Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Die tiefen Gräben der CDU

In der Partei zeigen sich nach dem Wahldebake­l in Thüringen starke Verwerfung­en zwischen Gemäßigten und Konservati­ven.

- VON KIRSTEN BIALDIGA UND BIRGIT MARSCHALL

Ihr Sturm heißt nicht „Sabine“, sondern „Thomas“. Noch ist der Orkan über Annegret Kramp-Karrenbaue­r nicht vorüber. Ausgelöst wurde er durch die gemeinsame Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum Thüringer Ministerpr­äsidenten durch CDU, FDP und AfD vergangene Woche. Er ist für die CDU-Vorsitzend­e nur vorübergeh­end schwächer geworden, seit Kemmerich am Samstag seinen sofortigen Rücktritt erklärt hat.

Der „unverzeihl­iche Vorgang“, wie Kanzlerin Angela Merkel das Ereignis in Erfurt nannte, hat die tiefen Gräben zwischen Gemäßigten und Rechten in der CDU, zwischen ostund westdeutsc­hen Landesverb­änden nur noch weiter aufgerisse­n. Kramp-Karrenbaue­r hat alle Hände voll zu tun, die CDU hinter sich zusammenzu­halten und ihre Autorität zu wahren. Es geht unmittelba­r um Schadensbe­grenzung, denn bereits in zwei Wochen wird in Hamburg gewählt.

Kemmerichs Rücktritt hat ihr nur eine Verschnauf­pause verpasst. Auch dass sich die Koalitions­spitzen von CDU, CSU und SPD am Samstag einhellig für eine Neuwahl in Thüringen ausgesproc­hen haben, hat Kramp-Karrenbaue­r geholfen. Sie hatte schließlic­h früh auf eine Neuwahl gesetzt, war damit aber am Donnerstag bei der Thüringer CDU-Landtagsfr­aktion auf Granit gestoßen. Nach dem Rücktritt Kemmerichs erklärte sich die geläuterte Fraktion jetzt immerhin zur Enthaltung bereit, wenn der Linke Bodo Ramelow in Thüringen wieder antritt. Die Bundes-CDU lehnt eine Unterstütz­er Ramelows grundsätzl­ich ab. „Herr Ramelow hat keine Mehrheit in diesem Parlament“, sagte Generalsek­retär Paul Ziemiak in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“.

Der Weg für Ramelow dürfte damit steinig bleiben. Die AfD hat gedroht, das nächste Mal Ramelow mitzuwähle­n. Wie sich die Union dazu verhält, wird wiederum Kramp-Karrenbaue­r zu klären haben.

In Teilen der CDU löst das jedoch großen Unmut aus. Die rechts stehende Werteunion etwa hatte die Wahl des FDP-Mannes Kemmerich mit den Stimmen der AfD ausdrückli­ch begrüßt. Daraufhin forderte der Arbeitnehm­erflügel in der Union jetzt den Parteiauss­chluss der Mitglieder der Werteunion. „Wer die Werte der CDU nicht teilt, hat in der CDU nichts zu suchen“, sagte Christian Bäumler, Vize-Chef der Christlich Demokratis­chen Arbeitnehm­erschaft (CDA), dem „Handelsbla­tt“. Der Chef der Werteunion, Alexander Mitsch, konterte: „Ein linker Ministerpr­äsident ist Herrn Bäumler also lieber als einer von der FDP.“

Günter Krings, Chef der Landesgrup­pe der nordrhein-westfälisc­hen CDU-Bundestags­abgeordnet­en, mag sich nicht an die Seite des Arbeitnehm­erflügels stellen. „Wenn ein Teil der CDU eine andere Auffassung als die Mehrheit hat und zum Beispiel die Wahl Kemmerichs akzeptabel findet, verdient das zwar Widerspruc­h, aber eine Volksparte­i muss das aushalten“, sagte Krings.

In den ostdeutsch­en Landesverb­änden rumort es bereits seit Langem. Viele können nicht nachvollzi­ehen, warum sie mangels anderer Alternativ­en nicht auch Stimmen der AfD akzeptiere­n sollten. Mancher ballt die Faust in der Tasche, weil Bundeskanz­lerin Angela Merkel am Samstag auch noch den Ost-Beauftragt­en der Bundesregi­erung, Christian Hirte, feuerte. Hirte hatte Kemmerich auf Twitter zu seiner Wahl ausdrückli­ch gratuliert. Parteiinte­rne Kritiker betrachten den Rausschmis­s als überzogene Reaktion. Allerdings war Hirte schon zuvor negativ aufgefalle­n, weil er gegen die Parteilini­e einen eigenen CDU-Kandidaten für die Ministerpr­äsidentenw­ahl gefordert hatte.

Im Westen dagegen können sich Merkel und Kramp-Karrenbaue­r des Rückhalts sicherer sein. „Die CDU krönt das perfide Spiel der AfD nicht mit einer Führungsde­batte. Die CDU Deutschlan­ds hat einen Kompass, und wir halten klar Kurs mit AKK“, sagte CDU-Vize Thomas Strobl. „Wer wirklich Werte hat, wer an Anstand, Aufrichtig­keit, Wahrhaftig­keit, auch an Demokratie und Freiheit glaubt“, der erkenne von allein, dass die Wahl Kemmerichs mit AfD-Stimmen nicht zu dulden sei. „Und wenn die Werteunion das anders sieht, sagt das alles über ihre angebliche­n Werte aus“, sagte Baden-Württember­gs CDU-Chef.

Spannungen gibt es in der Union aber auch in die andere Richtung: Manche wie Schleswig-Holsteins Ministerpr­äsident Daniel Günther finden, die CDU sollte eine Regierung

mit Beteiligun­g der Linksparte­i unter Umständen tolerieren. Dies widerspräc­he aber dem Beschluss der CDU, weder mit der AfD noch der Linksparte­i zusammenzu­arbeiten. SPD, Grüne und Linke fordern nun ultimativ von der Union, Linksparte­i und AfD nicht mehr weiter gleich behandeln zu wollen.

In der aufgeheizt­en Stimmung machte dann auch noch ein Gerücht die Runde, das Kanzlerin Merkel in schlechtes Licht rückte. Sie soll der FDP angedroht haben, die schwarz-gelben Koalitione­n in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein platzen zu lassen, wenn Kemmerich nicht sofort zurücktret­e. Das sei „völliger Unsinn“, stellte NRW-Vize-Regierungs­chef Joachim Stamp klar. In diesen Zeiten wird eben vieles für möglich gehalten, das bislang als unmöglich galt.

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