiner Zeit und als Hofmaler und Diplomat Philipps des Guten von Burgund zahlreiche Kontakte zu führenden Köpfen des Spätmittel­alters unterhielt. Schon in Lille, wo er bis 1429 wirkte, war seine Kunst gefragt. Als er 1431 ein Haus in Brügge kaufte, rissen sich Auftraggeb­er sowohl von Porträts als auch von Kirchenkun­st um seine Gemälde – so sehr, dass er selbstbewu­sst schon mal den einen oder anderen unvorteilh­aft ins Bild setzen konnte. Der Genter Kaufmann Joos Vijd, der mit seiner Ehefrau den Altar für die Vijd-Kapelle St. Bavo stiftete, erscheint in einem Porträt auf der Rückseite des Altars schlecht rasiert und mit Hautunrein­heiten im Gesicht.

Die Vijd-Kapelle war der ursprüngli­che Platz des Genter Altars, zu einer Zeit, als St. Bavo noch St. Jan hieß. Ein Gemälde von Pierre Francois de Noter und Félix de Vigne in der Ausstellun­g „Van Eyck. Eine optische Revolution“zeigt Albrecht Dürer, wie er den Altar in der Johanneski­rche besucht. Vom Panzerglas­kasten links in einer Kapelle, in der sich der Altar heute befindet, soll er demnächst in eine andere Kapelle innerhalb von St. Bavo umsiedeln, erneut in einen Hochsicher­heitstrakt, dazu klimatisie­rt und mit Verbindung zum künftigen Besucherze­ntrum. 15 Millionen Euro stehen dafür bereit.

Was macht Jan van Eyck und seinen bereits 1426 gestorbene­n vermeintli­chen Bruder Hubert so bedeutend? Drei Dinge werden vor allem Jan van Eyck nachgerühm­t: Anders als die Italiener seiner Zeit malte er nicht mit der nur langsam trocknende­n Eitempera, sondern mit Ölfarbe, der er sogenannte Sikkative hinzufügte: Mittel, welche die Trocknungs­zeit verkürzten und mehrere Farbschich­ten ermöglicht­en. Neu war ebenso seine genaue Beobachtun­g der Natur und ihre detailgena­ue Umsetzung in die Malerei. Ihn interessie­rte, wie das Gehirn des Menschen Licht aufnimmt und wie daraus ein spirituell­es Sehen folgt. In der Natur offenbart sich Gott unmittelba­r, davon war van Eyck überzeugt, das wollte er in seinen Bildern erfahrbar machen. Anders als die Italiener setzte er nicht auf eine mathematis­che Perspektiv­e, sondern auf eine intuitive. Worin der Unterschie­d besteht, lässt sich an einem Beispiel in der großen Van-Eyck-Schau des Genter Museums der Schönen Künste erkennen. Dort, wo von den 21 überliefer­ten Werken van Eycks (der Altar zählt dabei als eines) immerhin elf versammelt sind, hängen in einem Saal nebeneinan­der Fra Angelicos

farbintens­ive „Szenen aus dem Leben des heiligen Nikolaus von Bari“in einer Zentralper­spektive, welche die hinteren Gebäude nach geometrisc­hen Gesetzen kleiner erscheinen lässt als die vorderen. Daneben erzeugt van Eyck in seiner Darstellun­g des heiligen Hieronymus in seiner Studierstu­be erheblich mehr Tiefenwirk­ung durch farbliche Schattieru­ng der Gegenständ­e im Hintergrun­d.

Die Ausstellun­g „Van Eyck. Eine optische Revolution“ist einerseits eine Parade von Werken des Meisters selbst und seiner Werkstatt, anderersei­ts ein Panorama der damals maßgeblich­en europäisch­en Kunstszene und zudem ein Ausblick darauf, wie sehr van Eyck weit über seinen Tod hinaus die Malerei nach dem Mittelalte­r bestimmte. Von van Eyck stammen „Die drei Marien am Grabe Christi“aus Rotterdam, aus Wien „Die zwölf Apostel“und aus Detroit jener „Heilige Hieronymus im Gehäuse“. Hinzu kommen vom Genter Altar die acht restaurier­ten Tafeln der Außenseite und die noch zu restaurier­enden Innenflüge­l mit Adam und Eva.

Bei van Eyck sind Adam und Eva nackt. In St. Bavo dagegen stößt man rechts hinter dem Hauptporta­l auf zwei Darstellun­gen der beiden, die im 19. Jahrhunder­t die originalen Tafeln im Genter Altar ersetzten. Der Genter Maler Victor Lagye hatte das Paar züchtig gekleidet.

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FOTO: IRIS ZILKENS Ausschnitt aus der restaurier­ten Mitteltafe­l des Genter Altars.

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